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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
Rechts rein und vollständig den Nachkommen zu überliefern,
widersprach es indess den Eintritt in diese Collegien den Zu-
fälligkeiten der Volkswahl zu überliefern, und noch war dieser
Geist so mächtig, dass man sich darauf beschränkte die Wahl
der Vorsteher dieser Körperschaften, so weit sie Vorsteher
hatten, aus dem Schoss der Körperschaften den Comitien zu
übertragen; wobei überdiess noch, um ja nichts zu versehen,
nicht das ganze Volk wählte, sondern nur die kleinere Hälfte
der Bezirke. Auf diese Art kam, vermuthlich im Anfang die-
ser Epoche, sicher vor dem Jahre 542 die Wahl des Vor-
stehers der Curionen und die wichtigere des obersten Pontifex
an die Bürgerversammlung. -- Von grösserer Bedeutung war
die Reform der Centuriatcomitien, die höchst wahrscheinlich
in dem Jahre erfolgte, in dem der erste punische Krieg zu
Ende ging (513). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten
zuerst die Ritter gestimmt, das heisst der alte Geschlechtsadel
in seinen und die plebejische Nobilität in ihren Abtheilungen;
alsdann die erste Klasse, das heisst die Höchstbesteuerten;
und diese beiden Abtheilungen hatten, wenn sie einig waren,
jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuer-
pflichtigen der vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem
Gewicht, das der unter dem niedrigsten Steuersatz von 11000
Assen Geschätzten wesentlich illusorisch und den Freigelasse-
nen fehlte mit geringen Ausnahmen das Stimmrecht ganz.
Nach der neuen Ordnung stimmte dagegen einfach Bezirk nach
Bezirk und nur in dem einzelnen Bezirk Klasse nach Klasse;
die Höchstbesteuerten erhielten, statt wie nach der alten fast
die Hälfte, nach der neuen Ordnung nur etwa ein Fünftel
der Gesammtzahl der Stimmen, nicht mehr als jede der vier
folgenden Klassen. Zugleich wurde die Zahl der Bürgerbe-
zirke, nachdem sie auf fünf und dreissig gebracht war, hiemit
geschlossen und fortan die Neubürger nicht mehr in neue
Bezirke geordnet, sondern in die bestehenden eingeschrieben.
Es wird diese Reform als das Ende der ständischen Kämpfe
bezeichnet, und mit Recht; sie schaffte das letzte politische
Vorrecht des Adels, das wichtige Vorstimmrecht, ab und stellte
die reicheren Steuerpflichtigen den ärmeren wesentlich gleich.
Insofern ist ihre Tendenz allerdings demokratisch. Allein
selbst abgesehen davon, dass im Allgemeinen die Zeitgenossen
wie die Nachwelt gewohnt sind die Wichtigkeit der Verände-
rungen in der Stimmordnung der Urversammlungen zu über-
schätzen, wird man auch im Besondern die demokratische

