Es ist gut, rief der Richter, daß alle Leute nicht so klug sind, wie Sie; sonst würde es mit den Punkten und Artikeln schlecht aussehen; und damit gieng er zu seiner Pfeiffe ohne weiter zu fragen; und der andre der den Schlag ausgetheilt hatte, hielt sich auch nicht verbunden, mit ihm länger zu zanken.
XXXIV. Ueber die Todesstrafen.
Es ist zu unsern Zeiten sehr oft die Frage aufgeworfen worden: woher die Obrigkeit das Recht erhalten habe, diesen oder jenen Verbrecher mit dem Tode zu be- strafen; und die hierüber gewechselten Schriften haben nicht allein manchen flüchtigen Kopf, der einen Dieb mit eben der Gleichgültigkeit zum Galgen gehen sahe, womit er sein Hochzeitsfest angesehen haben würde, zum Nach- denken gebracht, sondern auch unsre ganze Lehre von Ver- brechen und Strafen aufgeklärt. Mich dünkt aber im- mer, daß wir mit diesen philosophischen Untersuchungen noch weiter gekommen seyn würden, wenn wir die Frage also gestellet hätten: woher die Obrigkeit das Recht er- halten habe, diesen oder jenen Verbrecher beym Leben zu erhalten?
Denn unstreitig lag die Sache im Stande der rohen Natur, und, wie uns die Geschichte zeigt, so gar in dem Stande der ersten Vereinigungen also, daß jeder Mensch denjenigen, der ihn beleidiget hatte, so weit und so lange verfolgen mochte, als seine Stärke reichte; daß jeder seinen Feind erschlagen oder begnadigen konnte wie es
ihm
Ueber die Todesſtrafen.
Es iſt gut, rief der Richter, daß alle Leute nicht ſo klug ſind, wie Sie; ſonſt wuͤrde es mit den Punkten und Artikeln ſchlecht ausſehen; und damit gieng er zu ſeiner Pfeiffe ohne weiter zu fragen; und der andre der den Schlag ausgetheilt hatte, hielt ſich auch nicht verbunden, mit ihm laͤnger zu zanken.
XXXIV. Ueber die Todesſtrafen.
Es iſt zu unſern Zeiten ſehr oft die Frage aufgeworfen worden: woher die Obrigkeit das Recht erhalten habe, dieſen oder jenen Verbrecher mit dem Tode zu be- ſtrafen; und die hieruͤber gewechſelten Schriften haben nicht allein manchen fluͤchtigen Kopf, der einen Dieb mit eben der Gleichguͤltigkeit zum Galgen gehen ſahe, womit er ſein Hochzeitsfeſt angeſehen haben wuͤrde, zum Nach- denken gebracht, ſondern auch unſre ganze Lehre von Ver- brechen und Strafen aufgeklaͤrt. Mich duͤnkt aber im- mer, daß wir mit dieſen philoſophiſchen Unterſuchungen noch weiter gekommen ſeyn wuͤrden, wenn wir die Frage alſo geſtellet haͤtten: woher die Obrigkeit das Recht er- halten habe, dieſen oder jenen Verbrecher beym Leben zu erhalten?
Denn unſtreitig lag die Sache im Stande der rohen Natur, und, wie uns die Geſchichte zeigt, ſo gar in dem Stande der erſten Vereinigungen alſo, daß jeder Menſch denjenigen, der ihn beleidiget hatte, ſo weit und ſo lange verfolgen mochte, als ſeine Staͤrke reichte; daß jeder ſeinen Feind erſchlagen oder begnadigen konnte wie es
ihm
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Ueber die Todesſtrafen.
Es iſt gut, rief der Richter, daß alle Leute nicht ſo
klug ſind, wie Sie; ſonſt wuͤrde es mit den Punkten und
Artikeln ſchlecht ausſehen; und damit gieng er zu ſeiner
Pfeiffe ohne weiter zu fragen; und der andre der den
Schlag ausgetheilt hatte, hielt ſich auch nicht verbunden,
mit ihm laͤnger zu zanken.
XXXIV.
Ueber die Todesſtrafen.
Es iſt zu unſern Zeiten ſehr oft die Frage aufgeworfen
worden: woher die Obrigkeit das Recht erhalten
habe, dieſen oder jenen Verbrecher mit dem Tode zu be-
ſtrafen; und die hieruͤber gewechſelten Schriften haben
nicht allein manchen fluͤchtigen Kopf, der einen Dieb mit
eben der Gleichguͤltigkeit zum Galgen gehen ſahe, womit
er ſein Hochzeitsfeſt angeſehen haben wuͤrde, zum Nach-
denken gebracht, ſondern auch unſre ganze Lehre von Ver-
brechen und Strafen aufgeklaͤrt. Mich duͤnkt aber im-
mer, daß wir mit dieſen philoſophiſchen Unterſuchungen
noch weiter gekommen ſeyn wuͤrden, wenn wir die Frage
alſo geſtellet haͤtten: woher die Obrigkeit das Recht er-
halten habe, dieſen oder jenen Verbrecher beym Leben
zu erhalten?
Denn unſtreitig lag die Sache im Stande der rohen
Natur, und, wie uns die Geſchichte zeigt, ſo gar in dem
Stande der erſten Vereinigungen alſo, daß jeder Menſch
denjenigen, der ihn beleidiget hatte, ſo weit und ſo lange
verfolgen mochte, als ſeine Staͤrke reichte; daß jeder
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/142>, abgerufen am 30.11.2023.
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