Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

an ihre junge Niece.
setzen. Die beste Manier für ein junges westphälisches Mäd-
gen ist, sich in dem Rufe eines guten Kindes zu erhalten,
sich der Wirthschaft zu befleißigen, und der Mode zu folgen,
so wie sie der Rangordnung nach an sie kömmt. Diejenige,
so hierin zu viel oder zu wenig thut, verfehlt das allgemeine
Ziel und verlischt ehe sie brennet.

Wenn ich Ihnen also als eine gute Tante rathen soll: so
erniedrigen sie ihren Kopfputz vorerst nur um einen Zoll; und
befleißigen sich der Wirthschaft ohne jemals davon zu sprechen.
Zeigen Sie ihren Freunden ein ofnes Herz; vermeiden Sie
allen Hang zu besondern Tugenden und lassen die Weißheit
denen, die solche besser verwahren können als es ein junges
Mädgen thun kan. Dies waren die Regeln meines seligen
Vaters, wodurch ich eine glückliche Frau geworden bin; an-
statt daß verschiedene meiner alten Gespielinnen, die wie ich
versichert bin, mehrern Witz, höhere Tugenden und einen
feinern Geschmack hatten, und dabey immer sich nach der
neuesten Mode kleideten, oft bewundert und nie geliebet wur-
den.

Ihre wahre natürliche Stärke, mein liebes Kind! ist ein
gutes empfindliches Herz; keine Rolle gelingt besser als die-
jenige, wozu man von Natur aufgelegt ist. Wollen sie also
ja in ihren Jahren durch einen besondern Vorzug glänzen:
so setzen sie ihre ganze Kunst darinn, daß Sie dieses gute em-
pfindliche Herz einem jeden auf die vortheilhafteste Art zeigen.
Seyn sie aufrichtig und spielen die Aufrichtigkeit; diese Co-
mödie gelingt und gefällt leicht, anstatt, daß ihnen ein offen-
barer Krieg mit allen Modethorheiten oder eine andre strenge
Tugend in ihren Jahren nur Spott zuziehen wird. Vielleicht
denken Sie, daran sey nichts gelegen, und es sey rühmlich,
der Tugend ein solches Opfer zu bringen. Allein glauben

Sie
Z 5

an ihre junge Niece.
ſetzen. Die beſte Manier fuͤr ein junges weſtphaͤliſches Maͤd-
gen iſt, ſich in dem Rufe eines guten Kindes zu erhalten,
ſich der Wirthſchaft zu befleißigen, und der Mode zu folgen,
ſo wie ſie der Rangordnung nach an ſie koͤmmt. Diejenige,
ſo hierin zu viel oder zu wenig thut, verfehlt das allgemeine
Ziel und verliſcht ehe ſie brennet.

Wenn ich Ihnen alſo als eine gute Tante rathen ſoll: ſo
erniedrigen ſie ihren Kopfputz vorerſt nur um einen Zoll; und
befleißigen ſich der Wirthſchaft ohne jemals davon zu ſprechen.
Zeigen Sie ihren Freunden ein ofnes Herz; vermeiden Sie
allen Hang zu beſondern Tugenden und laſſen die Weißheit
denen, die ſolche beſſer verwahren koͤnnen als es ein junges
Maͤdgen thun kan. Dies waren die Regeln meines ſeligen
Vaters, wodurch ich eine gluͤckliche Frau geworden bin; an-
ſtatt daß verſchiedene meiner alten Geſpielinnen, die wie ich
verſichert bin, mehrern Witz, hoͤhere Tugenden und einen
feinern Geſchmack hatten, und dabey immer ſich nach der
neueſten Mode kleideten, oft bewundert und nie geliebet wur-
den.

Ihre wahre natuͤrliche Staͤrke, mein liebes Kind! iſt ein
gutes empfindliches Herz; keine Rolle gelingt beſſer als die-
jenige, wozu man von Natur aufgelegt iſt. Wollen ſie alſo
ja in ihren Jahren durch einen beſondern Vorzug glaͤnzen:
ſo ſetzen ſie ihre ganze Kunſt darinn, daß Sie dieſes gute em-
pfindliche Herz einem jeden auf die vortheilhafteſte Art zeigen.
Seyn ſie aufrichtig und ſpielen die Aufrichtigkeit; dieſe Co-
moͤdie gelingt und gefaͤllt leicht, anſtatt, daß ihnen ein offen-
barer Krieg mit allen Modethorheiten oder eine andre ſtrenge
Tugend in ihren Jahren nur Spott zuziehen wird. Vielleicht
denken Sie, daran ſey nichts gelegen, und es ſey ruͤhmlich,
der Tugend ein ſolches Opfer zu bringen. Allein glauben

