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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
zug seines Wesens; er war stolz nicht bloss auf seinen Purpur,
und er durfte stolz sein. Er bewies nicht allein die Tapferkeit
des Soldaten und den Blick des Feldherrn, sondern auch
einen hohen Sinn in der Leitung der öffentlichen Angelegen-
heiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefühl verletzt ward.
Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte,
und eben vor allem die fähigsten und gebildetsten Männer,
so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter Ge-
sell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen
Rang gefährlich. Allein zugleich war er eine der übermüthig-
sten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter
erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er Niemand fürchte
als die Götter; aber es schien fast, als seien diese Götter
dieselben, denen sein Flottenführer Dikaearchos regelmässige
Opfer darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel
(Paranomia). Weder das Leben seiner Rathgeber und der
Begünstiger seiner Pläne war ihm heilig noch verschmähte
er es seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch
Zerstörung ehrwürdiger Denkmäler und namhafter Kunstwerke
zu befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angeführt,
dass wer den Vater ermorden lasse, auch die Söhne tödten
müsse. Es mag sein, dass ihm nicht eigentlich die Grausam-
keit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war
ihm gleichgültig und die Inconsequenz, die den Menschen
allein erträglich macht, fand nicht Raum in seinem starren
und harten Herzen. Er hat den Satz, dass kein Versprechen
und kein Moralgebot für den absoluten König bindend sei, so
schroff und grell zur Schau getragen, dass er eben dadurch
seinen Plänen die wesentlichsten Hindernisse in den Weg ge-
legt hat. Einsicht und Entschlossenheit kann Niemand ihm
absprechen, aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei
und Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Theil dadurch
sich erklärt, dass er schon im achtzehnten Jahr zum absolu-
ten Herrscher berufen ward und dass sein unbändiges Wüthen
gegen jeden, der durch Widerreden und Widerrathen ihn in
seinem Selbstregieren störte, alle selbstständigen Rathgeber
von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt
haben mag um die schwache und schmähliche Führung des
ersten makedonischen Krieges hervorzurufen, lässt sich nicht
sagen -- vielleicht jene Lässigkeit der Hoffart, die erst gegen
die nahe gerückte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht
selbst Gleichgültigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen

DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
zug seines Wesens; er war stolz nicht bloſs auf seinen Purpur,
und er durfte stolz sein. Er bewies nicht allein die Tapferkeit
des Soldaten und den Blick des Feldherrn, sondern auch
einen hohen Sinn in der Leitung der öffentlichen Angelegen-
heiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefühl verletzt ward.
Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte,
und eben vor allem die fähigsten und gebildetsten Männer,
so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter Ge-
sell beim Becher und den Frauen nicht bloſs durch seinen
Rang gefährlich. Allein zugleich war er eine der übermüthig-
sten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter
erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, daſs er Niemand fürchte
als die Götter; aber es schien fast, als seien diese Götter
dieselben, denen sein Flottenführer Dikaearchos regelmäſsige
Opfer darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel
(Paranomia). Weder das Leben seiner Rathgeber und der
Begünstiger seiner Pläne war ihm heilig noch verschmähte
er es seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch
Zerstörung ehrwürdiger Denkmäler und namhafter Kunstwerke
zu befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angeführt,
daſs wer den Vater ermorden lasse, auch die Söhne tödten
müsse. Es mag sein, daſs ihm nicht eigentlich die Grausam-
keit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war
ihm gleichgültig und die Inconsequenz, die den Menschen
allein erträglich macht, fand nicht Raum in seinem starren
und harten Herzen. Er hat den Satz, daſs kein Versprechen
und kein Moralgebot für den absoluten König bindend sei, so
schroff und grell zur Schau getragen, daſs er eben dadurch
seinen Plänen die wesentlichsten Hindernisse in den Weg ge-
legt hat. Einsicht und Entschlossenheit kann Niemand ihm
absprechen, aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei
und Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Theil dadurch
sich erklärt, daſs er schon im achtzehnten Jahr zum absolu-
ten Herrscher berufen ward und daſs sein unbändiges Wüthen
gegen jeden, der durch Widerreden und Widerrathen ihn in
seinem Selbstregieren störte, alle selbstständigen Rathgeber
von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt
haben mag um die schwache und schmähliche Führung des
ersten makedonischen Krieges hervorzurufen, läſst sich nicht
sagen — vielleicht jene Lässigkeit der Hoffart, die erst gegen
die nahe gerückte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht
selbst Gleichgültigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen

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[511/0525] DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. zug seines Wesens; er war stolz nicht bloſs auf seinen Purpur, und er durfte stolz sein. Er bewies nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn, sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der öffentlichen Angelegen- heiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefühl verletzt ward. Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte, und eben vor allem die fähigsten und gebildetsten Männer, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter Ge- sell beim Becher und den Frauen nicht bloſs durch seinen Rang gefährlich. Allein zugleich war er eine der übermüthig- sten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, daſs er Niemand fürchte als die Götter; aber es schien fast, als seien diese Götter dieselben, denen sein Flottenführer Dikaearchos regelmäſsige Opfer darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben seiner Rathgeber und der Begünstiger seiner Pläne war ihm heilig noch verschmähte er es seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch Zerstörung ehrwürdiger Denkmäler und namhafter Kunstwerke zu befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angeführt, daſs wer den Vater ermorden lasse, auch die Söhne tödten müsse. Es mag sein, daſs ihm nicht eigentlich die Grausam- keit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war ihm gleichgültig und die Inconsequenz, die den Menschen allein erträglich macht, fand nicht Raum in seinem starren und harten Herzen. Er hat den Satz, daſs kein Versprechen und kein Moralgebot für den absoluten König bindend sei, so schroff und grell zur Schau getragen, daſs er eben dadurch seinen Plänen die wesentlichsten Hindernisse in den Weg ge- legt hat. Einsicht und Entschlossenheit kann Niemand ihm absprechen, aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Theil dadurch sich erklärt, daſs er schon im achtzehnten Jahr zum absolu- ten Herrscher berufen ward und daſs sein unbändiges Wüthen gegen jeden, der durch Widerreden und Widerrathen ihn in seinem Selbstregieren störte, alle selbstständigen Rathgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt haben mag um die schwache und schmähliche Führung des ersten makedonischen Krieges hervorzurufen, läſst sich nicht sagen — vielleicht jene Lässigkeit der Hoffart, die erst gegen die nahe gerückte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst Gleichgültigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/525>, abgerufen am 23.04.2024.