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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Also sollte man die Testamente etc.
sucht hatte, glaubte seine Pflicht zu thun, da er eine
Versöhnung zwischen beyden stiftete, und die Schwester,
dieses großmüthige Mädgen, nahm ihre Hand, die sie
nicht zurück zu ziehen vermochte, und legte sie in die sei-
nige; der Richter des Orts, welchen der Mann gleich
bey seiner Ankunft bestellet hatte, kam als Nachbar un-
ter dem Schein des Besuchs, und es fügte sich alles so,
wie es sich in solchen Fällen zu fügen pflegt, daß von
Testamenten geredet, und ein Testament verfertiget wur-
de, worin sie den Mann zum einzigen Erben einsetzte,
und ihrer Schwester -- einiges Geräthe vermachte.

Unstreitig war die Kranke noch bey gutem Verstande;
sie betete jedes Gebet nach was man ihr vorsagte, und
erinnerte sich aller Personen die um sie waren. Der Rich-
ter setzte also nicht ganz unrecht in das Testament, daß
er sie bey gesunder Vernunft, obgleich schwach am Kör-
per vorgefunden hätte. Allein wer kann denken daß es
Emiliens freyer und wahrer Entschluß war, ihre liebste
Schwester, die ihr so ausnehmende Hülfe geleistet hatte,
dergestalt zu vergessen, und einen Mann, der ihr gan-
zes Leben verbittert hatte, zu ihrem glücklichen Erben zu
machen? Jst da freyer Entschluß, wo die herannahende
Ewigkeit, die versöhnende Stimme des Geistlichen, das
edle Zureden einer Freundinn, ein empfindliches Herz zu-
gleich bestürmen, wo man von allen abhängt, und von
keinen unterstützet wird, wo Wehmuth und unzeitiges
Mitleid allein würken, wo man keine Reue prüfen, und
nichts überdenken kann, wo ein augenblicklicher Eindruck
mehr entscheidet, als die ernsthafteste Ueberlegung der
vorigen Zeiten, wo die Sehnsucht nach Ruhe und der
Ueberdruß des Lebens den Werth der Sachen bestimmt,
und alles übereilet, wo man oft nur mit dem Kopfe ein

Ja

Alſo ſollte man die Teſtamente ꝛc.
ſucht hatte, glaubte ſeine Pflicht zu thun, da er eine
Verſoͤhnung zwiſchen beyden ſtiftete, und die Schweſter,
dieſes großmuͤthige Maͤdgen, nahm ihre Hand, die ſie
nicht zuruͤck zu ziehen vermochte, und legte ſie in die ſei-
nige; der Richter des Orts, welchen der Mann gleich
bey ſeiner Ankunft beſtellet hatte, kam als Nachbar un-
ter dem Schein des Beſuchs, und es fuͤgte ſich alles ſo,
wie es ſich in ſolchen Faͤllen zu fuͤgen pflegt, daß von
Teſtamenten geredet, und ein Teſtament verfertiget wur-
de, worin ſie den Mann zum einzigen Erben einſetzte,
und ihrer Schweſter — einiges Geraͤthe vermachte.

Unſtreitig war die Kranke noch bey gutem Verſtande;
ſie betete jedes Gebet nach was man ihr vorſagte, und
erinnerte ſich aller Perſonen die um ſie waren. Der Rich-
ter ſetzte alſo nicht ganz unrecht in das Teſtament, daß
er ſie bey geſunder Vernunft, obgleich ſchwach am Koͤr-
per vorgefunden haͤtte. Allein wer kann denken daß es
Emiliens freyer und wahrer Entſchluß war, ihre liebſte
Schweſter, die ihr ſo ausnehmende Huͤlfe geleiſtet hatte,
dergeſtalt zu vergeſſen, und einen Mann, der ihr gan-
zes Leben verbittert hatte, zu ihrem gluͤcklichen Erben zu
machen? Jſt da freyer Entſchluß, wo die herannahende
Ewigkeit, die verſoͤhnende Stimme des Geiſtlichen, das
edle Zureden einer Freundinn, ein empfindliches Herz zu-
gleich beſtuͤrmen, wo man von allen abhaͤngt, und von
keinen unterſtuͤtzet wird, wo Wehmuth und unzeitiges
Mitleid allein wuͤrken, wo man keine Reue pruͤfen, und
nichts uͤberdenken kann, wo ein augenblicklicher Eindruck
mehr entſcheidet, als die ernſthafteſte Ueberlegung der
vorigen Zeiten, wo die Sehnſucht nach Ruhe und der
Ueberdruß des Lebens den Werth der Sachen beſtimmt,
und alles uͤbereilet, wo man oft nur mit dem Kopfe ein

Ja
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[112/0124] Alſo ſollte man die Teſtamente ꝛc. ſucht hatte, glaubte ſeine Pflicht zu thun, da er eine Verſoͤhnung zwiſchen beyden ſtiftete, und die Schweſter, dieſes großmuͤthige Maͤdgen, nahm ihre Hand, die ſie nicht zuruͤck zu ziehen vermochte, und legte ſie in die ſei- nige; der Richter des Orts, welchen der Mann gleich bey ſeiner Ankunft beſtellet hatte, kam als Nachbar un- ter dem Schein des Beſuchs, und es fuͤgte ſich alles ſo, wie es ſich in ſolchen Faͤllen zu fuͤgen pflegt, daß von Teſtamenten geredet, und ein Teſtament verfertiget wur- de, worin ſie den Mann zum einzigen Erben einſetzte, und ihrer Schweſter — einiges Geraͤthe vermachte. Unſtreitig war die Kranke noch bey gutem Verſtande; ſie betete jedes Gebet nach was man ihr vorſagte, und erinnerte ſich aller Perſonen die um ſie waren. Der Rich- ter ſetzte alſo nicht ganz unrecht in das Teſtament, daß er ſie bey geſunder Vernunft, obgleich ſchwach am Koͤr- per vorgefunden haͤtte. Allein wer kann denken daß es Emiliens freyer und wahrer Entſchluß war, ihre liebſte Schweſter, die ihr ſo ausnehmende Huͤlfe geleiſtet hatte, dergeſtalt zu vergeſſen, und einen Mann, der ihr gan- zes Leben verbittert hatte, zu ihrem gluͤcklichen Erben zu machen? Jſt da freyer Entſchluß, wo die herannahende Ewigkeit, die verſoͤhnende Stimme des Geiſtlichen, das edle Zureden einer Freundinn, ein empfindliches Herz zu- gleich beſtuͤrmen, wo man von allen abhaͤngt, und von keinen unterſtuͤtzet wird, wo Wehmuth und unzeitiges Mitleid allein wuͤrken, wo man keine Reue pruͤfen, und nichts uͤberdenken kann, wo ein augenblicklicher Eindruck mehr entſcheidet, als die ernſthafteſte Ueberlegung der vorigen Zeiten, wo die Sehnſucht nach Ruhe und der Ueberdruß des Lebens den Werth der Sachen beſtimmt, und alles uͤbereilet, wo man oft nur mit dem Kopfe ein Ja

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/124>, abgerufen am 19.04.2024.