Sie
Z 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0379" n="361"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">an ihre junge Niece.</hi></fw><lb/>
&#x017F;etzen. Die be&#x017F;te Manier fu&#x0364;r ein junges we&#x017F;tpha&#x0364;li&#x017F;ches Ma&#x0364;d-<lb/>
gen i&#x017F;t, &#x017F;ich in dem Rufe eines <hi rendition="#fr">guten Kindes</hi> zu erhalten,<lb/>
&#x017F;ich der Wirth&#x017F;chaft zu befleißigen, und der Mode zu folgen,<lb/>
&#x017F;o wie &#x017F;ie der Rangordnung nach an &#x017F;ie ko&#x0364;mmt. Diejenige,<lb/>
&#x017F;o hierin zu viel oder zu wenig thut, verfehlt das allgemeine<lb/>
Ziel und verli&#x017F;cht ehe &#x017F;ie brennet.</p><lb/>
        <p>Wenn ich Ihnen al&#x017F;o als eine gute Tante rathen &#x017F;oll: &#x017F;o<lb/>
erniedrigen &#x017F;ie ihren Kopfputz vorer&#x017F;t nur um einen Zoll; und<lb/>
befleißigen &#x017F;ich der Wirth&#x017F;chaft ohne jemals davon zu &#x017F;prechen.<lb/>
Zeigen Sie ihren Freunden ein ofnes Herz; vermeiden Sie<lb/>
allen Hang zu be&#x017F;ondern Tugenden und la&#x017F;&#x017F;en die Weißheit<lb/>
denen, die &#x017F;olche be&#x017F;&#x017F;er verwahren ko&#x0364;nnen als es ein junges<lb/>
Ma&#x0364;dgen thun kan. Dies waren die Regeln meines &#x017F;eligen<lb/>
Vaters, wodurch ich eine glu&#x0364;ckliche Frau geworden bin; an-<lb/>
&#x017F;tatt daß ver&#x017F;chiedene meiner alten Ge&#x017F;pielinnen, die wie ich<lb/>
ver&#x017F;ichert bin, mehrern Witz, ho&#x0364;here Tugenden und einen<lb/>
feinern Ge&#x017F;chmack hatten, und dabey immer &#x017F;ich nach der<lb/>
neue&#x017F;ten Mode kleideten, oft bewundert und nie geliebet wur-<lb/>
den.</p><lb/>
        <p>Ihre wahre natu&#x0364;rliche Sta&#x0364;rke, mein liebes Kind! i&#x017F;t ein<lb/>
gutes empfindliches Herz; keine Rolle gelingt be&#x017F;&#x017F;er als die-<lb/>
jenige, wozu man von Natur aufgelegt i&#x017F;t. Wollen &#x017F;ie al&#x017F;o<lb/>
ja in ihren Jahren durch einen be&#x017F;ondern Vorzug gla&#x0364;nzen:<lb/>
&#x017F;o &#x017F;etzen &#x017F;ie ihre ganze Kun&#x017F;t darinn, daß Sie die&#x017F;es gute em-<lb/>
pfindliche Herz einem jeden auf die vortheilhafte&#x017F;te Art zeigen.<lb/>
Seyn &#x017F;ie aufrichtig und &#x017F;pielen die Aufrichtigkeit; die&#x017F;e Co-<lb/>
mo&#x0364;die gelingt und gefa&#x0364;llt leicht, an&#x017F;tatt, daß ihnen ein offen-<lb/>
barer Krieg mit allen Modethorheiten oder eine andre &#x017F;trenge<lb/>
Tugend in ihren Jahren nur Spott zuziehen wird. Vielleicht<lb/>
denken Sie, daran &#x017F;ey nichts gelegen, und es &#x017F;ey ru&#x0364;hmlich,<lb/>
der Tugend ein &#x017F;olches Opfer zu bringen. Allein glauben<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0379] an ihre junge Niece. ſetzen. Die beſte Manier fuͤr ein junges weſtphaͤliſches Maͤd- gen iſt, ſich in dem Rufe eines guten Kindes zu erhalten, ſich der Wirthſchaft zu befleißigen, und der Mode zu folgen, ſo wie ſie der Rangordnung nach an ſie koͤmmt. Diejenige, ſo hierin zu viel oder zu wenig thut, verfehlt das allgemeine Ziel und verliſcht ehe ſie brennet. Wenn ich Ihnen alſo als eine gute Tante rathen ſoll: ſo erniedrigen ſie ihren Kopfputz vorerſt nur um einen Zoll; und befleißigen ſich der Wirthſchaft ohne jemals davon zu ſprechen. Zeigen Sie ihren Freunden ein ofnes Herz; vermeiden Sie allen Hang zu beſondern Tugenden und laſſen die Weißheit denen, die ſolche beſſer verwahren koͤnnen als es ein junges Maͤdgen thun kan. Dies waren die Regeln meines ſeligen Vaters, wodurch ich eine gluͤckliche Frau geworden bin; an- ſtatt daß verſchiedene meiner alten Geſpielinnen, die wie ich verſichert bin, mehrern Witz, hoͤhere Tugenden und einen feinern Geſchmack hatten, und dabey immer ſich nach der neueſten Mode kleideten, oft bewundert und nie geliebet wur- den. Ihre wahre natuͤrliche Staͤrke, mein liebes Kind! iſt ein gutes empfindliches Herz; keine Rolle gelingt beſſer als die- jenige, wozu man von Natur aufgelegt iſt. Wollen ſie alſo ja in ihren Jahren durch einen beſondern Vorzug glaͤnzen: ſo ſetzen ſie ihre ganze Kunſt darinn, daß Sie dieſes gute em- pfindliche Herz einem jeden auf die vortheilhafteſte Art zeigen. Seyn ſie aufrichtig und ſpielen die Aufrichtigkeit; dieſe Co- moͤdie gelingt und gefaͤllt leicht, anſtatt, daß ihnen ein offen- barer Krieg mit allen Modethorheiten oder eine andre ſtrenge Tugend in ihren Jahren nur Spott zuziehen wird. Vielleicht denken Sie, daran ſey nichts gelegen, und es ſey ruͤhmlich, der Tugend ein ſolches Opfer zu bringen. Allein glauben Sie Z 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/379
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/379>, abgerufen am 24.04.2024.