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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Also sollte man die römisch. Stipulationen
gesunden Vernunft, so wie den vorangeführten römischen und
deutschen Grundsätzen nach, sollte es keinem ehrlichen Mann
zum Schimpf sondern vielmehr zum Ruhm gereichen, daß
er ein Versprechen was er nicht mit Bedacht gethan, binnen
24 Stunden wieder zurück nimmt. Dies ist der menschlichen
Natur gemäß, und wer gestehen muß, daß er fehlen kan,
muß sich auch nicht der Reue schämen dürfen.

Wenn zu einem bloßen Eheversprechen, in solchen Ländern,
wo dergleichen für gültig gehalten wird, durchaus erfordert
würde, daß beyde Theile vorher ein lautes Gebet thun mü-
sten und daß folglich keine Klage und kein Eydesantrag zuge-
lassen würde, worinn nicht, daß dieses Gebet mit allen
Buchstaben laut ausgesprochen worden, articuliret wäre; so
würde ich jetzt zu meiner vermeinten Braut mit Wahrheit
sagen können: Salva Madame utriusque temporis ratio est.
Und wer weiß, ob ich und meine Schöne nicht beyde vor-
sichtiger geworden seyn würden, wenn wir über das Ehever-
sprechen nicht so geschwind hätten weghutschen dürfen?

Wenn zum Versprechen eines Anlehns erfordert würde,
daß man es dreymal mit entblößeten Haupte und aufgereckter
Hand wiederholt haben müste: so hätte ich mein Glas bey
dem vornehmen Herrn niedergesetzt, und wohl eine Gelegen-
heit gefunden zur Thür hinaus zu kommen.

Und wenn endlich das Compliment wegen der Hausmiethe
nicht anders für rechtsbeständig erkläret werden könnte, als
wenn ich es des andern Morgens nochmals wiederholt hätte:
so würde ich mich gewiß in Acht genommen haben, dem gu-
ten Freunde, mit dem ich jetzt darüber processe, zu begegnen.

Oder noch kürzer, wenn zu allen bloßen Versprechungen
ein Stempelboge erfordert würde: so brauchte man sich nur

zu

Alſo ſollte man die roͤmiſch. Stipulationen
geſunden Vernunft, ſo wie den vorangefuͤhrten roͤmiſchen und
deutſchen Grundſaͤtzen nach, ſollte es keinem ehrlichen Mann
zum Schimpf ſondern vielmehr zum Ruhm gereichen, daß
er ein Verſprechen was er nicht mit Bedacht gethan, binnen
24 Stunden wieder zuruͤck nimmt. Dies iſt der menſchlichen
Natur gemaͤß, und wer geſtehen muß, daß er fehlen kan,
muß ſich auch nicht der Reue ſchaͤmen duͤrfen.

Wenn zu einem bloßen Eheverſprechen, in ſolchen Laͤndern,
wo dergleichen fuͤr guͤltig gehalten wird, durchaus erfordert
wuͤrde, daß beyde Theile vorher ein lautes Gebet thun muͤ-
ſten und daß folglich keine Klage und kein Eydesantrag zuge-
laſſen wuͤrde, worinn nicht, daß dieſes Gebet mit allen
Buchſtaben laut ausgeſprochen worden, articuliret waͤre; ſo
wuͤrde ich jetzt zu meiner vermeinten Braut mit Wahrheit
ſagen koͤnnen: Salva Madame utriusque temporis ratio eſt.
Und wer weiß, ob ich und meine Schoͤne nicht beyde vor-
ſichtiger geworden ſeyn wuͤrden, wenn wir uͤber das Ehever-
ſprechen nicht ſo geſchwind haͤtten weghutſchen duͤrfen?

Wenn zum Verſprechen eines Anlehns erfordert wuͤrde,
daß man es dreymal mit entbloͤßeten Haupte und aufgereckter
Hand wiederholt haben muͤſte: ſo haͤtte ich mein Glas bey
dem vornehmen Herrn niedergeſetzt, und wohl eine Gelegen-
heit gefunden zur Thuͤr hinaus zu kommen.

Und wenn endlich das Compliment wegen der Hausmiethe
nicht anders fuͤr rechtsbeſtaͤndig erklaͤret werden koͤnnte, als
wenn ich es des andern Morgens nochmals wiederholt haͤtte:
ſo wuͤrde ich mich gewiß in Acht genommen haben, dem gu-
ten Freunde, mit dem ich jetzt daruͤber proceſſe, zu begegnen.

Oder noch kuͤrzer, wenn zu allen bloßen Verſprechungen
ein Stempelboge erfordert wuͤrde: ſo brauchte man ſich nur

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[250/0268] Alſo ſollte man die roͤmiſch. Stipulationen geſunden Vernunft, ſo wie den vorangefuͤhrten roͤmiſchen und deutſchen Grundſaͤtzen nach, ſollte es keinem ehrlichen Mann zum Schimpf ſondern vielmehr zum Ruhm gereichen, daß er ein Verſprechen was er nicht mit Bedacht gethan, binnen 24 Stunden wieder zuruͤck nimmt. Dies iſt der menſchlichen Natur gemaͤß, und wer geſtehen muß, daß er fehlen kan, muß ſich auch nicht der Reue ſchaͤmen duͤrfen. Wenn zu einem bloßen Eheverſprechen, in ſolchen Laͤndern, wo dergleichen fuͤr guͤltig gehalten wird, durchaus erfordert wuͤrde, daß beyde Theile vorher ein lautes Gebet thun muͤ- ſten und daß folglich keine Klage und kein Eydesantrag zuge- laſſen wuͤrde, worinn nicht, daß dieſes Gebet mit allen Buchſtaben laut ausgeſprochen worden, articuliret waͤre; ſo wuͤrde ich jetzt zu meiner vermeinten Braut mit Wahrheit ſagen koͤnnen: Salva Madame utriusque temporis ratio eſt. Und wer weiß, ob ich und meine Schoͤne nicht beyde vor- ſichtiger geworden ſeyn wuͤrden, wenn wir uͤber das Ehever- ſprechen nicht ſo geſchwind haͤtten weghutſchen duͤrfen? Wenn zum Verſprechen eines Anlehns erfordert wuͤrde, daß man es dreymal mit entbloͤßeten Haupte und aufgereckter Hand wiederholt haben muͤſte: ſo haͤtte ich mein Glas bey dem vornehmen Herrn niedergeſetzt, und wohl eine Gelegen- heit gefunden zur Thuͤr hinaus zu kommen. Und wenn endlich das Compliment wegen der Hausmiethe nicht anders fuͤr rechtsbeſtaͤndig erklaͤret werden koͤnnte, als wenn ich es des andern Morgens nochmals wiederholt haͤtte: ſo wuͤrde ich mich gewiß in Acht genommen haben, dem gu- ten Freunde, mit dem ich jetzt daruͤber proceſſe, zu begegnen. Oder noch kuͤrzer, wenn zu allen bloßen Verſprechungen ein Stempelboge erfordert wuͤrde: ſo brauchte man ſich nur zu

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/268>, abgerufen am 29.03.2024.