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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Der Werth der Complimente.
zeugt, daß dasjenige, was ich ihm sagte, blos Gutheit
und keine aufs Fangen ausgelegte Lockung war; aber
dem ungeachtet führte ihn das Glück, meine beste Stütze
zu seyn,
zu einer solchen Schilderung seiner Schwachheit,
daß ich um dem Gezier ein Ende zu machen, in die näch-
sie Hecke grif, und anstatt seines Arms den ersten Krüp-
pelstock in die Hand nahm.

Sie meine Beste haben mir oft geklagt, daß es ein
wahres Unglück für die Gesellschaften sey, auch selbst ei-
nem Freunde nicht alles sagen zu dürfen was man für
ihn fühlt. Jch habe aber die Wahrheit dieser Klage nie-
mals so lebhaft empfunden als damals. Wenn ein Freund
nicht einmal die aufrichtigen Ergießungen der Freund-
schaft von der Liebe unterscheiden kann; wenn man auch
gegen diesen noch etwas von dem, was man ihm gern
sagte, zurückhalten muß, um seine ruhende Eigenliebe
nicht aufzuwecken: wie sehr wird man denn nicht gegen
einen Gleichgültigen mit jeder Gefälligkeit auf seiner Hut
seyn müssen! Das männliche Geschlecht muß einen eignen
Grad von Selbstgefälligkeit besitzen, um so gleich jeden
beyfälligen Blick für einen verbuhlten Wink aufnehmen
zu können.

Jedoch Jhren lieben Freund nehme ich davon aus,
das versteht sich. Diesen kann man so gar mit der Wahr-
heit schmeicheln, ohne daß er sich feyerlich dagegen ver-
wahrt. Er fühlt, was man ihm angenehmes sagt, mit
Bescheidenheit und Zärtlichkeit, und erwartet seine Ge-
legenheit, um uns eine eben so warme Empfindung ab-
zulocken; oder er schmeichelt in Thaten, und läßt von sei-
ner Erkenntlichkeit noch immer mehr errathen als man
davon sieht. Von der Nothwendigkeit des gegenseitigen
Gefallens in der menschlichen Gesellschaft überzeugt,
legt er einem vertraulichen Drucke nicht mehr bey, als

darin

Der Werth der Complimente.
zeugt, daß dasjenige, was ich ihm ſagte, blos Gutheit
und keine aufs Fangen ausgelegte Lockung war; aber
dem ungeachtet fuͤhrte ihn das Gluͤck, meine beſte Stuͤtze
zu ſeyn,
zu einer ſolchen Schilderung ſeiner Schwachheit,
daß ich um dem Gezier ein Ende zu machen, in die naͤch-
ſie Hecke grif, und anſtatt ſeines Arms den erſten Kruͤp-
pelſtock in die Hand nahm.

Sie meine Beſte haben mir oft geklagt, daß es ein
wahres Ungluͤck fuͤr die Geſellſchaften ſey, auch ſelbſt ei-
nem Freunde nicht alles ſagen zu duͤrfen was man fuͤr
ihn fuͤhlt. Jch habe aber die Wahrheit dieſer Klage nie-
mals ſo lebhaft empfunden als damals. Wenn ein Freund
nicht einmal die aufrichtigen Ergießungen der Freund-
ſchaft von der Liebe unterſcheiden kann; wenn man auch
gegen dieſen noch etwas von dem, was man ihm gern
ſagte, zuruͤckhalten muß, um ſeine ruhende Eigenliebe
nicht aufzuwecken: wie ſehr wird man denn nicht gegen
einen Gleichguͤltigen mit jeder Gefaͤlligkeit auf ſeiner Hut
ſeyn muͤſſen! Das maͤnnliche Geſchlecht muß einen eignen
Grad von Selbſtgefaͤlligkeit beſitzen, um ſo gleich jeden
beyfaͤlligen Blick fuͤr einen verbuhlten Wink aufnehmen
zu koͤnnen.

Jedoch Jhren lieben Freund nehme ich davon aus,
das verſteht ſich. Dieſen kann man ſo gar mit der Wahr-
heit ſchmeicheln, ohne daß er ſich feyerlich dagegen ver-
wahrt. Er fuͤhlt, was man ihm angenehmes ſagt, mit
Beſcheidenheit und Zaͤrtlichkeit, und erwartet ſeine Ge-
legenheit, um uns eine eben ſo warme Empfindung ab-
zulocken; oder er ſchmeichelt in Thaten, und laͤßt von ſei-
ner Erkenntlichkeit noch immer mehr errathen als man
davon ſieht. Von der Nothwendigkeit des gegenſeitigen
Gefallens in der menſchlichen Geſellſchaft uͤberzeugt,
legt er einem vertraulichen Drucke nicht mehr bey, als

darin
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[75/0087] Der Werth der Complimente. zeugt, daß dasjenige, was ich ihm ſagte, blos Gutheit und keine aufs Fangen ausgelegte Lockung war; aber dem ungeachtet fuͤhrte ihn das Gluͤck, meine beſte Stuͤtze zu ſeyn, zu einer ſolchen Schilderung ſeiner Schwachheit, daß ich um dem Gezier ein Ende zu machen, in die naͤch- ſie Hecke grif, und anſtatt ſeines Arms den erſten Kruͤp- pelſtock in die Hand nahm. Sie meine Beſte haben mir oft geklagt, daß es ein wahres Ungluͤck fuͤr die Geſellſchaften ſey, auch ſelbſt ei- nem Freunde nicht alles ſagen zu duͤrfen was man fuͤr ihn fuͤhlt. Jch habe aber die Wahrheit dieſer Klage nie- mals ſo lebhaft empfunden als damals. Wenn ein Freund nicht einmal die aufrichtigen Ergießungen der Freund- ſchaft von der Liebe unterſcheiden kann; wenn man auch gegen dieſen noch etwas von dem, was man ihm gern ſagte, zuruͤckhalten muß, um ſeine ruhende Eigenliebe nicht aufzuwecken: wie ſehr wird man denn nicht gegen einen Gleichguͤltigen mit jeder Gefaͤlligkeit auf ſeiner Hut ſeyn muͤſſen! Das maͤnnliche Geſchlecht muß einen eignen Grad von Selbſtgefaͤlligkeit beſitzen, um ſo gleich jeden beyfaͤlligen Blick fuͤr einen verbuhlten Wink aufnehmen zu koͤnnen. Jedoch Jhren lieben Freund nehme ich davon aus, das verſteht ſich. Dieſen kann man ſo gar mit der Wahr- heit ſchmeicheln, ohne daß er ſich feyerlich dagegen ver- wahrt. Er fuͤhlt, was man ihm angenehmes ſagt, mit Beſcheidenheit und Zaͤrtlichkeit, und erwartet ſeine Ge- legenheit, um uns eine eben ſo warme Empfindung ab- zulocken; oder er ſchmeichelt in Thaten, und laͤßt von ſei- ner Erkenntlichkeit noch immer mehr errathen als man davon ſieht. Von der Nothwendigkeit des gegenſeitigen Gefallens in der menſchlichen Geſellſchaft uͤberzeugt, legt er einem vertraulichen Drucke nicht mehr bey, als darin

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/87>, abgerufen am 24.04.2024.