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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL III.
der Consul des J. 622 Publius Popillius, derselbe der die Blut-
gerichte gegen die Anhänger des Gracchus leitete, vermerkte auf
einem seiner Denkmäler, dass er ,der erste gewesen sei, der auf
den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern eingewiesen
habe', und auch sonst ist es überliefert, dass sich die Auftheilung
über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen Gemei-
nen die Zahl der römischen Bauerstellen vermehrt ward. Wie tief-
greifend und umfänglich diese Auftheilungen waren, bezeugen die
zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die gracchi-
schen Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn
zum Beispiel eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende
Marksteinsetzung zuerst durch die gracchischen Grenzgerichte und
Landauftheilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deut-
lichsten aber reden die Zahlen der Bürgerliste. Die Schätzung,
die im J. 623 veröffentlicht ward und thatsächlich wohl Anfang
622 stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfähige Bürger,
wogegen sechs Jahre später (629) statt des bisherigen Sinkens
(S. 76) eine beträchtliche Steigerung um 76000 waffenfähige
Bürger erscheint -- ohne allen Zweifel lediglich in Folge der
Thätigkeit der Theilungscommission, deren Landanweisungen an
italische Bundesgenossen übrigens hierbei noch nicht in Ansatz
gebracht sind. Dieses grosse und segensreiche Resultat ward al-
lerdings nicht erreicht ohne vielfache Verletzung achtbarer Inter-
essen und bestehender Rechte. Die Theilungscommission, zusam-
mengesetzt aus den entschiedensten Parteimännern und durch-
aus Richterin in eigener Sache, ging mit ihren Arbeiten rück-
sichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge for-
derten jeden der dazu im Stande war auf über die Ausdehnung
des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde
zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloss neue
und alte Occupationen ohne Unterschied wieder eingefordert,
sondern auch vielfältig wirkliches Privateigenthum, über das der
Inhaber sich nicht genügend auszuweisen vermochte, mit con-
fiscirt. Indess wie laut und grossentheils begründet auch die
Klagen waren, liess der Senat dennoch die Theilungscommission
gewähren; es war einleuchtend, dass, wenn man einmal die Do-
manialtheilung wollte, ohne solches rücksichtsloses Durchgreifen
schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies
doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht aus-
schliesslich in den Händen römischer Bürger; grosse Strecken
desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch
Volks- oder Senatsbeschlüsse zu ausschliessender Benutzung zu-

VIERTES BUCH. KAPITEL III.
der Consul des J. 622 Publius Popillius, derselbe der die Blut-
gerichte gegen die Anhänger des Gracchus leitete, vermerkte auf
einem seiner Denkmäler, daſs er ‚der erste gewesen sei, der auf
den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern eingewiesen
habe‘, und auch sonst ist es überliefert, daſs sich die Auftheilung
über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen Gemei-
nen die Zahl der römischen Bauerstellen vermehrt ward. Wie tief-
greifend und umfänglich diese Auftheilungen waren, bezeugen die
zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die gracchi-
schen Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn
zum Beispiel eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende
Marksteinsetzung zuerst durch die gracchischen Grenzgerichte und
Landauftheilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deut-
lichsten aber reden die Zahlen der Bürgerliste. Die Schätzung,
die im J. 623 veröffentlicht ward und thatsächlich wohl Anfang
622 stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfähige Bürger,
wogegen sechs Jahre später (629) statt des bisherigen Sinkens
(S. 76) eine beträchtliche Steigerung um 76000 waffenfähige
Bürger erscheint — ohne allen Zweifel lediglich in Folge der
Thätigkeit der Theilungscommission, deren Landanweisungen an
italische Bundesgenossen übrigens hierbei noch nicht in Ansatz
gebracht sind. Dieses groſse und segensreiche Resultat ward al-
lerdings nicht erreicht ohne vielfache Verletzung achtbarer Inter-
essen und bestehender Rechte. Die Theilungscommission, zusam-
mengesetzt aus den entschiedensten Parteimännern und durch-
aus Richterin in eigener Sache, ging mit ihren Arbeiten rück-
sichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge for-
derten jeden der dazu im Stande war auf über die Ausdehnung
des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde
zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloſs neue
und alte Occupationen ohne Unterschied wieder eingefordert,
sondern auch vielfältig wirkliches Privateigenthum, über das der
Inhaber sich nicht genügend auszuweisen vermochte, mit con-
fiscirt. Indeſs wie laut und groſsentheils begründet auch die
Klagen waren, lieſs der Senat dennoch die Theilungscommission
gewähren; es war einleuchtend, daſs, wenn man einmal die Do-
manialtheilung wollte, ohne solches rücksichtsloses Durchgreifen
schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies
doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht aus-
schlieſslich in den Händen römischer Bürger; groſse Strecken
desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch
Volks- oder Senatsbeschlüsse zu ausschlieſsender Benutzung zu-

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[92/0102] VIERTES BUCH. KAPITEL III. der Consul des J. 622 Publius Popillius, derselbe der die Blut- gerichte gegen die Anhänger des Gracchus leitete, vermerkte auf einem seiner Denkmäler, daſs er ‚der erste gewesen sei, der auf den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern eingewiesen habe‘, und auch sonst ist es überliefert, daſs sich die Auftheilung über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen Gemei- nen die Zahl der römischen Bauerstellen vermehrt ward. Wie tief- greifend und umfänglich diese Auftheilungen waren, bezeugen die zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die gracchi- schen Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung zuerst durch die gracchischen Grenzgerichte und Landauftheilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deut- lichsten aber reden die Zahlen der Bürgerliste. Die Schätzung, die im J. 623 veröffentlicht ward und thatsächlich wohl Anfang 622 stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs Jahre später (629) statt des bisherigen Sinkens (S. 76) eine beträchtliche Steigerung um 76000 waffenfähige Bürger erscheint — ohne allen Zweifel lediglich in Folge der Thätigkeit der Theilungscommission, deren Landanweisungen an italische Bundesgenossen übrigens hierbei noch nicht in Ansatz gebracht sind. Dieses groſse und segensreiche Resultat ward al- lerdings nicht erreicht ohne vielfache Verletzung achtbarer Inter- essen und bestehender Rechte. Die Theilungscommission, zusam- mengesetzt aus den entschiedensten Parteimännern und durch- aus Richterin in eigener Sache, ging mit ihren Arbeiten rück- sichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge for- derten jeden der dazu im Stande war auf über die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloſs neue und alte Occupationen ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch vielfältig wirkliches Privateigenthum, über das der Inhaber sich nicht genügend auszuweisen vermochte, mit con- fiscirt. Indeſs wie laut und groſsentheils begründet auch die Klagen waren, lieſs der Senat dennoch die Theilungscommission gewähren; es war einleuchtend, daſs, wenn man einmal die Do- manialtheilung wollte, ohne solches rücksichtsloses Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht aus- schlieſslich in den Händen römischer Bürger; groſse Strecken desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch Volks- oder Senatsbeschlüsse zu ausschlieſsender Benutzung zu-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/102>, abgerufen am 29.03.2024.