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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Schreiben einer betagten Jungfer
Verdienstvollen unbemittelten Mann in den Stand zu setzen,
eine Wahl nach seinem Herzen treffen zu können; um ein tu-
gendhaftes junges Frauenzimmer zu reitzen einen solchen Mann
glücklich zu machen, und um endlich die spröden Mädgen mit
Fleiß zu zwingen, sich denjenigen Unterhalt durch den Ehe-
stand zu erwerben, der ihnen im ledigen Stande fehlen
könnte.

Diese Ursachen sind freylich groß, und wenigstens so poli-
tisch, wie man sie von Mannspersonen erwarten kan. Allein
zugegeben, daß sie ihre völlige Richtigkeit haben; zugegeben,
daß es wohl nicht rathsam seyn mögte, Verpflegungsanstalten
für Mädgen von einem gewissen Alter zu machen, weil manche
darauf rechnen, und sich entweder den Beschwerden des Ehe-
standes, oder dem Dienste bey andern entziehen mögten: so
dünkt mich doch, daß ein funfzigjähriges lediges Frauenzim-
mer, das sich jederzeit unsträflich gehalten, das im Dienste
bey andern einen Theil seiner besten Jahre zugesetzt, dem man
nicht verwerfen könnte die Hand eines ehrlichen Mannes
ausgeschlagen zu haben; ein solches Mädgen dünkt mich, sollte
von der strengen Regel ausgenommen seyn. Ein solches
Mädgen müste alsdann, aber auch nicht eher, die Wittwen-
pension erlangen können, als bis ihr Erhalter und Freund,
der an Mannsstatt für sie eingesetzt, zu sterben käme. Steht
es doch bey ihr, sich einem Manne in der Fremde zum Schein
antrauen zu lassen, und mit Hülfe des Trauscheins dereinst
Wittwe zu werden; warum will man sie denn zu einem Um-
wege zwingen, da man ihr auf einem nähern Wege helfen
kan?

Ueberlegen Sie es doch, mein Herr! ich bitte Sie mit
heissen ungesehenen Thränen, ob uns armen Kindern nicht zu
helfen sey? Sollte es auch nicht anders geschehen können,

als

Schreiben einer betagten Jungfer
Verdienſtvollen unbemittelten Mann in den Stand zu ſetzen,
eine Wahl nach ſeinem Herzen treffen zu koͤnnen; um ein tu-
gendhaftes junges Frauenzimmer zu reitzen einen ſolchen Mann
gluͤcklich zu machen, und um endlich die ſproͤden Maͤdgen mit
Fleiß zu zwingen, ſich denjenigen Unterhalt durch den Ehe-
ſtand zu erwerben, der ihnen im ledigen Stande fehlen
koͤnnte.

Dieſe Urſachen ſind freylich groß, und wenigſtens ſo poli-
tiſch, wie man ſie von Mannsperſonen erwarten kan. Allein
zugegeben, daß ſie ihre voͤllige Richtigkeit haben; zugegeben,
daß es wohl nicht rathſam ſeyn moͤgte, Verpflegungsanſtalten
fuͤr Maͤdgen von einem gewiſſen Alter zu machen, weil manche
darauf rechnen, und ſich entweder den Beſchwerden des Ehe-
ſtandes, oder dem Dienſte bey andern entziehen moͤgten: ſo
duͤnkt mich doch, daß ein funfzigjaͤhriges lediges Frauenzim-
mer, das ſich jederzeit unſtraͤflich gehalten, das im Dienſte
bey andern einen Theil ſeiner beſten Jahre zugeſetzt, dem man
nicht verwerfen koͤnnte die Hand eines ehrlichen Mannes
ausgeſchlagen zu haben; ein ſolches Maͤdgen duͤnkt mich, ſollte
von der ſtrengen Regel ausgenommen ſeyn. Ein ſolches
Maͤdgen muͤſte alsdann, aber auch nicht eher, die Wittwen-
penſion erlangen koͤnnen, als bis ihr Erhalter und Freund,
der an Mannsſtatt fuͤr ſie eingeſetzt, zu ſterben kaͤme. Steht
es doch bey ihr, ſich einem Manne in der Fremde zum Schein
antrauen zu laſſen, und mit Huͤlfe des Trauſcheins dereinſt
Wittwe zu werden; warum will man ſie denn zu einem Um-
wege zwingen, da man ihr auf einem naͤhern Wege helfen
kan?

Ueberlegen Sie es doch, mein Herr! ich bitte Sie mit
heiſſen ungeſehenen Thraͤnen, ob uns armen Kindern nicht zu
helfen ſey? Sollte es auch nicht anders geſchehen koͤnnen,

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[314/0332] Schreiben einer betagten Jungfer Verdienſtvollen unbemittelten Mann in den Stand zu ſetzen, eine Wahl nach ſeinem Herzen treffen zu koͤnnen; um ein tu- gendhaftes junges Frauenzimmer zu reitzen einen ſolchen Mann gluͤcklich zu machen, und um endlich die ſproͤden Maͤdgen mit Fleiß zu zwingen, ſich denjenigen Unterhalt durch den Ehe- ſtand zu erwerben, der ihnen im ledigen Stande fehlen koͤnnte. Dieſe Urſachen ſind freylich groß, und wenigſtens ſo poli- tiſch, wie man ſie von Mannsperſonen erwarten kan. Allein zugegeben, daß ſie ihre voͤllige Richtigkeit haben; zugegeben, daß es wohl nicht rathſam ſeyn moͤgte, Verpflegungsanſtalten fuͤr Maͤdgen von einem gewiſſen Alter zu machen, weil manche darauf rechnen, und ſich entweder den Beſchwerden des Ehe- ſtandes, oder dem Dienſte bey andern entziehen moͤgten: ſo duͤnkt mich doch, daß ein funfzigjaͤhriges lediges Frauenzim- mer, das ſich jederzeit unſtraͤflich gehalten, das im Dienſte bey andern einen Theil ſeiner beſten Jahre zugeſetzt, dem man nicht verwerfen koͤnnte die Hand eines ehrlichen Mannes ausgeſchlagen zu haben; ein ſolches Maͤdgen duͤnkt mich, ſollte von der ſtrengen Regel ausgenommen ſeyn. Ein ſolches Maͤdgen muͤſte alsdann, aber auch nicht eher, die Wittwen- penſion erlangen koͤnnen, als bis ihr Erhalter und Freund, der an Mannsſtatt fuͤr ſie eingeſetzt, zu ſterben kaͤme. Steht es doch bey ihr, ſich einem Manne in der Fremde zum Schein antrauen zu laſſen, und mit Huͤlfe des Trauſcheins dereinſt Wittwe zu werden; warum will man ſie denn zu einem Um- wege zwingen, da man ihr auf einem naͤhern Wege helfen kan? Ueberlegen Sie es doch, mein Herr! ich bitte Sie mit heiſſen ungeſehenen Thraͤnen, ob uns armen Kindern nicht zu helfen ſey? Sollte es auch nicht anders geſchehen koͤnnen, als

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/332>, abgerufen am 25.04.2024.