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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Ein Denkmal der deutschen Freyheitsliebe.

XLI.
Ein Denkmal der deutschen Freyheitsliebe.

Unter Otto dem Großen wurde in einem Processe über
die Frage gestritten: Wenn ein Erblasser Söhne
und Enkel hinterließe, ob die letztern in ihres verstorbe-
nen Vaters Stelle treten und durch denselben mit den
Söhnen erben könnten oder nicht? Und der König fand
es nöthig, die Reichsfürsten darüber zu vernehmen, was
in diesem Falle zu thun sey, worin es noch an einem
allgemeinen deutschen Gesetze ermangelte, indem das rö-
mische Recht damals noch nicht bey uns angenommen
war. Diese riethen zu Schiedsrichtern, aber der König
fand es unanständig und schimpflich *) die Edlen und Für-
sten des Volks folgergestalt der Weisheit, oder welches
einerley ist, der Willkühr andrer zu unterwerfen, und
befahl dafür, das Recht durch den Kampf suchen zu las-
sen; worin auch nachwärts derjenige siegte, welcher für
das Recht der Enkel gestritten hatte.

Hier sieht man recht die Barbarey unsrer Vorfah-
ren, sagen unsre neuern Weisen; die Wahrheit mit dem
Degen zu suchen, kann nur Menschen einfallen, die ge-
wohnt sind alles auf die Faust ankommen zu lassen. Aber
so sonderbar uns auch gegenwärtig der Ausspruch des
Königs vorkömmt: so liegt doch in der That ein so fei-
nes Gefühl von Ehre darin, daß wir alle Ursache ha-

*) Rex autem meliori usus consilio, noluit viros nobiles & se-
nes populi inhoneste tractari, sed magis rem inter gladiatores
discerni jussic, VVITICH ann. L. II. p.
644.
Ein Denkmal der deutſchen Freyheitsliebe.

XLI.
Ein Denkmal der deutſchen Freyheitsliebe.

Unter Otto dem Großen wurde in einem Proceſſe uͤber
die Frage geſtritten: Wenn ein Erblaſſer Soͤhne
und Enkel hinterließe, ob die letztern in ihres verſtorbe-
nen Vaters Stelle treten und durch denſelben mit den
Soͤhnen erben koͤnnten oder nicht? Und der Koͤnig fand
es noͤthig, die Reichsfuͤrſten daruͤber zu vernehmen, was
in dieſem Falle zu thun ſey, worin es noch an einem
allgemeinen deutſchen Geſetze ermangelte, indem das roͤ-
miſche Recht damals noch nicht bey uns angenommen
war. Dieſe riethen zu Schiedsrichtern, aber der Koͤnig
fand es unanſtaͤndig und ſchimpflich *) die Edlen und Fuͤr-
ſten des Volks folgergeſtalt der Weisheit, oder welches
einerley iſt, der Willkuͤhr andrer zu unterwerfen, und
befahl dafuͤr, das Recht durch den Kampf ſuchen zu laſ-
ſen; worin auch nachwaͤrts derjenige ſiegte, welcher fuͤr
das Recht der Enkel geſtritten hatte.

Hier ſieht man recht die Barbarey unſrer Vorfah-
ren, ſagen unſre neuern Weiſen; die Wahrheit mit dem
Degen zu ſuchen, kann nur Menſchen einfallen, die ge-
wohnt ſind alles auf die Fauſt ankommen zu laſſen. Aber
ſo ſonderbar uns auch gegenwaͤrtig der Ausſpruch des
Koͤnigs vorkoͤmmt: ſo liegt doch in der That ein ſo fei-
nes Gefuͤhl von Ehre darin, daß wir alle Urſache ha-

*) Rex autem meliori uſus conſilio, noluit viros nobiles & ſe-
nes populi inhoneſte tractari, ſed magis rem inter gladiatores
diſcerni juſſic, VVITICH ann. L. II. p.
644.
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[158/0170] Ein Denkmal der deutſchen Freyheitsliebe. XLI. Ein Denkmal der deutſchen Freyheitsliebe. Unter Otto dem Großen wurde in einem Proceſſe uͤber die Frage geſtritten: Wenn ein Erblaſſer Soͤhne und Enkel hinterließe, ob die letztern in ihres verſtorbe- nen Vaters Stelle treten und durch denſelben mit den Soͤhnen erben koͤnnten oder nicht? Und der Koͤnig fand es noͤthig, die Reichsfuͤrſten daruͤber zu vernehmen, was in dieſem Falle zu thun ſey, worin es noch an einem allgemeinen deutſchen Geſetze ermangelte, indem das roͤ- miſche Recht damals noch nicht bey uns angenommen war. Dieſe riethen zu Schiedsrichtern, aber der Koͤnig fand es unanſtaͤndig und ſchimpflich *) die Edlen und Fuͤr- ſten des Volks folgergeſtalt der Weisheit, oder welches einerley iſt, der Willkuͤhr andrer zu unterwerfen, und befahl dafuͤr, das Recht durch den Kampf ſuchen zu laſ- ſen; worin auch nachwaͤrts derjenige ſiegte, welcher fuͤr das Recht der Enkel geſtritten hatte. Hier ſieht man recht die Barbarey unſrer Vorfah- ren, ſagen unſre neuern Weiſen; die Wahrheit mit dem Degen zu ſuchen, kann nur Menſchen einfallen, die ge- wohnt ſind alles auf die Fauſt ankommen zu laſſen. Aber ſo ſonderbar uns auch gegenwaͤrtig der Ausſpruch des Koͤnigs vorkoͤmmt: ſo liegt doch in der That ein ſo fei- nes Gefuͤhl von Ehre darin, daß wir alle Urſache ha- *) Rex autem meliori uſus conſilio, noluit viros nobiles & ſe- nes populi inhoneſte tractari, ſed magis rem inter gladiatores diſcerni juſſic, VVITICH ann. L. II. p. 644.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/170>, abgerufen am 28.03.2024.