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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
bei der derselbe alle Lasten des Eigenthums trug, den ganzen
Bauernstand zu demoralisiren und politisch zu vernichten. Die
Absicht des Gesetzgebers, als er statt der hypothekarischen
Schuld den sofortigen Uebergang des Eigenthums auf den
Gläubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und
die Lasten des Staats den reellen Inhabern des Grundes und
Bodens aufzuwälzen, ward umgangen durch das strenge per-
sönliche Creditsystem, das für Kaufleute sehr zweckmässig
sein mochte, die Bauern aber ruinirte. Hatten die bäuer-
lichen Verhältnisse bei der freien Theilbarkeit des Bodens
schon immer gedroht ein überschuldetes Ackerbauproletariat
zu entwickeln, so musste unter solchen Verhältnissen, wo alle
Lasten stiegen, alle Abhülfen sich versperrten, die Noth und
die Hoffnungslosigkeit unter der ackerbauenden Mittelklasse
mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen.

Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen
Verhältnissen hervorging, fällt keineswegs zusammen mit dem
der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei weitem
grösste Theil der Patricier reich begütert, so fehlte es doch
natürlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und an-
sehnlichen Familien, und da der Senat, der schon damals
wohl zur grösseren Hälfte aus Plebejern bestand, selbst mit
Ausschliessung der patricischen Magistrate die finanzielle Ober-
leitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, dass
alle jene ökonomischen Vortheile, zu denen die politischen
Vorrechte des Adels missbraucht wurden, den Reichen insge-
sammt zu Gute kamen und der Druck auf dem gemeinen
Mann um so schwerer lastete, da durch den Eintritt in den
Senat die tüchtigsten und widerstandsfähigsten Personen aus
der Klasse der Unterdrückten übertraten in die der Unter-
drücker. -- Hiedurch aber ward die politische Stellung des
Adels unhaltbar. Hätte er es über sich vermocht gerecht zu
regieren und den Mittelstand geschützt, wie es Einzelne aus
seiner Mitte versuchten, ohne bei der gedrückten Stellung der
Magistratur damit durchdringen zu können, so konnte er sich
noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten. Hätte er
es vermocht die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller
Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat
die Gewinnung des Patriciats zu knüpfen, so mochten beide
noch lange ungestraft regieren und speculiren. Allein die Eng-
herzigkeit und Kurzsichtigkeit, welche die eigentlichen und
unverlierbaren Privilegien alles ächten Junkerthums sind, ver-

VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
bei der derselbe alle Lasten des Eigenthums trug, den ganzen
Bauernstand zu demoralisiren und politisch zu vernichten. Die
Absicht des Gesetzgebers, als er statt der hypothekarischen
Schuld den sofortigen Uebergang des Eigenthums auf den
Gläubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und
die Lasten des Staats den reellen Inhabern des Grundes und
Bodens aufzuwälzen, ward umgangen durch das strenge per-
sönliche Creditsystem, das für Kaufleute sehr zweckmäſsig
sein mochte, die Bauern aber ruinirte. Hatten die bäuer-
lichen Verhältnisse bei der freien Theilbarkeit des Bodens
schon immer gedroht ein überschuldetes Ackerbauproletariat
zu entwickeln, so muſste unter solchen Verhältnissen, wo alle
Lasten stiegen, alle Abhülfen sich versperrten, die Noth und
die Hoffnungslosigkeit unter der ackerbauenden Mittelklasse
mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen.

Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen
Verhältnissen hervorging, fällt keineswegs zusammen mit dem
der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei weitem
gröſste Theil der Patricier reich begütert, so fehlte es doch
natürlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und an-
sehnlichen Familien, und da der Senat, der schon damals
wohl zur gröſseren Hälfte aus Plebejern bestand, selbst mit
Ausschlieſsung der patricischen Magistrate die finanzielle Ober-
leitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, daſs
alle jene ökonomischen Vortheile, zu denen die politischen
Vorrechte des Adels miſsbraucht wurden, den Reichen insge-
sammt zu Gute kamen und der Druck auf dem gemeinen
Mann um so schwerer lastete, da durch den Eintritt in den
Senat die tüchtigsten und widerstandsfähigsten Personen aus
der Klasse der Unterdrückten übertraten in die der Unter-
drücker. — Hiedurch aber ward die politische Stellung des
Adels unhaltbar. Hätte er es über sich vermocht gerecht zu
regieren und den Mittelstand geschützt, wie es Einzelne aus
seiner Mitte versuchten, ohne bei der gedrückten Stellung der
Magistratur damit durchdringen zu können, so konnte er sich
noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten. Hätte er
es vermocht die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller
Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat
die Gewinnung des Patriciats zu knüpfen, so mochten beide
noch lange ungestraft regieren und speculiren. Allein die Eng-
herzigkeit und Kurzsichtigkeit, welche die eigentlichen und
unverlierbaren Privilegien alles ächten Junkerthums sind, ver-

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[173/0187] VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. bei der derselbe alle Lasten des Eigenthums trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisiren und politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigenthums auf den Gläubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten des Staats den reellen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwälzen, ward umgangen durch das strenge per- sönliche Creditsystem, das für Kaufleute sehr zweckmäſsig sein mochte, die Bauern aber ruinirte. Hatten die bäuer- lichen Verhältnisse bei der freien Theilbarkeit des Bodens schon immer gedroht ein überschuldetes Ackerbauproletariat zu entwickeln, so muſste unter solchen Verhältnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhülfen sich versperrten, die Noth und die Hoffnungslosigkeit unter der ackerbauenden Mittelklasse mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen. Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhältnissen hervorging, fällt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei weitem gröſste Theil der Patricier reich begütert, so fehlte es doch natürlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und an- sehnlichen Familien, und da der Senat, der schon damals wohl zur gröſseren Hälfte aus Plebejern bestand, selbst mit Ausschlieſsung der patricischen Magistrate die finanzielle Ober- leitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, daſs alle jene ökonomischen Vortheile, zu denen die politischen Vorrechte des Adels miſsbraucht wurden, den Reichen insge- sammt zu Gute kamen und der Druck auf dem gemeinen Mann um so schwerer lastete, da durch den Eintritt in den Senat die tüchtigsten und widerstandsfähigsten Personen aus der Klasse der Unterdrückten übertraten in die der Unter- drücker. — Hiedurch aber ward die politische Stellung des Adels unhaltbar. Hätte er es über sich vermocht gerecht zu regieren und den Mittelstand geschützt, wie es Einzelne aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der gedrückten Stellung der Magistratur damit durchdringen zu können, so konnte er sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten. Hätte er es vermocht die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriciats zu knüpfen, so mochten beide noch lange ungestraft regieren und speculiren. Allein die Eng- herzigkeit und Kurzsichtigkeit, welche die eigentlichen und unverlierbaren Privilegien alles ächten Junkerthums sind, ver-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/187>, abgerufen am 19.04.2024.