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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Schreiben eines Kornhändlers.

Doch ich mache keinen Anspruch auf Philosophie, wenn
ich nur mein Korn verkaufen, oder den Staat bewegen könnte,
meine Verdienste in der That zu erkennen. In dieser Absicht
wende ich mich jetzt an das Hochzuehrende Publikum, als ei-
nen Körper der allezeit noch Empfindung hat, wenn gleich alle
dessen Theile aus lauter dickhäutigen Spöttern besteht, mit
welchen ich es nicht gern aufnehmen möchte; und ich hoffe
dasselbe wird mir nebst einer billigen Schadloshaltung die Ge-
rechtigkeit wiederfahren lassen, daß ich sey dem Namen nach
zwar ein Kornjude, in der That aber
ein Patriot wie andre.



X.
Ein gutherziger Narr bessert sich nie.

Das ist das letztemal, sagte Arist, und schwur dazu, daß
ich jemanden meinen Beutel öfnen will. Verwünscht
sey die Gutherzigkeit, wenn man ihr ewiger Märtyrer seyn
muß! ich habe Frau und Kinder, und leihe Geld, um an-
dern zu helfen, die es vielleicht nicht werth sind. In dem
Augenblick, da er sich allen Entzückungen dieses großen Vor-
satzes überlies, schrieb ihm ein Fremder, der sich auf seiner
Durchreise in der äußersten Verlegenheit befand -- Er
hätte das Unglück gehabt auf der Reise eine ansehnliche
Summe Geldes zu verspielen; hier wäre er völlig unbekannt,
voll Verzweiflung über seinen Verlust und über die Noth-
wendigkeit ihn um ein geringes Anlehn von zehn Pistolen
anzusprechen; er wüste sich an niemanden zu wenden als an
den Mann von dem er schon in der Ferne viel Gutes gehört
hätte, und dessen menschenfreundlicher Charakter ihn in die-

sen
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Schreiben eines Kornhaͤndlers.

Doch ich mache keinen Anſpruch auf Philoſophie, wenn
ich nur mein Korn verkaufen, oder den Staat bewegen koͤnnte,
meine Verdienſte in der That zu erkennen. In dieſer Abſicht
wende ich mich jetzt an das Hochzuehrende Publikum, als ei-
nen Koͤrper der allezeit noch Empfindung hat, wenn gleich alle
deſſen Theile aus lauter dickhaͤutigen Spoͤttern beſteht, mit
welchen ich es nicht gern aufnehmen moͤchte; und ich hoffe
daſſelbe wird mir nebſt einer billigen Schadloshaltung die Ge-
rechtigkeit wiederfahren laſſen, daß ich ſey dem Namen nach
zwar ein Kornjude, in der That aber
ein Patriot wie andre.



X.
Ein gutherziger Narr beſſert ſich nie.

Das iſt das letztemal, ſagte Ariſt, und ſchwur dazu, daß
ich jemanden meinen Beutel oͤfnen will. Verwuͤnſcht
ſey die Gutherzigkeit, wenn man ihr ewiger Maͤrtyrer ſeyn
muß! ich habe Frau und Kinder, und leihe Geld, um an-
dern zu helfen, die es vielleicht nicht werth ſind. In dem
Augenblick, da er ſich allen Entzuͤckungen dieſes großen Vor-
ſatzes uͤberlies, ſchrieb ihm ein Fremder, der ſich auf ſeiner
Durchreiſe in der aͤußerſten Verlegenheit befand — Er
haͤtte das Ungluͤck gehabt auf der Reiſe eine anſehnliche
Summe Geldes zu verſpielen; hier waͤre er voͤllig unbekannt,
voll Verzweiflung uͤber ſeinen Verluſt und uͤber die Noth-
wendigkeit ihn um ein geringes Anlehn von zehn Piſtolen
anzuſprechen; er wuͤſte ſich an niemanden zu wenden als an
den Mann von dem er ſchon in der Ferne viel Gutes gehoͤrt
haͤtte, und deſſen menſchenfreundlicher Charakter ihn in die-

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D 5
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[57/0075] Schreiben eines Kornhaͤndlers. Doch ich mache keinen Anſpruch auf Philoſophie, wenn ich nur mein Korn verkaufen, oder den Staat bewegen koͤnnte, meine Verdienſte in der That zu erkennen. In dieſer Abſicht wende ich mich jetzt an das Hochzuehrende Publikum, als ei- nen Koͤrper der allezeit noch Empfindung hat, wenn gleich alle deſſen Theile aus lauter dickhaͤutigen Spoͤttern beſteht, mit welchen ich es nicht gern aufnehmen moͤchte; und ich hoffe daſſelbe wird mir nebſt einer billigen Schadloshaltung die Ge- rechtigkeit wiederfahren laſſen, daß ich ſey dem Namen nach zwar ein Kornjude, in der That aber ein Patriot wie andre. X. Ein gutherziger Narr beſſert ſich nie. Das iſt das letztemal, ſagte Ariſt, und ſchwur dazu, daß ich jemanden meinen Beutel oͤfnen will. Verwuͤnſcht ſey die Gutherzigkeit, wenn man ihr ewiger Maͤrtyrer ſeyn muß! ich habe Frau und Kinder, und leihe Geld, um an- dern zu helfen, die es vielleicht nicht werth ſind. In dem Augenblick, da er ſich allen Entzuͤckungen dieſes großen Vor- ſatzes uͤberlies, ſchrieb ihm ein Fremder, der ſich auf ſeiner Durchreiſe in der aͤußerſten Verlegenheit befand — Er haͤtte das Ungluͤck gehabt auf der Reiſe eine anſehnliche Summe Geldes zu verſpielen; hier waͤre er voͤllig unbekannt, voll Verzweiflung uͤber ſeinen Verluſt und uͤber die Noth- wendigkeit ihn um ein geringes Anlehn von zehn Piſtolen anzuſprechen; er wuͤſte ſich an niemanden zu wenden als an den Mann von dem er ſchon in der Ferne viel Gutes gehoͤrt haͤtte, und deſſen menſchenfreundlicher Charakter ihn in die- ſen D 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/75>, abgerufen am 29.03.2024.