Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


im höchsten Grad eigennützig, ob er gleich ein vortrefliches Genie und viele gute Talente hatte, die er aber immer zur Verspottung anderer anwendete. Sein Witz war unerschöpflich, immer an einer Sache eine Täuschseite zu finden, und da er von Natur beredt war, so konnte er sich in die Gemüther einschleichen, ehe man es gewahr wurde.

Es ist bei dieser Schule die Einrichtung, daß die Schüler sich des Sonntags zu einer Art Gottesdienst versammlen müssen. Wer nicht kam, mußte sich den Montag bei dem jedesmaligen Aufseher der Schule melden, und ohne zu untersuchen, ob triftige Gründe des Außenbleibens da waren oder nicht, wurde der Außengebliebne von dem damaligen Aufseher immer bestraft. -- Da es nun unsre häußlichen Einrichtungen gewissermaßen unmöglich machten, daß wir alle Sonntage diesen Gottesdienst besuchen konnten, so wartete immer ein Puckel voll Schläge auf uns. Mein Bruder, der sich mehr davor fürchtete als ich -- (weil ich das Unbesonnene dieses Verfahrens schon damals in seinem ganzen Umfange einsahe, und dieses Einsehn bewirkte bei mir eine gewisse Verachtung und Geringschätzung dieser Schläge; es gab meiner Seele einen gewissen Schwung, der mich zu gewissen Zeiten unempfindlich dagegen machte) mein Bruder also beredete mich immer des Montags an seiner Statt hinzugehen, und gleichsam auch für ihn die Strafe auszustehen. Aber ich war auch nur zu gewissen


im hoͤchsten Grad eigennuͤtzig, ob er gleich ein vortrefliches Genie und viele gute Talente hatte, die er aber immer zur Verspottung anderer anwendete. Sein Witz war unerschoͤpflich, immer an einer Sache eine Taͤuschseite zu finden, und da er von Natur beredt war, so konnte er sich in die Gemuͤther einschleichen, ehe man es gewahr wurde.

Es ist bei dieser Schule die Einrichtung, daß die Schuͤler sich des Sonntags zu einer Art Gottesdienst versammlen muͤssen. Wer nicht kam, mußte sich den Montag bei dem jedesmaligen Aufseher der Schule melden, und ohne zu untersuchen, ob triftige Gruͤnde des Außenbleibens da waren oder nicht, wurde der Außengebliebne von dem damaligen Aufseher immer bestraft. ― Da es nun unsre haͤußlichen Einrichtungen gewissermaßen unmoͤglich machten, daß wir alle Sonntage diesen Gottesdienst besuchen konnten, so wartete immer ein Puckel voll Schlaͤge auf uns. Mein Bruder, der sich mehr davor fuͤrchtete als ich ― (weil ich das Unbesonnene dieses Verfahrens schon damals in seinem ganzen Umfange einsahe, und dieses Einsehn bewirkte bei mir eine gewisse Verachtung und Geringschaͤtzung dieser Schlaͤge; es gab meiner Seele einen gewissen Schwung, der mich zu gewissen Zeiten unempfindlich dagegen machte) mein Bruder also beredete mich immer des Montags an seiner Statt hinzugehen, und gleichsam auch fuͤr ihn die Strafe auszustehen. Aber ich war auch nur zu gewissen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0043" n="43"/><lb/>
im ho&#x0364;chsten Grad eigennu&#x0364;tzig, ob er gleich ein                         vortrefliches Genie und viele gute Talente hatte, die er aber immer zur                         Verspottung anderer anwendete. Sein Witz war unerscho&#x0364;pflich, immer an einer                         Sache eine Ta&#x0364;uschseite zu finden, und da er von Natur beredt war, so konnte                         er sich in die Gemu&#x0364;ther einschleichen, ehe man es gewahr wurde. </p>
            <p>Es ist bei dieser Schule die Einrichtung, daß die Schu&#x0364;ler sich des Sonntags                         zu einer Art Gottesdienst versammlen mu&#x0364;ssen. Wer nicht kam, mußte sich den                         Montag bei dem jedesmaligen Aufseher der Schule melden, und ohne zu                         untersuchen, ob triftige Gru&#x0364;nde des Außenbleibens da waren oder nicht, wurde                         der Außengebliebne von dem damaligen Aufseher immer bestraft. &#x2015; Da es nun                         unsre ha&#x0364;ußlichen Einrichtungen gewissermaßen unmo&#x0364;glich machten, daß wir alle                         Sonntage diesen Gottesdienst besuchen konnten, so wartete immer ein Puckel                         voll Schla&#x0364;ge auf uns. Mein Bruder, der sich mehr davor fu&#x0364;rchtete als ich &#x2015;                         (weil ich das Unbesonnene dieses Verfahrens schon damals in seinem ganzen                         Umfange einsahe, und dieses Einsehn bewirkte bei mir eine gewisse Verachtung                         und Geringscha&#x0364;tzung dieser Schla&#x0364;ge; es gab meiner Seele einen gewissen                         Schwung, der mich <hi rendition="#b">zu gewissen Zeiten</hi> unempfindlich                         dagegen machte) mein Bruder also beredete mich immer des Montags an seiner                         Statt hinzugehen, und gleichsam auch fu&#x0364;r ihn die Strafe auszustehen. Aber                         ich war auch nur zu gewissen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0043] im hoͤchsten Grad eigennuͤtzig, ob er gleich ein vortrefliches Genie und viele gute Talente hatte, die er aber immer zur Verspottung anderer anwendete. Sein Witz war unerschoͤpflich, immer an einer Sache eine Taͤuschseite zu finden, und da er von Natur beredt war, so konnte er sich in die Gemuͤther einschleichen, ehe man es gewahr wurde. Es ist bei dieser Schule die Einrichtung, daß die Schuͤler sich des Sonntags zu einer Art Gottesdienst versammlen muͤssen. Wer nicht kam, mußte sich den Montag bei dem jedesmaligen Aufseher der Schule melden, und ohne zu untersuchen, ob triftige Gruͤnde des Außenbleibens da waren oder nicht, wurde der Außengebliebne von dem damaligen Aufseher immer bestraft. ― Da es nun unsre haͤußlichen Einrichtungen gewissermaßen unmoͤglich machten, daß wir alle Sonntage diesen Gottesdienst besuchen konnten, so wartete immer ein Puckel voll Schlaͤge auf uns. Mein Bruder, der sich mehr davor fuͤrchtete als ich ― (weil ich das Unbesonnene dieses Verfahrens schon damals in seinem ganzen Umfange einsahe, und dieses Einsehn bewirkte bei mir eine gewisse Verachtung und Geringschaͤtzung dieser Schlaͤge; es gab meiner Seele einen gewissen Schwung, der mich zu gewissen Zeiten unempfindlich dagegen machte) mein Bruder also beredete mich immer des Montags an seiner Statt hinzugehen, und gleichsam auch fuͤr ihn die Strafe auszustehen. Aber ich war auch nur zu gewissen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/43
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/43>, abgerufen am 29.03.2024.