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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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der deutschen Reichsgeschichte.
auf die rechte Bahn gerathen und darauf mit Vergnü-
gen wandeln.

So lange wir aber den Plan unsrer Geschichte auf
diese oder eine andre Art nicht zur Einheit erheben, wird
dieselbe immer einer Schlange gleichen, die in hundert
Stücke zerpeitscht, jeden Theil ihres Körpers der durch
ein bisgen Haut mit dem andern zusammen hängt, mit
sich fortschleppt; und der Hauptfaden eines Pütters, so
fest und schön wie er auch gedreht ist, wird dem Geschicht-
schreiber nicht zum Seile dienen können, um sich in der
Höhe zu halten. Er wird immer wechselweise steigen und
fallen, und oft seine Verbindungen und Uebergänge so
kümmerlich suchen müssen, daß auch das Colorit eines
Schmids in seiner Geschichte der Deutschen nicht hin-
reicht, um diese Flickerey dem Auge zu entziehen; oder
wir müssen, wie unser Landesmann Hegewisch in seiner
Geschichte Carl des Großen und Ludewig des Frommen
gethan hat, aus der Lebensgeschichte eines jeden Kaysers
eine besondre Epopee machen, welches aber nie zu einer
vollständigen Reichshistorie, die einzig und allein in der
Naturgeschichte seiner Vereinigung bestehn kann, führen
wird. Wir werden dann nur einzelne schöne Gemählde
aber keine in Eins zusammenstimmende Gallerie erhal-
ten; und der größte Mahler kann mit den also gestelle-
ten Gegenständen, so viel ich von der historischen Kunst
verstehe, niemals Ehre einlegen.



XLI.

der deutſchen Reichsgeſchichte.
auf die rechte Bahn gerathen und darauf mit Vergnuͤ-
gen wandeln.

So lange wir aber den Plan unſrer Geſchichte auf
dieſe oder eine andre Art nicht zur Einheit erheben, wird
dieſelbe immer einer Schlange gleichen, die in hundert
Stuͤcke zerpeitſcht, jeden Theil ihres Koͤrpers der durch
ein bisgen Haut mit dem andern zuſammen haͤngt, mit
ſich fortſchleppt; und der Hauptfaden eines Puͤtters, ſo
feſt und ſchoͤn wie er auch gedreht iſt, wird dem Geſchicht-
ſchreiber nicht zum Seile dienen koͤnnen, um ſich in der
Hoͤhe zu halten. Er wird immer wechſelweiſe ſteigen und
fallen, und oft ſeine Verbindungen und Uebergaͤnge ſo
kuͤmmerlich ſuchen muͤſſen, daß auch das Colorit eines
Schmids in ſeiner Geſchichte der Deutſchen nicht hin-
reicht, um dieſe Flickerey dem Auge zu entziehen; oder
wir muͤſſen, wie unſer Landesmann Hegewiſch in ſeiner
Geſchichte Carl des Großen und Ludewig des Frommen
gethan hat, aus der Lebensgeſchichte eines jeden Kayſers
eine beſondre Epopee machen, welches aber nie zu einer
vollſtaͤndigen Reichshiſtorie, die einzig und allein in der
Naturgeſchichte ſeiner Vereinigung beſtehn kann, fuͤhren
wird. Wir werden dann nur einzelne ſchoͤne Gemaͤhlde
aber keine in Eins zuſammenſtimmende Gallerie erhal-
ten; und der groͤßte Mahler kann mit den alſo geſtelle-
ten Gegenſtaͤnden, ſo viel ich von der hiſtoriſchen Kunſt
verſtehe, niemals Ehre einlegen.



XLI.
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[157/0169] der deutſchen Reichsgeſchichte. auf die rechte Bahn gerathen und darauf mit Vergnuͤ- gen wandeln. So lange wir aber den Plan unſrer Geſchichte auf dieſe oder eine andre Art nicht zur Einheit erheben, wird dieſelbe immer einer Schlange gleichen, die in hundert Stuͤcke zerpeitſcht, jeden Theil ihres Koͤrpers der durch ein bisgen Haut mit dem andern zuſammen haͤngt, mit ſich fortſchleppt; und der Hauptfaden eines Puͤtters, ſo feſt und ſchoͤn wie er auch gedreht iſt, wird dem Geſchicht- ſchreiber nicht zum Seile dienen koͤnnen, um ſich in der Hoͤhe zu halten. Er wird immer wechſelweiſe ſteigen und fallen, und oft ſeine Verbindungen und Uebergaͤnge ſo kuͤmmerlich ſuchen muͤſſen, daß auch das Colorit eines Schmids in ſeiner Geſchichte der Deutſchen nicht hin- reicht, um dieſe Flickerey dem Auge zu entziehen; oder wir muͤſſen, wie unſer Landesmann Hegewiſch in ſeiner Geſchichte Carl des Großen und Ludewig des Frommen gethan hat, aus der Lebensgeſchichte eines jeden Kayſers eine beſondre Epopee machen, welches aber nie zu einer vollſtaͤndigen Reichshiſtorie, die einzig und allein in der Naturgeſchichte ſeiner Vereinigung beſtehn kann, fuͤhren wird. Wir werden dann nur einzelne ſchoͤne Gemaͤhlde aber keine in Eins zuſammenſtimmende Gallerie erhal- ten; und der groͤßte Mahler kann mit den alſo geſtelle- ten Gegenſtaͤnden, ſo viel ich von der hiſtoriſchen Kunſt verſtehe, niemals Ehre einlegen. XLI.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/169>, abgerufen am 28.03.2024.