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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Der Galgen ist für uns
um uns verdient. Aber wenn er andre Leute aufnimmt und
heget, so mag er auch sehen wie nnd wo er sie hängt; unser
Galgen ist für uns und unsre Kinder, und da jener mit uns
nicht zur Leiche gekommen: so sind wir auch nicht schuldig ihn
zu begleiten. Er kan so wenig unsre Folge als eine Galgen-
stätte auf unser Gemeinheit von gemeiner Pflicht wegen for-
dern. Wir sind nicht schuldig ein Gefängniß für ihn zu er-
halten, ihn dort zu bewachen, und den Scharfrichter für ihn
zu holen. Wer den Vortheil davon hat, mag sich auch des
Schadens nicht erwähren. ..... Der Proceß hierüber
währte lange, und wurde endlich dahin verglichen, daß der
Besitzer des freyen Hofes jährlich eine Tonne Bier und einen
Schinken an die Gemeinheit dafür entrichten sollte, daß seine
Hintersassen mit unter die Kinder aufgenommen würden, für
welche der Galgen gehörte; der Amtmann und der Pfarrer
sollten, so oft sich der Fall zutrüge, besonders dafür erkannt
werden, wenn sie die Begleitung nicht aus Gefälligkeit über-
nehmen wollten.

Der Landesherr, dem dieses als ein Geschichtgen erzählet
wurde, nahm aber die Sache ganz ernstlich auf. Nein,
sagte er, dieses soll nicht geschehn, der Galgen ist für meine
getreuen Unterthanen, die ihn bauen und erhalten, und mich
durch Steuren, Schoß und Brüchten in den Stand setzen,
die peinliche Gerichtsbarkeit zu ihrer Sicherheit auszuüben.
Ist also jemand in meinem Lande, der Leute in seinem Be-
zirke hat, die nicht zur gemeinen Folge kommen, der mag
auch für Wachen, Gefängniß, Scharfrichter und Galgen
sorgen.

Auf diese Weise, warf die Fürstin ein, würde auch mein
Spinnhäusgen, was mit lauter fremden Landstreichern be-
setzt ist, nur für Ihre getreuen Unterthanen seyn müssen.

Aller-

Der Galgen iſt fuͤr uns
um uns verdient. Aber wenn er andre Leute aufnimmt und
heget, ſo mag er auch ſehen wie nnd wo er ſie haͤngt; unſer
Galgen iſt fuͤr uns und unſre Kinder, und da jener mit uns
nicht zur Leiche gekommen: ſo ſind wir auch nicht ſchuldig ihn
zu begleiten. Er kan ſo wenig unſre Folge als eine Galgen-
ſtaͤtte auf unſer Gemeinheit von gemeiner Pflicht wegen for-
dern. Wir ſind nicht ſchuldig ein Gefaͤngniß fuͤr ihn zu er-
halten, ihn dort zu bewachen, und den Scharfrichter fuͤr ihn
zu holen. Wer den Vortheil davon hat, mag ſich auch des
Schadens nicht erwaͤhren. ..... Der Proceß hieruͤber
waͤhrte lange, und wurde endlich dahin verglichen, daß der
Beſitzer des freyen Hofes jaͤhrlich eine Tonne Bier und einen
Schinken an die Gemeinheit dafuͤr entrichten ſollte, daß ſeine
Hinterſaſſen mit unter die Kinder aufgenommen wuͤrden, fuͤr
welche der Galgen gehoͤrte; der Amtmann und der Pfarrer
ſollten, ſo oft ſich der Fall zutruͤge, beſonders dafuͤr erkannt
werden, wenn ſie die Begleitung nicht aus Gefaͤlligkeit uͤber-
nehmen wollten.

Der Landesherr, dem dieſes als ein Geſchichtgen erzaͤhlet
wurde, nahm aber die Sache ganz ernſtlich auf. Nein,
ſagte er, dieſes ſoll nicht geſchehn, der Galgen iſt fuͤr meine
getreuen Unterthanen, die ihn bauen und erhalten, und mich
durch Steuren, Schoß und Bruͤchten in den Stand ſetzen,
die peinliche Gerichtsbarkeit zu ihrer Sicherheit auszuuͤben.
Iſt alſo jemand in meinem Lande, der Leute in ſeinem Be-
zirke hat, die nicht zur gemeinen Folge kommen, der mag
auch fuͤr Wachen, Gefaͤngniß, Scharfrichter und Galgen
ſorgen.

Auf dieſe Weiſe, warf die Fuͤrſtin ein, wuͤrde auch mein
Spinnhaͤusgen, was mit lauter fremden Landſtreichern be-
ſetzt iſt, nur fuͤr Ihre getreuen Unterthanen ſeyn muͤſſen.

Aller-
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[300/0318] Der Galgen iſt fuͤr uns um uns verdient. Aber wenn er andre Leute aufnimmt und heget, ſo mag er auch ſehen wie nnd wo er ſie haͤngt; unſer Galgen iſt fuͤr uns und unſre Kinder, und da jener mit uns nicht zur Leiche gekommen: ſo ſind wir auch nicht ſchuldig ihn zu begleiten. Er kan ſo wenig unſre Folge als eine Galgen- ſtaͤtte auf unſer Gemeinheit von gemeiner Pflicht wegen for- dern. Wir ſind nicht ſchuldig ein Gefaͤngniß fuͤr ihn zu er- halten, ihn dort zu bewachen, und den Scharfrichter fuͤr ihn zu holen. Wer den Vortheil davon hat, mag ſich auch des Schadens nicht erwaͤhren. ..... Der Proceß hieruͤber waͤhrte lange, und wurde endlich dahin verglichen, daß der Beſitzer des freyen Hofes jaͤhrlich eine Tonne Bier und einen Schinken an die Gemeinheit dafuͤr entrichten ſollte, daß ſeine Hinterſaſſen mit unter die Kinder aufgenommen wuͤrden, fuͤr welche der Galgen gehoͤrte; der Amtmann und der Pfarrer ſollten, ſo oft ſich der Fall zutruͤge, beſonders dafuͤr erkannt werden, wenn ſie die Begleitung nicht aus Gefaͤlligkeit uͤber- nehmen wollten. Der Landesherr, dem dieſes als ein Geſchichtgen erzaͤhlet wurde, nahm aber die Sache ganz ernſtlich auf. Nein, ſagte er, dieſes ſoll nicht geſchehn, der Galgen iſt fuͤr meine getreuen Unterthanen, die ihn bauen und erhalten, und mich durch Steuren, Schoß und Bruͤchten in den Stand ſetzen, die peinliche Gerichtsbarkeit zu ihrer Sicherheit auszuuͤben. Iſt alſo jemand in meinem Lande, der Leute in ſeinem Be- zirke hat, die nicht zur gemeinen Folge kommen, der mag auch fuͤr Wachen, Gefaͤngniß, Scharfrichter und Galgen ſorgen. Auf dieſe Weiſe, warf die Fuͤrſtin ein, wuͤrde auch mein Spinnhaͤusgen, was mit lauter fremden Landſtreichern be- ſetzt iſt, nur fuͤr Ihre getreuen Unterthanen ſeyn muͤſſen. Aller-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/318>, abgerufen am 24.04.2024.