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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Ueber die zu unsern Zeiten vermind. Schande
zwungen werden muß. Die Frage ist nicht so schlechterdings
von der Stimme Natur, und von den Rechten der Mensch-
heit, wenn es auf bürgerliche Rechte ankömmt. Im Stan-
de der Natur ist keine Ehe, und so bald man die Begriffe hie-
von aus dem Stande der Civilvereinigung in den Stand der
Natur überträgt: so begeht man eine gefährliche Vermischung,
deren Folgen in der That schädlicher sind, als man sich ein-
bildet.

Ist es wahr, daß die Ehe ihre großen Beschwerden habe;
ist es wahr, daß viele ihr den ledigen Stand vorziehen: so ist
nothwendig alles dasjenige was den ledigen Stand begünstiget,
und was ihm alles Vergnügen, was die Ehe gewähret, ohne
jene Beschwerden verschaffet, unpolitisch und wider die wahre
Wohlfahrt des Staats, nachdem es eine ausgemachte Wahr-
heit ist, daß aus einer Ehe mehr Kinder gebohren werden,
als aus dreyen unerlaubten Verbindungen. Es ist unpoli-
tisch, den Hurkindern einerley Ehre mit den ächtgebohrnen zu
geben, weil dadurch der stärkste Bewegungsgrund für die Ehe
wegfällt. Es ist unpolitisch, den unglücklichen Müttern jener
verbotenen Früchte ihre vorige Achtung zu erhalten, weil eben
die Furcht für den Verlust derselben das wahre Mittel seyn
soll, die Ehen zu befördern. Es ist unpolitisch, dem ehelosen
Leben im burgerlichen Stande, gleiche Wohlthaten mit dem
ehlichen zu verleihen, weil der Hausstand einer Familie dem
Staate mehr nutzt und mehr beyträgt als der Stand loser
Gesellen.

Unsre Vorfahren, die nicht nach Theorien urtheilten, son-
dern sich durch Erfahrungen leiten ließen, forderten immer
zuerst den Geburtsbrief, wenn sie einen in ihre Gilden oder
Gesellschaften aufnehmen sollten; sie heyratheten nur ächtge-
bohrne Töchter; sie drückten die Früchte einer verbotenen

Liebe

Ueber die zu unſern Zeiten vermind. Schande
zwungen werden muß. Die Frage iſt nicht ſo ſchlechterdings
von der Stimme Natur, und von den Rechten der Menſch-
heit, wenn es auf buͤrgerliche Rechte ankoͤmmt. Im Stan-
de der Natur iſt keine Ehe, und ſo bald man die Begriffe hie-
von aus dem Stande der Civilvereinigung in den Stand der
Natur uͤbertraͤgt: ſo begeht man eine gefaͤhrliche Vermiſchung,
deren Folgen in der That ſchaͤdlicher ſind, als man ſich ein-
bildet.

Iſt es wahr, daß die Ehe ihre großen Beſchwerden habe;
iſt es wahr, daß viele ihr den ledigen Stand vorziehen: ſo iſt
nothwendig alles dasjenige was den ledigen Stand beguͤnſtiget,
und was ihm alles Vergnuͤgen, was die Ehe gewaͤhret, ohne
jene Beſchwerden verſchaffet, unpolitiſch und wider die wahre
Wohlfahrt des Staats, nachdem es eine ausgemachte Wahr-
heit iſt, daß aus einer Ehe mehr Kinder gebohren werden,
als aus dreyen unerlaubten Verbindungen. Es iſt unpoli-
tiſch, den Hurkindern einerley Ehre mit den aͤchtgebohrnen zu
geben, weil dadurch der ſtaͤrkſte Bewegungsgrund fuͤr die Ehe
wegfaͤllt. Es iſt unpolitiſch, den ungluͤcklichen Muͤttern jener
verbotenen Fruͤchte ihre vorige Achtung zu erhalten, weil eben
die Furcht fuͤr den Verluſt derſelben das wahre Mittel ſeyn
ſoll, die Ehen zu befoͤrdern. Es iſt unpolitiſch, dem eheloſen
Leben im burgerlichen Stande, gleiche Wohlthaten mit dem
ehlichen zu verleihen, weil der Hausſtand einer Familie dem
Staate mehr nutzt und mehr beytraͤgt als der Stand loſer
Geſellen.

Unſre Vorfahren, die nicht nach Theorien urtheilten, ſon-
dern ſich durch Erfahrungen leiten ließen, forderten immer
zuerſt den Geburtsbrief, wenn ſie einen in ihre Gilden oder
Geſellſchaften aufnehmen ſollten; ſie heyratheten nur aͤchtge-
bohrne Toͤchter; ſie druͤckten die Fruͤchte einer verbotenen

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[292/0310] Ueber die zu unſern Zeiten vermind. Schande zwungen werden muß. Die Frage iſt nicht ſo ſchlechterdings von der Stimme Natur, und von den Rechten der Menſch- heit, wenn es auf buͤrgerliche Rechte ankoͤmmt. Im Stan- de der Natur iſt keine Ehe, und ſo bald man die Begriffe hie- von aus dem Stande der Civilvereinigung in den Stand der Natur uͤbertraͤgt: ſo begeht man eine gefaͤhrliche Vermiſchung, deren Folgen in der That ſchaͤdlicher ſind, als man ſich ein- bildet. Iſt es wahr, daß die Ehe ihre großen Beſchwerden habe; iſt es wahr, daß viele ihr den ledigen Stand vorziehen: ſo iſt nothwendig alles dasjenige was den ledigen Stand beguͤnſtiget, und was ihm alles Vergnuͤgen, was die Ehe gewaͤhret, ohne jene Beſchwerden verſchaffet, unpolitiſch und wider die wahre Wohlfahrt des Staats, nachdem es eine ausgemachte Wahr- heit iſt, daß aus einer Ehe mehr Kinder gebohren werden, als aus dreyen unerlaubten Verbindungen. Es iſt unpoli- tiſch, den Hurkindern einerley Ehre mit den aͤchtgebohrnen zu geben, weil dadurch der ſtaͤrkſte Bewegungsgrund fuͤr die Ehe wegfaͤllt. Es iſt unpolitiſch, den ungluͤcklichen Muͤttern jener verbotenen Fruͤchte ihre vorige Achtung zu erhalten, weil eben die Furcht fuͤr den Verluſt derſelben das wahre Mittel ſeyn ſoll, die Ehen zu befoͤrdern. Es iſt unpolitiſch, dem eheloſen Leben im burgerlichen Stande, gleiche Wohlthaten mit dem ehlichen zu verleihen, weil der Hausſtand einer Familie dem Staate mehr nutzt und mehr beytraͤgt als der Stand loſer Geſellen. Unſre Vorfahren, die nicht nach Theorien urtheilten, ſon- dern ſich durch Erfahrungen leiten ließen, forderten immer zuerſt den Geburtsbrief, wenn ſie einen in ihre Gilden oder Geſellſchaften aufnehmen ſollten; ſie heyratheten nur aͤchtge- bohrne Toͤchter; ſie druͤckten die Fruͤchte einer verbotenen Liebe

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/310>, abgerufen am 24.04.2024.