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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Ein gutherziger Narr bessert sich nie.
könnte ich ihnen nur einmal meine ganze Erkenntlichkeit
ausdrücken! Sehen sie hier diesen Brief erhalte ich so eben.
Mein Sohn, mein einziger Sohn, soll seine Companie ver-
lieren, oder er muß 1500 Thaler bezahlen, die er derselben
schuldig ist. Ach! einen Theil habe ich selbst von ihm gelie-
hen. Wie mein seliger Mann starb, hatte ich nicht so viel,
daß ich ihn Standesmäßig begraben lassen konnte; und das
übrige -- für dasmal dünkte sich Arist sicher. Funfzehn-
hundert Thaler hatte er nicht baar, und konnte sie auch so
bald nicht anschaffen. Die Thränen der Wittwe flossen also
umsonst. Jedoch zu seinem Unglück forderte die Compagnie
nur erst einen Bürgen auf 6 Monate; und wie konnte er der
dankbaren und unglücklichen Emilie diese Hülfe versagen?
Verlohr ihr Sohn die Compagnie: so wären Mutter und Sohn
in die erschrecklichste Armuth gerathen; und sollte er sich diese
einst vorzuwerfen haben? das wollte der Himmel nicht.

Arist dachte jetzte an kein Gelübde mehr. Er sahe es ein,
daß es vergeblich sey, sich selbst Gesetze zu geben, und seinem
Herzen das Dispensationsrecht zu lassen. Indessen klagte er
seine Noth einem würdigen Feunde, einem Manne, den er
unter allen am höchsten schätzte, um sich seinen Rath zu er-
bitten. Himmel, antwortete ihm dieser, was bin ich un-
glücklich! In dem Augenblick, da mich der schrecklichste un-
ter allen Zufällen nöthigte, Sie mein edelster, mein werthe-
ster Arist, um einen Vorschuß von tausend Thalern zu bitten:
so erfahre ich mit Schrecken, wie sehr ich ihre Freundschaft
auf die Probe gestellet haben würde. Aber der Himmel soll
mich bewahren, daß ich sie nicht zu neuen Schwachheiten
verleite. Es ist genug, daß ich allein unglücklich bin; ich
werde Muth haben mein Schicksal zu ertragen, so hart es
auch immer seyn mag. Ich will mich entfernen und vor den

Augen

Ein gutherziger Narr beſſert ſich nie.
koͤnnte ich ihnen nur einmal meine ganze Erkenntlichkeit
ausdruͤcken! Sehen ſie hier dieſen Brief erhalte ich ſo eben.
Mein Sohn, mein einziger Sohn, ſoll ſeine Companie ver-
lieren, oder er muß 1500 Thaler bezahlen, die er derſelben
ſchuldig iſt. Ach! einen Theil habe ich ſelbſt von ihm gelie-
hen. Wie mein ſeliger Mann ſtarb, hatte ich nicht ſo viel,
daß ich ihn Standesmaͤßig begraben laſſen konnte; und das
uͤbrige — fuͤr dasmal duͤnkte ſich Ariſt ſicher. Funfzehn-
hundert Thaler hatte er nicht baar, und konnte ſie auch ſo
bald nicht anſchaffen. Die Thraͤnen der Wittwe floſſen alſo
umſonſt. Jedoch zu ſeinem Ungluͤck forderte die Compagnie
nur erſt einen Buͤrgen auf 6 Monate; und wie konnte er der
dankbaren und ungluͤcklichen Emilie dieſe Huͤlfe verſagen?
Verlohr ihr Sohn die Compagnie: ſo waͤren Mutter und Sohn
in die erſchrecklichſte Armuth gerathen; und ſollte er ſich dieſe
einſt vorzuwerfen haben? das wollte der Himmel nicht.

Ariſt dachte jetzte an kein Geluͤbde mehr. Er ſahe es ein,
daß es vergeblich ſey, ſich ſelbſt Geſetze zu geben, und ſeinem
Herzen das Diſpenſationsrecht zu laſſen. Indeſſen klagte er
ſeine Noth einem wuͤrdigen Feunde, einem Manne, den er
unter allen am hoͤchſten ſchaͤtzte, um ſich ſeinen Rath zu er-
bitten. Himmel, antwortete ihm dieſer, was bin ich un-
gluͤcklich! In dem Augenblick, da mich der ſchrecklichſte un-
ter allen Zufaͤllen noͤthigte, Sie mein edelſter, mein werthe-
ſter Ariſt, um einen Vorſchuß von tauſend Thalern zu bitten:
ſo erfahre ich mit Schrecken, wie ſehr ich ihre Freundſchaft
auf die Probe geſtellet haben wuͤrde. Aber der Himmel ſoll
mich bewahren, daß ich ſie nicht zu neuen Schwachheiten
verleite. Es iſt genug, daß ich allein ungluͤcklich bin; ich
werde Muth haben mein Schickſal zu ertragen, ſo hart es
auch immer ſeyn mag. Ich will mich entfernen und vor den

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/77>, abgerufen am 24.04.2024.