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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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an seinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit.
in den Köpfen ihrer Rathgeber befindet; aber indem sie
so vermuthen und wir uns so stellen: so haben die schlauen
Bögel in der Stadt ihren Spuck mit uns, und anstatt
die Gärste ins Brauhaus zu fahren, fährt der Knecht
sie zum Advocaten.

Jn Ansehung der hohen Gerichtsbarkeit gaben Sie
selbst gestern Abend ziemlich nach, wie ich Jhnen vorrech-
nete was eine Jnquisition und Execution kostete, wenn
Jhnen auch der Landesherr sein ganzes Jnventarium,
welches Sie doch eigentlich selbst halten müßten, dazu
liehe; Sie fanden etwas widerliches darin, keine halbe
Stunde weit jagen zu dürfen, ohne in eine neue Herrlich-
keit zu kommen, und auf dem Boden derselben sofort ih-
ren Halsherrn anzutreffen; und es schien Jhnen weit be-
quemer, daß man für hundert Herrlichkeiten nur ein
wohlbesetztes Obergericht, nur einen Land-Physicus, nur
einen Land-Chirurgus, nur einen Scharfrichter, nur ein
Gefängniß, und nur eine Marterkammer hätte, als daß
jede Herrlichkeit alle diese Stücke, und wahrscheinlich von
mindrer Güte, besonders unterhalten müßte. Sie lieb-
ten es nicht auf jedem Kreuzwege einen Galgen zu finden,
und glaubten die Fremden würden ein Land barbarisch
nennen, worin es so fürchterlich aussähe. Sie fühlten
endlich, daß das einzige Obergericht auf demselben Grun-
de bestehe, worauf unser Stadt-Brauhaus steht, näm-
lich, daß es mehrere Herrlichkeiten zusammen halten, da-
mit nicht jeder nöthig habe dergleichen für sich allein zu
unterhalten; daß die Wahl so wie die Beeydigung des
Braumeisters um deswillen der höchsten Obrigkeit über-
lassen sey, damit nicht hundert Köpfe mit ihren hundert
Sinnen das Ding alle Augenblick verwirren möchten;
und daß die Brau-Ordnung, oder wenn Sie wollen,

die
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an ſeinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit.
in den Koͤpfen ihrer Rathgeber befindet; aber indem ſie
ſo vermuthen und wir uns ſo ſtellen: ſo haben die ſchlauen
Boͤgel in der Stadt ihren Spuck mit uns, und anſtatt
die Gaͤrſte ins Brauhaus zu fahren, faͤhrt der Knecht
ſie zum Advocaten.

Jn Anſehung der hohen Gerichtsbarkeit gaben Sie
ſelbſt geſtern Abend ziemlich nach, wie ich Jhnen vorrech-
nete was eine Jnquiſition und Execution koſtete, wenn
Jhnen auch der Landesherr ſein ganzes Jnventarium,
welches Sie doch eigentlich ſelbſt halten muͤßten, dazu
liehe; Sie fanden etwas widerliches darin, keine halbe
Stunde weit jagen zu duͤrfen, ohne in eine neue Herrlich-
keit zu kommen, und auf dem Boden derſelben ſofort ih-
ren Halsherrn anzutreffen; und es ſchien Jhnen weit be-
quemer, daß man fuͤr hundert Herrlichkeiten nur ein
wohlbeſetztes Obergericht, nur einen Land-Phyſicus, nur
einen Land-Chirurgus, nur einen Scharfrichter, nur ein
Gefaͤngniß, und nur eine Marterkammer haͤtte, als daß
jede Herrlichkeit alle dieſe Stuͤcke, und wahrſcheinlich von
mindrer Guͤte, beſonders unterhalten muͤßte. Sie lieb-
ten es nicht auf jedem Kreuzwege einen Galgen zu finden,
und glaubten die Fremden wuͤrden ein Land barbariſch
nennen, worin es ſo fuͤrchterlich ausſaͤhe. Sie fuͤhlten
endlich, daß das einzige Obergericht auf demſelben Grun-
de beſtehe, worauf unſer Stadt-Brauhaus ſteht, naͤm-
lich, daß es mehrere Herrlichkeiten zuſammen halten, da-
mit nicht jeder noͤthig habe dergleichen fuͤr ſich allein zu
unterhalten; daß die Wahl ſo wie die Beeydigung des
Braumeiſters um deswillen der hoͤchſten Obrigkeit uͤber-
laſſen ſey, damit nicht hundert Koͤpfe mit ihren hundert
Sinnen das Ding alle Augenblick verwirren moͤchten;
und daß die Brau-Ordnung, oder wenn Sie wollen,

die
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[169/0181] an ſeinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit. in den Koͤpfen ihrer Rathgeber befindet; aber indem ſie ſo vermuthen und wir uns ſo ſtellen: ſo haben die ſchlauen Boͤgel in der Stadt ihren Spuck mit uns, und anſtatt die Gaͤrſte ins Brauhaus zu fahren, faͤhrt der Knecht ſie zum Advocaten. Jn Anſehung der hohen Gerichtsbarkeit gaben Sie ſelbſt geſtern Abend ziemlich nach, wie ich Jhnen vorrech- nete was eine Jnquiſition und Execution koſtete, wenn Jhnen auch der Landesherr ſein ganzes Jnventarium, welches Sie doch eigentlich ſelbſt halten muͤßten, dazu liehe; Sie fanden etwas widerliches darin, keine halbe Stunde weit jagen zu duͤrfen, ohne in eine neue Herrlich- keit zu kommen, und auf dem Boden derſelben ſofort ih- ren Halsherrn anzutreffen; und es ſchien Jhnen weit be- quemer, daß man fuͤr hundert Herrlichkeiten nur ein wohlbeſetztes Obergericht, nur einen Land-Phyſicus, nur einen Land-Chirurgus, nur einen Scharfrichter, nur ein Gefaͤngniß, und nur eine Marterkammer haͤtte, als daß jede Herrlichkeit alle dieſe Stuͤcke, und wahrſcheinlich von mindrer Guͤte, beſonders unterhalten muͤßte. Sie lieb- ten es nicht auf jedem Kreuzwege einen Galgen zu finden, und glaubten die Fremden wuͤrden ein Land barbariſch nennen, worin es ſo fuͤrchterlich ausſaͤhe. Sie fuͤhlten endlich, daß das einzige Obergericht auf demſelben Grun- de beſtehe, worauf unſer Stadt-Brauhaus ſteht, naͤm- lich, daß es mehrere Herrlichkeiten zuſammen halten, da- mit nicht jeder noͤthig habe dergleichen fuͤr ſich allein zu unterhalten; daß die Wahl ſo wie die Beeydigung des Braumeiſters um deswillen der hoͤchſten Obrigkeit uͤber- laſſen ſey, damit nicht hundert Koͤpfe mit ihren hundert Sinnen das Ding alle Augenblick verwirren moͤchten; und daß die Brau-Ordnung, oder wenn Sie wollen, die L 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/181>, abgerufen am 29.03.2024.