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
Rechts rein und vollständig den Nachkommen zu überliefern,
widersprach es indeſs den Eintritt in diese Collegien den Zu-
fälligkeiten der Volkswahl zu überliefern, und noch war dieser
Geist so mächtig, daſs man sich darauf beschränkte die Wahl
der Vorsteher dieser Körperschaften, so weit sie Vorsteher
hatten, aus dem Schoſs der Körperschaften den Comitien zu
übertragen; wobei überdieſs noch, um ja nichts zu versehen,
nicht das ganze Volk wählte, sondern nur die kleinere Hälfte
der Bezirke. Auf diese Art kam, vermuthlich im Anfang die-
ser Epoche, sicher vor dem Jahre 542 die Wahl des Vor-
stehers der Curionen und die wichtigere des obersten Pontifex
an die Bürgerversammlung. — Von gröſserer Bedeutung war
die Reform der Centuriatcomitien, die höchst wahrscheinlich
in dem Jahre erfolgte, in dem der erste punische Krieg zu
Ende ging (513). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten
zuerst die Ritter gestimmt, das heiſst der alte Geschlechtsadel
in seinen und die plebejische Nobilität in ihren Abtheilungen;
alsdann die erste Klasse, das heiſst die Höchstbesteuerten;
und diese beiden Abtheilungen hatten, wenn sie einig waren,
jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuer-
pflichtigen der vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem
Gewicht, das der unter dem niedrigsten Steuersatz von 11000
Assen Geschätzten wesentlich illusorisch und den Freigelasse-
nen fehlte mit geringen Ausnahmen das Stimmrecht ganz.
Nach der neuen Ordnung stimmte dagegen einfach Bezirk nach
Bezirk und nur in dem einzelnen Bezirk Klasse nach Klasse;
die Höchstbesteuerten erhielten, statt wie nach der alten fast
die Hälfte, nach der neuen Ordnung nur etwa ein Fünftel
der Gesammtzahl der Stimmen, nicht mehr als jede der vier
folgenden Klassen. Zugleich wurde die Zahl der Bürgerbe-
zirke, nachdem sie auf fünf und dreiſsig gebracht war, hiemit
geschlossen und fortan die Neubürger nicht mehr in neue
Bezirke geordnet, sondern in die bestehenden eingeschrieben.
Es wird diese Reform als das Ende der ständischen Kämpfe
bezeichnet, und mit Recht; sie schaffte das letzte politische
Vorrecht des Adels, das wichtige Vorstimmrecht, ab und stellte
die reicheren Steuerpflichtigen den ärmeren wesentlich gleich.
Insofern ist ihre Tendenz allerdings demokratisch. Allein
selbst abgesehen davon, daſs im Allgemeinen die Zeitgenossen
wie die Nachwelt gewohnt sind die Wichtigkeit der Verände-
rungen in der Stimmordnung der Urversammlungen zu über-
schätzen, wird man auch im Besondern die demokratische

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[602/0616] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Rechts rein und vollständig den Nachkommen zu überliefern, widersprach es indeſs den Eintritt in diese Collegien den Zu- fälligkeiten der Volkswahl zu überliefern, und noch war dieser Geist so mächtig, daſs man sich darauf beschränkte die Wahl der Vorsteher dieser Körperschaften, so weit sie Vorsteher hatten, aus dem Schoſs der Körperschaften den Comitien zu übertragen; wobei überdieſs noch, um ja nichts zu versehen, nicht das ganze Volk wählte, sondern nur die kleinere Hälfte der Bezirke. Auf diese Art kam, vermuthlich im Anfang die- ser Epoche, sicher vor dem Jahre 542 die Wahl des Vor- stehers der Curionen und die wichtigere des obersten Pontifex an die Bürgerversammlung. — Von gröſserer Bedeutung war die Reform der Centuriatcomitien, die höchst wahrscheinlich in dem Jahre erfolgte, in dem der erste punische Krieg zu Ende ging (513). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten zuerst die Ritter gestimmt, das heiſst der alte Geschlechtsadel in seinen und die plebejische Nobilität in ihren Abtheilungen; alsdann die erste Klasse, das heiſst die Höchstbesteuerten; und diese beiden Abtheilungen hatten, wenn sie einig waren, jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuer- pflichtigen der vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das der unter dem niedrigsten Steuersatz von 11000 Assen Geschätzten wesentlich illusorisch und den Freigelasse- nen fehlte mit geringen Ausnahmen das Stimmrecht ganz. Nach der neuen Ordnung stimmte dagegen einfach Bezirk nach Bezirk und nur in dem einzelnen Bezirk Klasse nach Klasse; die Höchstbesteuerten erhielten, statt wie nach der alten fast die Hälfte, nach der neuen Ordnung nur etwa ein Fünftel der Gesammtzahl der Stimmen, nicht mehr als jede der vier folgenden Klassen. Zugleich wurde die Zahl der Bürgerbe- zirke, nachdem sie auf fünf und dreiſsig gebracht war, hiemit geschlossen und fortan die Neubürger nicht mehr in neue Bezirke geordnet, sondern in die bestehenden eingeschrieben. Es wird diese Reform als das Ende der ständischen Kämpfe bezeichnet, und mit Recht; sie schaffte das letzte politische Vorrecht des Adels, das wichtige Vorstimmrecht, ab und stellte die reicheren Steuerpflichtigen den ärmeren wesentlich gleich. Insofern ist ihre Tendenz allerdings demokratisch. Allein selbst abgesehen davon, daſs im Allgemeinen die Zeitgenossen wie die Nachwelt gewohnt sind die Wichtigkeit der Verände- rungen in der Stimmordnung der Urversammlungen zu über- schätzen, wird man auch im Besondern die demokratische

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/616>, abgerufen am 25.04.2024.