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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Der Galgen ist für uns und für unsre Kinder.
wendung davon gemacht worden. Aus einer gewissen Stadt
schickte man vor einigen Jahren die Missethäter auf ein nahe
gelegenes Amt, um an ihnen dort das Urtheil vollziehen zu
lassen. Anfangs achteten dessen Eingesessene darauf nicht;
wie sie aber gar zu oft aufgeboten wurden, einen armen Sün-
der zur Gerichtstatt zu begleiten, denselben zu fahren, den
Galgen dafür zu errichten und andre damit verknüpfte Be-
schwerden zu übernehmen: so fiel es ihnen endlich ein, einen
Rechtsgelehrten darüber zu vernehmen, und dieser wußte
die Sache nicht besser zu entscheiden, als daß er ihnen sagte:
Der Galgen ist blos für euch und für eure Kinder. Der
Amtmann, wie er dieses hörte, stimmete mit ein, und fühlte
gleich, daß er auch nicht schuldig wäre, jedem schlechten Kerl, der
dahin geschickt wurde, zum Galgen vorzureiten; und der Pfar-
rer wegerte sich aus einem gleichen Grunde, dergleichen Wechsel-
bälge für die gewöhnliche Gebühr zu begleiten. Einem fremden
Diebe, der in meiner Pfarre ergriffen wird, fügte er wohlbedächt-
lich hinzu, binich diesen letzten Dienst schuldig; so wie ich auch ei-
nem fremden, der in meinem Kirchspiel stirbt, ein Plätzgen gön-
neu muß. Dies ist ein Nothrecht, und den es trift den trift es;
aber mir solche nach Belieben zuschicken zu lassen, sie drey Tage
und drey Nächte zum Tode zu bereiten, und dafür nur die
gewöhnliche Gebühr zu erhalten, das ist in der That etwas
hart. Die Obrigkeit fand die Vorstellung gegründet, und
verordnete, daß die Vollstreckung der peinlichen Urtheile
künftig unter den Aemtern in der Reihe herumgehen, und
solchergestalt die Gleichheit wieder hergestellet werden sollte.

Es währete nicht lange: so sollte ein Dieb gerichtet werden,
der auf einem freyen Hofe, dessen Besitzer nicht mit zur Ge-
richtsfolge gehörte, ergriffen war. Dessen Besitzer und sei-
nem Gesinde, sagten die Amtsunterthanen, sind wir den letz-
ten Liebesdienst schuldig; denn er hat seine Vorrechte ehedem

um

Der Galgen iſt fuͤr uns und fuͤr unſre Kinder.
wendung davon gemacht worden. Aus einer gewiſſen Stadt
ſchickte man vor einigen Jahren die Miſſethaͤter auf ein nahe
gelegenes Amt, um an ihnen dort das Urtheil vollziehen zu
laſſen. Anfangs achteten deſſen Eingeſeſſene darauf nicht;
wie ſie aber gar zu oft aufgeboten wurden, einen armen Suͤn-
der zur Gerichtſtatt zu begleiten, denſelben zu fahren, den
Galgen dafuͤr zu errichten und andre damit verknuͤpfte Be-
ſchwerden zu uͤbernehmen: ſo fiel es ihnen endlich ein, einen
Rechtsgelehrten daruͤber zu vernehmen, und dieſer wußte
die Sache nicht beſſer zu entſcheiden, als daß er ihnen ſagte:
Der Galgen iſt blos fuͤr euch und fuͤr eure Kinder. Der
Amtmann, wie er dieſes hoͤrte, ſtimmete mit ein, und fuͤhlte
gleich, daß er auch nicht ſchuldig waͤre, jedem ſchlechten Kerl, der
dahin geſchickt wurde, zum Galgen vorzureiten; und der Pfar-
rer wegerte ſich aus einem gleichen Grunde, dergleichen Wechſel-
baͤlge fuͤr die gewoͤhnliche Gebuͤhr zu begleiten. Einem fremden
Diebe, der in meiner Pfarre ergriffen wird, fuͤgte er wohlbedaͤcht-
lich hinzu, binich dieſen letzten Dienſt ſchuldig; ſo wie ich auch ei-
nem fremden, der in meinem Kirchſpiel ſtirbt, ein Plaͤtzgen goͤn-
neu muß. Dies iſt ein Nothrecht, und den es trift den trift es;
aber mir ſolche nach Belieben zuſchicken zu laſſen, ſie drey Tage
und drey Naͤchte zum Tode zu bereiten, und dafuͤr nur die
gewoͤhnliche Gebuͤhr zu erhalten, das iſt in der That etwas
hart. Die Obrigkeit fand die Vorſtellung gegruͤndet, und
verordnete, daß die Vollſtreckung der peinlichen Urtheile
kuͤnftig unter den Aemtern in der Reihe herumgehen, und
ſolchergeſtalt die Gleichheit wieder hergeſtellet werden ſollte.

