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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
auszuführen was einst der ältere Africanus der Regierung gedroht
hatte (I, 606), und sich eines der vornehmsten militärischen
Commandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der
Regierung zu verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den
Händen der sogenannten Popularpartei, ward zur unwidersteh-
lichen Waffe in der Hand des künftigen Königs von Rom. Es
soll damit nicht gesagt werden, dass Marius beabsichtigte den
Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals schon, als er um
den Oberbefehl in Africa bei dem Volke warb; aber mochte er
begreifen oder nicht begreifen, was er that, es war augenschein-
lich zu Ende mit dem restaurirten aristokratischen Regime, wenn
die Comitialmaschine anfing Feldherren zu machen oder, was un-
gefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier im Stande war
in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn aufzuwerfen. Ein ein-
ziges neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es
war das Hineinziehen der militärischen Männer und der militä-
rischen Macht in die politische Krise. Ob ein neuer Versuch die
Oligarchie durch die Tyrannis zu verdrängen sich hier vorbe-
reite oder ob Marius Auftreten wie so manches Aehnliche als
vereinzelter Eingriff in die Regierung ohne weitere Folge vor-
über gehen werde, liess sich noch nicht bestimmen; wohl aber
war es vorauszusehen, dass wenn diese Keime einer zweiten Ty-
rannis zur Entwickelung gelangten, dieselbe nicht wie die des
Gaius Gracchus einen Staatsmann, sondern irgend einen Offizier
auf den Thron heben werde. Die gleichzeitige Reorganisation des
Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach
Africa bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermögens-
qualification absah und auch dem ärmsten Bürger, wenn er sonst
brauchbar war, als Freiwilligem den Eintritt in die Legion ge-
stattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen Rück-
sichten durchgeführt worden sein; allein darum war es nichts
desto weniger ein folgenreiches politisches Ereigniss, dass das
Heer nicht mehr wie ehemals aus denen, die viel, nicht einmal
mehr wie in der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren
hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen
Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der
Feldherr ihnen verehrte. Die Aristokratie herrschte im J. 650
ebenso unumschränkt wie im J. 620; aber die Zeichen der her-
annahenden Katastrophe hatten sich gemehrt und am politischen
Horizont war neben der Krone das Schwert aufgegangen.


DIE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
auszuführen was einst der ältere Africanus der Regierung gedroht
hatte (I, 606), und sich eines der vornehmsten militärischen
Commandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der
Regierung zu verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den
Händen der sogenannten Popularpartei, ward zur unwidersteh-
lichen Waffe in der Hand des künftigen Königs von Rom. Es
soll damit nicht gesagt werden, daſs Marius beabsichtigte den
Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals schon, als er um
den Oberbefehl in Africa bei dem Volke warb; aber mochte er
begreifen oder nicht begreifen, was er that, es war augenschein-
lich zu Ende mit dem restaurirten aristokratischen Regime, wenn
die Comitialmaschine anfing Feldherren zu machen oder, was un-
gefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier im Stande war
in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn aufzuwerfen. Ein ein-
ziges neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es
war das Hineinziehen der militärischen Männer und der militä-
rischen Macht in die politische Krise. Ob ein neuer Versuch die
Oligarchie durch die Tyrannis zu verdrängen sich hier vorbe-
reite oder ob Marius Auftreten wie so manches Aehnliche als
vereinzelter Eingriff in die Regierung ohne weitere Folge vor-
über gehen werde, lieſs sich noch nicht bestimmen; wohl aber
war es vorauszusehen, daſs wenn diese Keime einer zweiten Ty-
rannis zur Entwickelung gelangten, dieselbe nicht wie die des
Gaius Gracchus einen Staatsmann, sondern irgend einen Offizier
auf den Thron heben werde. Die gleichzeitige Reorganisation des
Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach
Africa bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermögens-
qualification absah und auch dem ärmsten Bürger, wenn er sonst
brauchbar war, als Freiwilligem den Eintritt in die Legion ge-
stattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen Rück-
sichten durchgeführt worden sein; allein darum war es nichts
desto weniger ein folgenreiches politisches Ereigniſs, daſs das
Heer nicht mehr wie ehemals aus denen, die viel, nicht einmal
mehr wie in der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren
hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen
Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der
Feldherr ihnen verehrte. Die Aristokratie herrschte im J. 650
ebenso unumschränkt wie im J. 620; aber die Zeichen der her-
annahenden Katastrophe hatten sich gemehrt und am politischen
Horizont war neben der Krone das Schwert aufgegangen.


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[151/0161] DIE RESTAURATIONSHERRSCHAFT. auszuführen was einst der ältere Africanus der Regierung gedroht hatte (I, 606), und sich eines der vornehmsten militärischen Commandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der sogenannten Popularpartei, ward zur unwidersteh- lichen Waffe in der Hand des künftigen Königs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, daſs Marius beabsichtigte den Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl in Africa bei dem Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er that, es war augenschein- lich zu Ende mit dem restaurirten aristokratischen Regime, wenn die Comitialmaschine anfing Feldherren zu machen oder, was un- gefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier im Stande war in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn aufzuwerfen. Ein ein- ziges neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es war das Hineinziehen der militärischen Männer und der militä- rischen Macht in die politische Krise. Ob ein neuer Versuch die Oligarchie durch die Tyrannis zu verdrängen sich hier vorbe- reite oder ob Marius Auftreten wie so manches Aehnliche als vereinzelter Eingriff in die Regierung ohne weitere Folge vor- über gehen werde, lieſs sich noch nicht bestimmen; wohl aber war es vorauszusehen, daſs wenn diese Keime einer zweiten Ty- rannis zur Entwickelung gelangten, dieselbe nicht wie die des Gaius Gracchus einen Staatsmann, sondern irgend einen Offizier auf den Thron heben werde. Die gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach Africa bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermögens- qualification absah und auch dem ärmsten Bürger, wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligem den Eintritt in die Legion ge- stattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen Rück- sichten durchgeführt worden sein; allein darum war es nichts desto weniger ein folgenreiches politisches Ereigniſs, daſs das Heer nicht mehr wie ehemals aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen verehrte. Die Aristokratie herrschte im J. 650 ebenso unumschränkt wie im J. 620; aber die Zeichen der her- annahenden Katastrophe hatten sich gemehrt und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert aufgegangen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/161>, abgerufen am 18.04.2024.