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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Nachricht von einer einheimischen, beständigen
und aus Besorgniß ihre zarte Lunge zu verderben, kein Ge-
witter im Busen tragen, vielweniger aber solches nach Gefal-
len donnern und schweigen lassen können; und dies ist doch
die kräftige Manier Garricks. Ueberhaupt aber ist es auch in
diesem Verstande wahr, daß das Kleid den Mann mache,
oder daß sobald eine Person ihre theatralische Kleidung anzieht
und auf der Bühne erscheinet, eine ganz neue Seele in ihren
Körper fahre, und die größte Blödigkeit sich oft in die anstän-
digste Dreistigkeit verwandle.

Eine theatralische Erziehung wird aber durchaus erfordert;
und wenn eine Person diese zugleich mit erhalten hat: so mag
sie hernach Blumen, Handschuh oder Aepfel verkaufen; es
schadet solches ihren Talenten nicht. Und hierauf ist der Plan
von meinem neuen Sparta gegründet. Wie viele Wittwen,
die heimlich nach Brode seufzen, wie viele Männer, die des
Morgens etwa zwey Suppliquen zu machen, oder zehn Bärte
abzunehmen haben, wie viele Frauen die keinen Flachs zum
Spinnen haben, wie viele Mädgen, die keine Gelegenheit
wissen, ihren Eltern etwas zu erwerben, könnten hier auf
solche Weise sich in dreyen Abendstunden eine angenehme Bey-
hülfe erwerben, wenn sie diese Erziehung gehabt hätten? Und
wie beruhigend würde es für den Patrioten seyn, wenn er mit
dem Gelde, was er solchergestalt seinem Vergnügen aufopferte,
zugleich eine redliche Familie ernährte!

Die Kleidungsstücke, welche eine solche Gesellschaft ge-
braucht, ließen sich bey einer so sparsamen Einrichtung mit
der Zeit leicht erübrigen und anschaffen, besonders wenn die
Einnahme keinem Manne, der wiederum davon leben will,
sondern einem öffentlichen Bedienten für eine geringe Zulage
anvertrauet würde? Die erste Auslage für meine Anstalt hat
der Fürst gethan, und ich halte sie besser angewendet, als ir-

gend

Nachricht von einer einheimiſchen, beſtaͤndigen
und aus Beſorgniß ihre zarte Lunge zu verderben, kein Ge-
witter im Buſen tragen, vielweniger aber ſolches nach Gefal-
len donnern und ſchweigen laſſen koͤnnen; und dies iſt doch
die kraͤftige Manier Garricks. Ueberhaupt aber iſt es auch in
dieſem Verſtande wahr, daß das Kleid den Mann mache,
oder daß ſobald eine Perſon ihre theatraliſche Kleidung anzieht
und auf der Buͤhne erſcheinet, eine ganz neue Seele in ihren
Koͤrper fahre, und die groͤßte Bloͤdigkeit ſich oft in die anſtaͤn-
digſte Dreiſtigkeit verwandle.

Eine theatraliſche Erziehung wird aber durchaus erfordert;
und wenn eine Perſon dieſe zugleich mit erhalten hat: ſo mag
ſie hernach Blumen, Handſchuh oder Aepfel verkaufen; es
ſchadet ſolches ihren Talenten nicht. Und hierauf iſt der Plan
von meinem neuen Sparta gegruͤndet. Wie viele Wittwen,
die heimlich nach Brode ſeufzen, wie viele Maͤnner, die des
Morgens etwa zwey Suppliquen zu machen, oder zehn Baͤrte
abzunehmen haben, wie viele Frauen die keinen Flachs zum
Spinnen haben, wie viele Maͤdgen, die keine Gelegenheit
wiſſen, ihren Eltern etwas zu erwerben, koͤnnten hier auf
ſolche Weiſe ſich in dreyen Abendſtunden eine angenehme Bey-
huͤlfe erwerben, wenn ſie dieſe Erziehung gehabt haͤtten? Und
wie beruhigend wuͤrde es fuͤr den Patrioten ſeyn, wenn er mit
dem Gelde, was er ſolchergeſtalt ſeinem Vergnuͤgen aufopferte,
zugleich eine redliche Familie ernaͤhrte!

Die Kleidungsſtuͤcke, welche eine ſolche Geſellſchaft ge-
braucht, ließen ſich bey einer ſo ſparſamen Einrichtung mit
der Zeit leicht eruͤbrigen und anſchaffen, beſonders wenn die
Einnahme keinem Manne, der wiederum davon leben will,
ſondern einem oͤffentlichen Bedienten fuͤr eine geringe Zulage
anvertrauet wuͤrde? Die erſte Auslage fuͤr meine Anſtalt hat
der Fuͤrſt gethan, und ich halte ſie beſſer angewendet, als ir-

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[400/0418] Nachricht von einer einheimiſchen, beſtaͤndigen und aus Beſorgniß ihre zarte Lunge zu verderben, kein Ge- witter im Buſen tragen, vielweniger aber ſolches nach Gefal- len donnern und ſchweigen laſſen koͤnnen; und dies iſt doch die kraͤftige Manier Garricks. Ueberhaupt aber iſt es auch in dieſem Verſtande wahr, daß das Kleid den Mann mache, oder daß ſobald eine Perſon ihre theatraliſche Kleidung anzieht und auf der Buͤhne erſcheinet, eine ganz neue Seele in ihren Koͤrper fahre, und die groͤßte Bloͤdigkeit ſich oft in die anſtaͤn- digſte Dreiſtigkeit verwandle. Eine theatraliſche Erziehung wird aber durchaus erfordert; und wenn eine Perſon dieſe zugleich mit erhalten hat: ſo mag ſie hernach Blumen, Handſchuh oder Aepfel verkaufen; es ſchadet ſolches ihren Talenten nicht. Und hierauf iſt der Plan von meinem neuen Sparta gegruͤndet. Wie viele Wittwen, die heimlich nach Brode ſeufzen, wie viele Maͤnner, die des Morgens etwa zwey Suppliquen zu machen, oder zehn Baͤrte abzunehmen haben, wie viele Frauen die keinen Flachs zum Spinnen haben, wie viele Maͤdgen, die keine Gelegenheit wiſſen, ihren Eltern etwas zu erwerben, koͤnnten hier auf ſolche Weiſe ſich in dreyen Abendſtunden eine angenehme Bey- huͤlfe erwerben, wenn ſie dieſe Erziehung gehabt haͤtten? Und wie beruhigend wuͤrde es fuͤr den Patrioten ſeyn, wenn er mit dem Gelde, was er ſolchergeſtalt ſeinem Vergnuͤgen aufopferte, zugleich eine redliche Familie ernaͤhrte! Die Kleidungsſtuͤcke, welche eine ſolche Geſellſchaft ge- braucht, ließen ſich bey einer ſo ſparſamen Einrichtung mit der Zeit leicht eruͤbrigen und anſchaffen, beſonders wenn die Einnahme keinem Manne, der wiederum davon leben will, ſondern einem oͤffentlichen Bedienten fuͤr eine geringe Zulage anvertrauet wuͤrde? Die erſte Auslage fuͤr meine Anſtalt hat der Fuͤrſt gethan, und ich halte ſie beſſer angewendet, als ir- gend

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/418>, abgerufen am 18.04.2024.