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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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der Leibeignen.
Noth so wenig entblösset als ausgespannet seyn mögen. So
nothwendig und billig nun auch diese gesetzmäßige Vorsorge
ist, besonders in den Gegenden, wo nach einer vorgegan-
genen Abäusserung, sich nicht sogleich neue Wirthe finden,
die mit einem Feld- und Viehinventarium wieder aufziehen
und sich eigen geben wollen: so häufig sind dennoch die Fälle,
wo die desfalls vorhandenen heilsamen Verordnungen und
die besten Absichten nicht zum Zwecke würken.

Der erste Fall ist insgemein, daß zwey oder drey der
mächtigsten Gläubiger, welche die andern überstimmen kön-
nen, sich mit dem Schuldner heimlich zusammen setzen ihm
durch die Mehrheit ihrer Forderungen einen Stillestand ge-
gen alle übrige verschaffen, und hernach, wenn allen andern
die Hände gebunden, den Schuldner allein rupfen. Dieser
bringt sodenn jährlich zum Schein nach der Mehrheit ge-
wonnener Stimmen ein gewisses auf, und die mächtigen
ziehen nebenher ihre völligen und vielleicht gar wucherlichen
Zinsen.

Nun hat es zwar seine anscheinende Richtigkeit, daß der
Schuldner sich solchergestalt den mächtigern verbindlich ma-
chen könne, indem ihm während dem Stillestande die Ver-
waltung seines Hofes vertrauet wird, und er, wenn er das
verglichene richtig bezahlt, das übrige verzehren, verschen-
ken und folglich auch nach Gefallen einigen ihn begünstigen-
den Gläubigern bezahlen kann.

In der That liegt hier aber ein gedoppelter Betrug zum
Grunde: der eine, welchen der mächtigere Gläubiger in An-
sehung seiner Mitgläubiger begeht; und der andre, dessen
der Richter sich selbst mit schuldig macht, indem auf den Fall,
da der Schuldner noch nebenhin etwas aufbringen konnte,
der Stillestand ohne genugsame Untersuchung bestätiget ist.
Der Richter hat sodann blos auf die Mehrheit der mit dem

Schuld-

der Leibeignen.
Noth ſo wenig entbloͤſſet als ausgeſpannet ſeyn moͤgen. So
nothwendig und billig nun auch dieſe geſetzmaͤßige Vorſorge
iſt, beſonders in den Gegenden, wo nach einer vorgegan-
genen Abaͤuſſerung, ſich nicht ſogleich neue Wirthe finden,
die mit einem Feld- und Viehinventarium wieder aufziehen
und ſich eigen geben wollen: ſo haͤufig ſind dennoch die Faͤlle,
wo die desfalls vorhandenen heilſamen Verordnungen und
die beſten Abſichten nicht zum Zwecke wuͤrken.

Der erſte Fall iſt insgemein, daß zwey oder drey der
maͤchtigſten Glaͤubiger, welche die andern uͤberſtimmen koͤn-
nen, ſich mit dem Schuldner heimlich zuſammen ſetzen ihm
durch die Mehrheit ihrer Forderungen einen Stilleſtand ge-
gen alle uͤbrige verſchaffen, und hernach, wenn allen andern
die Haͤnde gebunden, den Schuldner allein rupfen. Dieſer
bringt ſodenn jaͤhrlich zum Schein nach der Mehrheit ge-
wonnener Stimmen ein gewiſſes auf, und die maͤchtigen
ziehen nebenher ihre voͤlligen und vielleicht gar wucherlichen
Zinſen.

Nun hat es zwar ſeine anſcheinende Richtigkeit, daß der
Schuldner ſich ſolchergeſtalt den maͤchtigern verbindlich ma-
chen koͤnne, indem ihm waͤhrend dem Stilleſtande die Ver-
waltung ſeines Hofes vertrauet wird, und er, wenn er das
verglichene richtig bezahlt, das uͤbrige verzehren, verſchen-
ken und folglich auch nach Gefallen einigen ihn beguͤnſtigen-
den Glaͤubigern bezahlen kann.

In der That liegt hier aber ein gedoppelter Betrug zum
Grunde: der eine, welchen der maͤchtigere Glaͤubiger in An-
ſehung ſeiner Mitglaͤubiger begeht; und der andre, deſſen
der Richter ſich ſelbſt mit ſchuldig macht, indem auf den Fall,
da der Schuldner noch nebenhin etwas aufbringen konnte,
der Stilleſtand ohne genugſame Unterſuchung beſtaͤtiget iſt.
Der Richter hat ſodann blos auf die Mehrheit der mit dem

Schuld-
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[375/0389] der Leibeignen. Noth ſo wenig entbloͤſſet als ausgeſpannet ſeyn moͤgen. So nothwendig und billig nun auch dieſe geſetzmaͤßige Vorſorge iſt, beſonders in den Gegenden, wo nach einer vorgegan- genen Abaͤuſſerung, ſich nicht ſogleich neue Wirthe finden, die mit einem Feld- und Viehinventarium wieder aufziehen und ſich eigen geben wollen: ſo haͤufig ſind dennoch die Faͤlle, wo die desfalls vorhandenen heilſamen Verordnungen und die beſten Abſichten nicht zum Zwecke wuͤrken. Der erſte Fall iſt insgemein, daß zwey oder drey der maͤchtigſten Glaͤubiger, welche die andern uͤberſtimmen koͤn- nen, ſich mit dem Schuldner heimlich zuſammen ſetzen ihm durch die Mehrheit ihrer Forderungen einen Stilleſtand ge- gen alle uͤbrige verſchaffen, und hernach, wenn allen andern die Haͤnde gebunden, den Schuldner allein rupfen. Dieſer bringt ſodenn jaͤhrlich zum Schein nach der Mehrheit ge- wonnener Stimmen ein gewiſſes auf, und die maͤchtigen ziehen nebenher ihre voͤlligen und vielleicht gar wucherlichen Zinſen. Nun hat es zwar ſeine anſcheinende Richtigkeit, daß der Schuldner ſich ſolchergeſtalt den maͤchtigern verbindlich ma- chen koͤnne, indem ihm waͤhrend dem Stilleſtande die Ver- waltung ſeines Hofes vertrauet wird, und er, wenn er das verglichene richtig bezahlt, das uͤbrige verzehren, verſchen- ken und folglich auch nach Gefallen einigen ihn beguͤnſtigen- den Glaͤubigern bezahlen kann. In der That liegt hier aber ein gedoppelter Betrug zum Grunde: der eine, welchen der maͤchtigere Glaͤubiger in An- ſehung ſeiner Mitglaͤubiger begeht; und der andre, deſſen der Richter ſich ſelbſt mit ſchuldig macht, indem auf den Fall, da der Schuldner noch nebenhin etwas aufbringen konnte, der Stilleſtand ohne genugſame Unterſuchung beſtaͤtiget iſt. Der Richter hat ſodann blos auf die Mehrheit der mit dem Schuld-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/389>, abgerufen am 19.04.2024.