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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Eine lehrreiche Geschichte.
Burg gehörigen Leute nicht, und wenn sie jährlich auf der
Hofsprache a) welche die Herrschaft damals noch mit ihrer
Gegenwart zu beehren pflegte, tanzte, so hätte man schwören
sollen, es sey niemals ein Holzschuh an ihre Füße gekommen.
Ihre Stimme war so rein und klingend, daß man es allemal
auf der Burg hören konnte, wenn sie unten im Sundern b)
mit den Nachtigallen wetteiferte; und die Hausarbeit gieng
ihr so leicht von der Hand, daß der guten Mutter das Herz
lachte, wenn sie ihr liebes Kind die Drösche wenden sah.

Lange hatte der Sohn des alten Burgherrn, ein junger
Herr, der jetzt die Jahre der Knapschaft angetreten hatte,
und mit Vergnügen der Zeit entgegen sahe, da er auf
Ebentheuer reisen sollte, die schöne Sylika, so war der Name
der Dirne, insgeheim bewundert, und manchen Abend das
Fenster in dem dicken Thurm auf der Burg geöfnet, um sich
an ihrer Stimme bey stiller Abendzeit zu ergetzen. Oft hatte
er schon seiner gnädigen Frau Mutter angelegen, sie zu sich
auf die Burg zu nehmen, und im Perlensticken und Haarflech-
ten unterweisen zu lassen, und dermaleinst ein geschicktes Hof-
mädgen, denn der Tittel Cammerjungfer war derozeit noch
nicht üblich, daraus zu erziehen. Allein da die Eltern ihr
einziges Kind nicht gern missen, und noch weniger die An-
erbin ihres Hofes zu falschen Hoffnungen und gewissen Thor-
heiten verwöhnet haben wollten: so hatte der alte Burgherr,
ein Mann, der zwar manchen Bieder mann ritterlich erschla-
gen, und manchen Bürger gebrandschatzet, doch niemals ei-

nem
a) So wird der Versamlungstag der hofhörigen Leute im Stifte
Oßnabrück genannt.
b) Sundern ist ein beträchtliches Gehölz, was in Absicht der
Viehweide offen oder gemein, aber was das Holz betrift,
davon gesondert oder einem Herrn zuständig ist.

Eine lehrreiche Geſchichte.
Burg gehoͤrigen Leute nicht, und wenn ſie jaͤhrlich auf der
Hofſprache a) welche die Herrſchaft damals noch mit ihrer
Gegenwart zu beehren pflegte, tanzte, ſo haͤtte man ſchwoͤren
ſollen, es ſey niemals ein Holzſchuh an ihre Fuͤße gekommen.
Ihre Stimme war ſo rein und klingend, daß man es allemal
auf der Burg hoͤren konnte, wenn ſie unten im Sundern b)
mit den Nachtigallen wetteiferte; und die Hausarbeit gieng
ihr ſo leicht von der Hand, daß der guten Mutter das Herz
lachte, wenn ſie ihr liebes Kind die Droͤſche wenden ſah.

Lange hatte der Sohn des alten Burgherrn, ein junger
Herr, der jetzt die Jahre der Knapſchaft angetreten hatte,
und mit Vergnuͤgen der Zeit entgegen ſahe, da er auf
Ebentheuer reiſen ſollte, die ſchoͤne Sylika, ſo war der Name
der Dirne, insgeheim bewundert, und manchen Abend das
Fenſter in dem dicken Thurm auf der Burg geoͤfnet, um ſich
an ihrer Stimme bey ſtiller Abendzeit zu ergetzen. Oft hatte
er ſchon ſeiner gnaͤdigen Frau Mutter angelegen, ſie zu ſich
auf die Burg zu nehmen, und im Perlenſticken und Haarflech-
ten unterweiſen zu laſſen, und dermaleinſt ein geſchicktes Hof-
maͤdgen, denn der Tittel Cammerjungfer war derozeit noch
nicht uͤblich, daraus zu erziehen. Allein da die Eltern ihr
einziges Kind nicht gern miſſen, und noch weniger die An-
erbin ihres Hofes zu falſchen Hoffnungen und gewiſſen Thor-
heiten verwoͤhnet haben wollten: ſo hatte der alte Burgherr,
ein Mann, der zwar manchen Bieder mann ritterlich erſchla-
gen, und manchen Buͤrger gebrandſchatzet, doch niemals ei-

nem
a) So wird der Verſamlungstag der hofhoͤrigen Leute im Stifte
Oßnabruͤck genannt.
b) Sundern iſt ein betraͤchtliches Gehoͤlz, was in Abſicht der
Viehweide offen oder gemein, aber was das Holz betrift,
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[493/0511] Eine lehrreiche Geſchichte. Burg gehoͤrigen Leute nicht, und wenn ſie jaͤhrlich auf der Hofſprache a) welche die Herrſchaft damals noch mit ihrer Gegenwart zu beehren pflegte, tanzte, ſo haͤtte man ſchwoͤren ſollen, es ſey niemals ein Holzſchuh an ihre Fuͤße gekommen. Ihre Stimme war ſo rein und klingend, daß man es allemal auf der Burg hoͤren konnte, wenn ſie unten im Sundern b) mit den Nachtigallen wetteiferte; und die Hausarbeit gieng ihr ſo leicht von der Hand, daß der guten Mutter das Herz lachte, wenn ſie ihr liebes Kind die Droͤſche wenden ſah. Lange hatte der Sohn des alten Burgherrn, ein junger Herr, der jetzt die Jahre der Knapſchaft angetreten hatte, und mit Vergnuͤgen der Zeit entgegen ſahe, da er auf Ebentheuer reiſen ſollte, die ſchoͤne Sylika, ſo war der Name der Dirne, insgeheim bewundert, und manchen Abend das Fenſter in dem dicken Thurm auf der Burg geoͤfnet, um ſich an ihrer Stimme bey ſtiller Abendzeit zu ergetzen. Oft hatte er ſchon ſeiner gnaͤdigen Frau Mutter angelegen, ſie zu ſich auf die Burg zu nehmen, und im Perlenſticken und Haarflech- ten unterweiſen zu laſſen, und dermaleinſt ein geſchicktes Hof- maͤdgen, denn der Tittel Cammerjungfer war derozeit noch nicht uͤblich, daraus zu erziehen. Allein da die Eltern ihr einziges Kind nicht gern miſſen, und noch weniger die An- erbin ihres Hofes zu falſchen Hoffnungen und gewiſſen Thor- heiten verwoͤhnet haben wollten: ſo hatte der alte Burgherr, ein Mann, der zwar manchen Bieder mann ritterlich erſchla- gen, und manchen Buͤrger gebrandſchatzet, doch niemals ei- nem a) So wird der Verſamlungstag der hofhoͤrigen Leute im Stifte Oßnabruͤck genannt. b) Sundern iſt ein betraͤchtliches Gehoͤlz, was in Abſicht der Viehweide offen oder gemein, aber was das Holz betrift, davon geſondert oder einem Herrn zuſtaͤndig iſt.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/511>, abgerufen am 18.04.2024.