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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Eine erbauliche Betrachtung.
und leider ist dieses jetzt das allgemeine Staatsübel, wenn
der Wehrstand, er sey nun vom Leder oder von der Feder,
besonders wo demselben das Heyrathen erlaubt wird, mit
Weibern und Kindern, den Nehrstand überwiegt; und eine
Menge kleiner und mittelmäßiger Bediente sich wie das Un-
geziefer anhangen.

Auch hierinn sollte man sagen, hätte der geistliche Staat
einen Vorzug, wo der neue Adel verachtet, die jüngern Söhne
und Töchter des Alten mit Präbenden versorgt, und vom
Heyrathen abgehalten, die höhesten Bedienungen mit Geistli-
chen besetzt, und alle Maasreguln genommen werden, daß
der dem Pfluge entzogene Stand, sich wie billig, nicht zu sehr
zur Last des Staats vermehre, und jeder Fürstliche Rath wie-
derum sechs andre Räthe, und sechs künftige Räthinnen zeuge.
Allein auch hier müssen wir mit jenem alten heydnischen Sit-
tenlehrer ausrufen: Ubique naufragium, überall zerbrochene
Töpfe!

Von dem Grunde brauchen wir weiter nichts zu sagen, als
daß solcher nicht leicht zu zahlreich, nicht zu stark und nicht
leicht zu gut gefugt seyn könne; und daß wo es hieran erman-
gelt, wo sich hier eine Lücke bey der andern zeigt, und der
eine Stein geborsten, der ander verwittert, und der dritte ge-
stohlen ist, die ganze Pyramide nothwendig zusammen fallen
müsse. Das merkwürdigste bey dieser Vergleichung ist, daß
die Natur gerade nach den Regeln arbeitet, welche diese Py-
ramidalische Einrichtung erfordert. Denn man wird wahrneh-
men, daß im großen Durchschnitt die menschliche Pyramide im-
mer nach der Spitze zu am ersten abnehme und verdorre. Je
höher hinauf, je mehr schwächliche Gesundheiten und Uebel;
die Fürstlichen Söhne verderben sich früh, damit ihre Kin-
der dem Staate nicht zur Last fallen; die jungen Edelleute

fol-

Eine erbauliche Betrachtung.
und leider iſt dieſes jetzt das allgemeine Staatsuͤbel, wenn
der Wehrſtand, er ſey nun vom Leder oder von der Feder,
beſonders wo demſelben das Heyrathen erlaubt wird, mit
Weibern und Kindern, den Nehrſtand uͤberwiegt; und eine
Menge kleiner und mittelmaͤßiger Bediente ſich wie das Un-
geziefer anhangen.

Auch hierinn ſollte man ſagen, haͤtte der geiſtliche Staat
einen Vorzug, wo der neue Adel verachtet, die juͤngern Soͤhne
und Toͤchter des Alten mit Praͤbenden verſorgt, und vom
Heyrathen abgehalten, die hoͤheſten Bedienungen mit Geiſtli-
chen beſetzt, und alle Maasreguln genommen werden, daß
der dem Pfluge entzogene Stand, ſich wie billig, nicht zu ſehr
zur Laſt des Staats vermehre, und jeder Fuͤrſtliche Rath wie-
derum ſechs andre Raͤthe, und ſechs kuͤnftige Raͤthinnen zeuge.
Allein auch hier muͤſſen wir mit jenem alten heydniſchen Sit-
tenlehrer ausrufen: Ubique naufragium, uͤberall zerbrochene
Toͤpfe!

Von dem Grunde brauchen wir weiter nichts zu ſagen, als
daß ſolcher nicht leicht zu zahlreich, nicht zu ſtark und nicht
leicht zu gut gefugt ſeyn koͤnne; und daß wo es hieran erman-
gelt, wo ſich hier eine Luͤcke bey der andern zeigt, und der
eine Stein geborſten, der ander verwittert, und der dritte ge-
ſtohlen iſt, die ganze Pyramide nothwendig zuſammen fallen
muͤſſe. Das merkwuͤrdigſte bey dieſer Vergleichung iſt, daß
die Natur gerade nach den Regeln arbeitet, welche dieſe Py-
ramidaliſche Einrichtung erfordert. Denn man wird wahrneh-
men, daß im großen Durchſchnitt die menſchliche Pyramide im-
mer nach der Spitze zu am erſten abnehme und verdorre. Je
hoͤher hinauf, je mehr ſchwaͤchliche Geſundheiten und Uebel;
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der dem Staate nicht zur Laſt fallen; die jungen Edelleute

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[383/0401] Eine erbauliche Betrachtung. und leider iſt dieſes jetzt das allgemeine Staatsuͤbel, wenn der Wehrſtand, er ſey nun vom Leder oder von der Feder, beſonders wo demſelben das Heyrathen erlaubt wird, mit Weibern und Kindern, den Nehrſtand uͤberwiegt; und eine Menge kleiner und mittelmaͤßiger Bediente ſich wie das Un- geziefer anhangen. Auch hierinn ſollte man ſagen, haͤtte der geiſtliche Staat einen Vorzug, wo der neue Adel verachtet, die juͤngern Soͤhne und Toͤchter des Alten mit Praͤbenden verſorgt, und vom Heyrathen abgehalten, die hoͤheſten Bedienungen mit Geiſtli- chen beſetzt, und alle Maasreguln genommen werden, daß der dem Pfluge entzogene Stand, ſich wie billig, nicht zu ſehr zur Laſt des Staats vermehre, und jeder Fuͤrſtliche Rath wie- derum ſechs andre Raͤthe, und ſechs kuͤnftige Raͤthinnen zeuge. Allein auch hier muͤſſen wir mit jenem alten heydniſchen Sit- tenlehrer ausrufen: Ubique naufragium, uͤberall zerbrochene Toͤpfe! Von dem Grunde brauchen wir weiter nichts zu ſagen, als daß ſolcher nicht leicht zu zahlreich, nicht zu ſtark und nicht leicht zu gut gefugt ſeyn koͤnne; und daß wo es hieran erman- gelt, wo ſich hier eine Luͤcke bey der andern zeigt, und der eine Stein geborſten, der ander verwittert, und der dritte ge- ſtohlen iſt, die ganze Pyramide nothwendig zuſammen fallen muͤſſe. Das merkwuͤrdigſte bey dieſer Vergleichung iſt, daß die Natur gerade nach den Regeln arbeitet, welche dieſe Py- ramidaliſche Einrichtung erfordert. Denn man wird wahrneh- men, daß im großen Durchſchnitt die menſchliche Pyramide im- mer nach der Spitze zu am erſten abnehme und verdorre. Je hoͤher hinauf, je mehr ſchwaͤchliche Geſundheiten und Uebel; die Fuͤrſtlichen Soͤhne verderben ſich fruͤh, damit ihre Kin- der dem Staate nicht zur Laſt fallen; die jungen Edelleute fol-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/401>, abgerufen am 25.04.2024.