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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Der Staat mit einer Pyramide verglichen.
folgen einem so großen Exempel, und man sagt überhaupt,
große Männer erziehen schlechte Kinder. Mit Macht dringt
sich Gesundheit, Fleiß und Stärke immer von unten auf ge-
gen die Höhe; diese eisernen Tugenden des untern Theils der
Pyramide schieben täglich eine Menge zum Schafte hinaus,
welche dort absterben und wie verdorrete Zweige herunter
fallen; die Hauptstädte werden immer von dem dauerhaften
Pflugstande bevölkert, in der Handlung zählt man immer
mehr gewordene als erzeugte Reiche; und selbst von den Ge-
lehrten will man angemerkt haben, daß die vom geringsten
Herkommen, in ihrer Jugend den mehrsten Fleiß, als Män-
ner die wahre Dauer zur Arbeit, und am seltensten den Feh-
ler die Hypochondrie haben.

Diejenigen haben der Natur gemäs gearbeitet, die dem
Menschen erlaubt haben, dem Heyrathen durch eine Gelübde
zu entsagen; vorausgesetzt, daß keiner zu diesem Gelübde ge-
lassen werde, der zum Grunde der Pyramide gehört, oder
billig zu dessen Verstärkung gebrauchet werden kan; und das
ist auch mehrmalen heylsamlich verordnet worden. Man mag
dagegen so vieles einwenden wie man will: so ist doch offen-
bar, daß wenn die Fürstlichen, Gräflichen, Adlichen und
andrer guter Leute Kinder sich wie die Geringen vermehrten,
die Pyramide oben so dick wie unten werden, und der Schaft
seinen Grund tief in die Erde drücken würde; oder wir müß-
ten eine andre politische Einrichtung haben, nach welcher die
jüngern Kinder Stand und Wapen ablegen, und sich dem
Gewerbe oder Ackerbau ergeben könnten.

Der Militairstand ist zwar freylich ein großer Abnehmer
dieser Kinder. Allein da auch dieser immer mehr und mehr
heyrathet, und ein Officier wie billig nur Officiern zeugt; so
wird die Aussicht immer schlimmer; und der unterste Theil

der

Der Staat mit einer Pyramide verglichen.
folgen einem ſo großen Exempel, und man ſagt uͤberhaupt,
große Maͤnner erziehen ſchlechte Kinder. Mit Macht dringt
ſich Geſundheit, Fleiß und Staͤrke immer von unten auf ge-
gen die Hoͤhe; dieſe eiſernen Tugenden des untern Theils der
Pyramide ſchieben taͤglich eine Menge zum Schafte hinaus,
welche dort abſterben und wie verdorrete Zweige herunter
fallen; die Hauptſtaͤdte werden immer von dem dauerhaften
Pflugſtande bevoͤlkert, in der Handlung zaͤhlt man immer
mehr gewordene als erzeugte Reiche; und ſelbſt von den Ge-
lehrten will man angemerkt haben, daß die vom geringſten
Herkommen, in ihrer Jugend den mehrſten Fleiß, als Maͤn-
ner die wahre Dauer zur Arbeit, und am ſeltenſten den Feh-
ler die Hypochondrie haben.

Diejenigen haben der Natur gemaͤs gearbeitet, die dem
Menſchen erlaubt haben, dem Heyrathen durch eine Geluͤbde
zu entſagen; vorausgeſetzt, daß keiner zu dieſem Geluͤbde ge-
laſſen werde, der zum Grunde der Pyramide gehoͤrt, oder
billig zu deſſen Verſtaͤrkung gebrauchet werden kan; und das
iſt auch mehrmalen heylſamlich verordnet worden. Man mag
dagegen ſo vieles einwenden wie man will: ſo iſt doch offen-
bar, daß wenn die Fuͤrſtlichen, Graͤflichen, Adlichen und
andrer guter Leute Kinder ſich wie die Geringen vermehrten,
die Pyramide oben ſo dick wie unten werden, und der Schaft
ſeinen Grund tief in die Erde druͤcken wuͤrde; oder wir muͤß-
ten eine andre politiſche Einrichtung haben, nach welcher die
juͤngern Kinder Stand und Wapen ablegen, und ſich dem
Gewerbe oder Ackerbau ergeben koͤnnten.

Der Militairſtand iſt zwar freylich ein großer Abnehmer
dieſer Kinder. Allein da auch dieſer immer mehr und mehr
heyrathet, und ein Officier wie billig nur Officiern zeugt; ſo
wird die Ausſicht immer ſchlimmer; und der unterſte Theil

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[384/0402] Der Staat mit einer Pyramide verglichen. folgen einem ſo großen Exempel, und man ſagt uͤberhaupt, große Maͤnner erziehen ſchlechte Kinder. Mit Macht dringt ſich Geſundheit, Fleiß und Staͤrke immer von unten auf ge- gen die Hoͤhe; dieſe eiſernen Tugenden des untern Theils der Pyramide ſchieben taͤglich eine Menge zum Schafte hinaus, welche dort abſterben und wie verdorrete Zweige herunter fallen; die Hauptſtaͤdte werden immer von dem dauerhaften Pflugſtande bevoͤlkert, in der Handlung zaͤhlt man immer mehr gewordene als erzeugte Reiche; und ſelbſt von den Ge- lehrten will man angemerkt haben, daß die vom geringſten Herkommen, in ihrer Jugend den mehrſten Fleiß, als Maͤn- ner die wahre Dauer zur Arbeit, und am ſeltenſten den Feh- ler die Hypochondrie haben. Diejenigen haben der Natur gemaͤs gearbeitet, die dem Menſchen erlaubt haben, dem Heyrathen durch eine Geluͤbde zu entſagen; vorausgeſetzt, daß keiner zu dieſem Geluͤbde ge- laſſen werde, der zum Grunde der Pyramide gehoͤrt, oder billig zu deſſen Verſtaͤrkung gebrauchet werden kan; und das iſt auch mehrmalen heylſamlich verordnet worden. Man mag dagegen ſo vieles einwenden wie man will: ſo iſt doch offen- bar, daß wenn die Fuͤrſtlichen, Graͤflichen, Adlichen und andrer guter Leute Kinder ſich wie die Geringen vermehrten, die Pyramide oben ſo dick wie unten werden, und der Schaft ſeinen Grund tief in die Erde druͤcken wuͤrde; oder wir muͤß- ten eine andre politiſche Einrichtung haben, nach welcher die juͤngern Kinder Stand und Wapen ablegen, und ſich dem Gewerbe oder Ackerbau ergeben koͤnnten. Der Militairſtand iſt zwar freylich ein großer Abnehmer dieſer Kinder. Allein da auch dieſer immer mehr und mehr heyrathet, und ein Officier wie billig nur Officiern zeugt; ſo wird die Ausſicht immer ſchlimmer; und der unterſte Theil der

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/402>, abgerufen am 24.04.2024.