Es waͤhrete nicht lange: ſo ſollte ein Dieb gerichtet werden,
der auf einem freyen Hofe, deſſen Beſitzer nicht mit zur Ge-
richtsfolge gehoͤrte, ergriffen war. Deſſen Beſitzer und ſei-
nem Geſinde, ſagten die Amtsunterthanen, ſind wir den letz-
ten Liebesdienſt ſchuldig; denn er hat ſeine Vorrechte ehedem

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[299/0317] Der Galgen iſt fuͤr uns und fuͤr unſre Kinder. wendung davon gemacht worden. Aus einer gewiſſen Stadt ſchickte man vor einigen Jahren die Miſſethaͤter auf ein nahe gelegenes Amt, um an ihnen dort das Urtheil vollziehen zu laſſen. Anfangs achteten deſſen Eingeſeſſene darauf nicht; wie ſie aber gar zu oft aufgeboten wurden, einen armen Suͤn- der zur Gerichtſtatt zu begleiten, denſelben zu fahren, den Galgen dafuͤr zu errichten und andre damit verknuͤpfte Be- ſchwerden zu uͤbernehmen: ſo fiel es ihnen endlich ein, einen Rechtsgelehrten daruͤber zu vernehmen, und dieſer wußte die Sache nicht beſſer zu entſcheiden, als daß er ihnen ſagte: Der Galgen iſt blos fuͤr euch und fuͤr eure Kinder. Der Amtmann, wie er dieſes hoͤrte, ſtimmete mit ein, und fuͤhlte gleich, daß er auch nicht ſchuldig waͤre, jedem ſchlechten Kerl, der dahin geſchickt wurde, zum Galgen vorzureiten; und der Pfar- rer wegerte ſich aus einem gleichen Grunde, dergleichen Wechſel- baͤlge fuͤr die gewoͤhnliche Gebuͤhr zu begleiten. Einem fremden Diebe, der in meiner Pfarre ergriffen wird, fuͤgte er wohlbedaͤcht- lich hinzu, binich dieſen letzten Dienſt ſchuldig; ſo wie ich auch ei- nem fremden, der in meinem Kirchſpiel ſtirbt, ein Plaͤtzgen goͤn- neu muß. Dies iſt ein Nothrecht, und den es trift den trift es; aber mir ſolche nach Belieben zuſchicken zu laſſen, ſie drey Tage und drey Naͤchte zum Tode zu bereiten, und dafuͤr nur die gewoͤhnliche Gebuͤhr zu erhalten, das iſt in der That etwas hart. Die Obrigkeit fand die Vorſtellung gegruͤndet, und verordnete, daß die Vollſtreckung der peinlichen Urtheile kuͤnftig unter den Aemtern in der Reihe herumgehen, und ſolchergeſtalt die Gleichheit wieder hergeſtellet werden ſollte. Es waͤhrete nicht lange: ſo ſollte ein Dieb gerichtet werden, der auf einem freyen Hofe, deſſen Beſitzer nicht mit zur Ge- richtsfolge gehoͤrte, ergriffen war. Deſſen Beſitzer und ſei- nem Geſinde, ſagten die Amtsunterthanen, ſind wir den letz- ten Liebesdienſt ſchuldig; denn er hat ſeine Vorrechte ehedem um

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/317>, abgerufen am 24.04.2024.