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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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erreicht, insofern als das ganze Blachland den Römern unter-
thänig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von
abhängigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indess
der Zeit um die Consequenzen dieses Sieges zu ziehen und
die Landschaft zu romanisiren. In den Gebirgen zwar, im
Nordapennin, in dem heutigen Piemont und in den Alpen
duldete man im Ganzen die bisherigen Bewohner; die zahl-
reichen sogenannten Kriege, die namentlich gegen die Li-
gurer geführt wurden (zuerst 516), scheinen mehr Sclaven-
jagden gewesen zu sein und wenn auch einzelne Gaue und
Thäler den Römern sich unterwarfen, so war die römische
Herrschaft doch hier in der Regel ein leerer Name. Auch die
Expedition nach Istrien (533) scheint nicht viel mehr bezweckt
zu haben als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Pira-
ten zu vernichten und längs der Küste zwischen den itali-
schen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen
Ufer eine Verbindung herzustellen. Im Ganzen verfuhr man
in Norditalien wie in Sardinien; man nahm das ebene Land
in Besitz und kümmerte sich wenig um die Gebirge. Dage-
gen griffen die Römer mit aller Energie ihre neue Aufgabe
an das Pothal, in dem die Kelten völlig auszurotten das Ziel
ihrer Politik sein musste und war, in Besitz zu nehmen und
zu sichern. Hier ward das dritte Amt, Gallia oder Ariminum
genannt, eingerichtet; die grosse Nordchaussee, die schon
achtzig Jahre früher über Otricoli nach Narni geführt und
kurz vorher bis an die neugegründete Festung Spoletium
(514) verlängert worden war, wurde jetzt (534) unter dem
Namen der flaminischen Strasse über den neu angelegten
Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlo-
pass an die Küste und an dieser entlang von Fanum (Fano)
bis nach Ariminum geführt, der Hauptstadt der neuen Provinz.
Es war die erste Kunststrasse, die den Apennin überschritt
und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig be-
schäftigt das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit römischen
Ortschaften zu bedecken. Schon war am Po selbst zur Dek-
kung des Uebergangs die starke Festung Placentia (Piacenza)
gegründet, schon am linken Ufer Cremona angelegt, am rech-
ten auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau
von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man
weitere Landanweisungen und die Fortführung der Chaussee
vor, als ein plötzliches Ereigniss die Römer in der Ausbeu-
tung ihrer Erfolge unterbrach.


DRITTES BUCH. KAPITEL III.
erreicht, insofern als das ganze Blachland den Römern unter-
thänig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von
abhängigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indeſs
der Zeit um die Consequenzen dieses Sieges zu ziehen und
die Landschaft zu romanisiren. In den Gebirgen zwar, im
Nordapennin, in dem heutigen Piemont und in den Alpen
duldete man im Ganzen die bisherigen Bewohner; die zahl-
reichen sogenannten Kriege, die namentlich gegen die Li-
gurer geführt wurden (zuerst 516), scheinen mehr Sclaven-
jagden gewesen zu sein und wenn auch einzelne Gaue und
Thäler den Römern sich unterwarfen, so war die römische
Herrschaft doch hier in der Regel ein leerer Name. Auch die
Expedition nach Istrien (533) scheint nicht viel mehr bezweckt
zu haben als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Pira-
ten zu vernichten und längs der Küste zwischen den itali-
schen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen
Ufer eine Verbindung herzustellen. Im Ganzen verfuhr man
in Norditalien wie in Sardinien; man nahm das ebene Land
in Besitz und kümmerte sich wenig um die Gebirge. Dage-
gen griffen die Römer mit aller Energie ihre neue Aufgabe
an das Pothal, in dem die Kelten völlig auszurotten das Ziel
ihrer Politik sein muſste und war, in Besitz zu nehmen und
zu sichern. Hier ward das dritte Amt, Gallia oder Ariminum
genannt, eingerichtet; die groſse Nordchaussee, die schon
achtzig Jahre früher über Otricoli nach Narni geführt und
kurz vorher bis an die neugegründete Festung Spoletium
(514) verlängert worden war, wurde jetzt (534) unter dem
Namen der flaminischen Straſse über den neu angelegten
Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlo-
paſs an die Küste und an dieser entlang von Fanum (Fano)
bis nach Ariminum geführt, der Hauptstadt der neuen Provinz.
Es war die erste Kunststraſse, die den Apennin überschritt
und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig be-
schäftigt das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit römischen
Ortschaften zu bedecken. Schon war am Po selbst zur Dek-
kung des Uebergangs die starke Festung Placentia (Piacenza)
gegründet, schon am linken Ufer Cremona angelegt, am rech-
ten auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau
von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man
weitere Landanweisungen und die Fortführung der Chaussee
vor, als ein plötzliches Ereigniſs die Römer in der Ausbeu-
tung ihrer Erfolge unterbrach.


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[378/0392] DRITTES BUCH. KAPITEL III. erreicht, insofern als das ganze Blachland den Römern unter- thänig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von abhängigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indeſs der Zeit um die Consequenzen dieses Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisiren. In den Gebirgen zwar, im Nordapennin, in dem heutigen Piemont und in den Alpen duldete man im Ganzen die bisherigen Bewohner; die zahl- reichen sogenannten Kriege, die namentlich gegen die Li- gurer geführt wurden (zuerst 516), scheinen mehr Sclaven- jagden gewesen zu sein und wenn auch einzelne Gaue und Thäler den Römern sich unterwarfen, so war die römische Herrschaft doch hier in der Regel ein leerer Name. Auch die Expedition nach Istrien (533) scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Pira- ten zu vernichten und längs der Küste zwischen den itali- schen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen Ufer eine Verbindung herzustellen. Im Ganzen verfuhr man in Norditalien wie in Sardinien; man nahm das ebene Land in Besitz und kümmerte sich wenig um die Gebirge. Dage- gen griffen die Römer mit aller Energie ihre neue Aufgabe an das Pothal, in dem die Kelten völlig auszurotten das Ziel ihrer Politik sein muſste und war, in Besitz zu nehmen und zu sichern. Hier ward das dritte Amt, Gallia oder Ariminum genannt, eingerichtet; die groſse Nordchaussee, die schon achtzig Jahre früher über Otricoli nach Narni geführt und kurz vorher bis an die neugegründete Festung Spoletium (514) verlängert worden war, wurde jetzt (534) unter dem Namen der flaminischen Straſse über den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlo- paſs an die Küste und an dieser entlang von Fanum (Fano) bis nach Ariminum geführt, der Hauptstadt der neuen Provinz. Es war die erste Kunststraſse, die den Apennin überschritt und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig be- schäftigt das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit römischen Ortschaften zu bedecken. Schon war am Po selbst zur Dek- kung des Uebergangs die starke Festung Placentia (Piacenza) gegründet, schon am linken Ufer Cremona angelegt, am rech- ten auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere Landanweisungen und die Fortführung der Chaussee vor, als ein plötzliches Ereigniſs die Römer in der Ausbeu- tung ihrer Erfolge unterbrach.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/392>, abgerufen am 28.03.2024.