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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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als eine Actie betrachtet.
ses Cavital eine Actie, und denken es uns ganz deutlich,
daß keiner zu dieser Compagnie gehöre, er besitze denn eine
solche Actie, und daß nur diejenigen, welche eine solche
Actie besitzen, Schaden und Vortheil zu theilen haben; das
sage ich, wissen wir deutlich, und zwar so deutlich, daß,
wenn jemand fragen würde: ob nicht auch billig alle und
jede Menschen, welche zur christlichen Kirche gehören, als
Mitglieder der ostindischen Compagnie anzusehen wären?
der Einfältigste darüber lachen würde. So einleuchtend
diese Begriffe sind, wann wir sie uns unter einer so be-
kannten Gestalt gedenken: so dunkel scheinen sie manchem
zu werden, wann man ihm jede bürgerliche Gesellschaft als
eine solche Compagnie schildert, jeden Bürger als den Be-
sitzer einer gewissen Actie vorstellet, und nun zu eben den
Folgerungen übergeht, welche wir vorhin gemacht haben;
nemlich, daß Menschenliebe und Religion keinen zum Mit-
gliede einer solchen Gesellschaft machen können, und daß
wir in die offenbarsten Fehlschlüsse verfallen, so bald wir
den Actionisten oder Bürger mit dem Menschen oder Chri-
sten verwechseln. Hier strauchelt oft der größte Philosoph,
und unter allen, so viel ihrer die gesellschaftlichen Pflichten
und Rechte der Menschen behandelt haben, ist mir keiner
bekannt, der seine idealische Gesellschaft auf gewisse Actien
errichtet, und aus dieser nähern Bestimmung, die Rechte
und Pflichten eines jeden Mitgliedes gefolgert habe. Gleich-
wol ist es natürlich und begreiflich, daß die Verschiedenheit
der Actien auch ganz verschiedene Rechte hervorbringen, und
der Mangel derselben eine völlige Ausschliessung nach sich
ziehen müsse.

Vielleicht findet mancher auch dieses schon undeutlich,
oder fühlet es doch nicht kräftig genug, was ich sagen will;
ich will also gleich ein Beyspiel zur Erläuterung geben.
Viele Philosophen und Juristen sind verlegen, wenn sie

einen

als eine Actie betrachtet.
ſes Cavital eine Actie, und denken es uns ganz deutlich,
daß keiner zu dieſer Compagnie gehoͤre, er beſitze denn eine
ſolche Actie, und daß nur diejenigen, welche eine ſolche
Actie beſitzen, Schaden und Vortheil zu theilen haben; das
ſage ich, wiſſen wir deutlich, und zwar ſo deutlich, daß,
wenn jemand fragen wuͤrde: ob nicht auch billig alle und
jede Menſchen, welche zur chriſtlichen Kirche gehoͤren, als
Mitglieder der oſtindiſchen Compagnie anzuſehen waͤren?
der Einfaͤltigſte daruͤber lachen wuͤrde. So einleuchtend
dieſe Begriffe ſind, wann wir ſie uns unter einer ſo be-
kannten Geſtalt gedenken: ſo dunkel ſcheinen ſie manchem
zu werden, wann man ihm jede buͤrgerliche Geſellſchaft als
eine ſolche Compagnie ſchildert, jeden Buͤrger als den Be-
ſitzer einer gewiſſen Actie vorſtellet, und nun zu eben den
Folgerungen uͤbergeht, welche wir vorhin gemacht haben;
nemlich, daß Menſchenliebe und Religion keinen zum Mit-
gliede einer ſolchen Geſellſchaft machen koͤnnen, und daß
wir in die offenbarſten Fehlſchluͤſſe verfallen, ſo bald wir
den Actioniſten oder Buͤrger mit dem Menſchen oder Chri-
ſten verwechſeln. Hier ſtrauchelt oft der groͤßte Philoſoph,
und unter allen, ſo viel ihrer die geſellſchaftlichen Pflichten
und Rechte der Menſchen behandelt haben, iſt mir keiner
bekannt, der ſeine idealiſche Geſellſchaft auf gewiſſe Actien
errichtet, und aus dieſer naͤhern Beſtimmung, die Rechte
und Pflichten eines jeden Mitgliedes gefolgert habe. Gleich-
wol iſt es natuͤrlich und begreiflich, daß die Verſchiedenheit
der Actien auch ganz verſchiedene Rechte hervorbringen, und
der Mangel derſelben eine voͤllige Ausſchlieſſung nach ſich
ziehen muͤſſe.

Vielleicht findet mancher auch dieſes ſchon undeutlich,
oder fuͤhlet es doch nicht kraͤftig genug, was ich ſagen will;
ich will alſo gleich ein Beyſpiel zur Erlaͤuterung geben.
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[299/0313] als eine Actie betrachtet. ſes Cavital eine Actie, und denken es uns ganz deutlich, daß keiner zu dieſer Compagnie gehoͤre, er beſitze denn eine ſolche Actie, und daß nur diejenigen, welche eine ſolche Actie beſitzen, Schaden und Vortheil zu theilen haben; das ſage ich, wiſſen wir deutlich, und zwar ſo deutlich, daß, wenn jemand fragen wuͤrde: ob nicht auch billig alle und jede Menſchen, welche zur chriſtlichen Kirche gehoͤren, als Mitglieder der oſtindiſchen Compagnie anzuſehen waͤren? der Einfaͤltigſte daruͤber lachen wuͤrde. So einleuchtend dieſe Begriffe ſind, wann wir ſie uns unter einer ſo be- kannten Geſtalt gedenken: ſo dunkel ſcheinen ſie manchem zu werden, wann man ihm jede buͤrgerliche Geſellſchaft als eine ſolche Compagnie ſchildert, jeden Buͤrger als den Be- ſitzer einer gewiſſen Actie vorſtellet, und nun zu eben den Folgerungen uͤbergeht, welche wir vorhin gemacht haben; nemlich, daß Menſchenliebe und Religion keinen zum Mit- gliede einer ſolchen Geſellſchaft machen koͤnnen, und daß wir in die offenbarſten Fehlſchluͤſſe verfallen, ſo bald wir den Actioniſten oder Buͤrger mit dem Menſchen oder Chri- ſten verwechſeln. Hier ſtrauchelt oft der groͤßte Philoſoph, und unter allen, ſo viel ihrer die geſellſchaftlichen Pflichten und Rechte der Menſchen behandelt haben, iſt mir keiner bekannt, der ſeine idealiſche Geſellſchaft auf gewiſſe Actien errichtet, und aus dieſer naͤhern Beſtimmung, die Rechte und Pflichten eines jeden Mitgliedes gefolgert habe. Gleich- wol iſt es natuͤrlich und begreiflich, daß die Verſchiedenheit der Actien auch ganz verſchiedene Rechte hervorbringen, und der Mangel derſelben eine voͤllige Ausſchlieſſung nach ſich ziehen muͤſſe. Vielleicht findet mancher auch dieſes ſchon undeutlich, oder fuͤhlet es doch nicht kraͤftig genug, was ich ſagen will; ich will alſo gleich ein Beyſpiel zur Erlaͤuterung geben. Viele Philoſophen und Juriſten ſind verlegen, wenn ſie einen

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/313>, abgerufen am 29.03.2024.