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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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nach Hause kommen mußte. Diese Schwester, die reich und geizig war, hätte es drauf gerne gesehen, wenn er sich um eine Jnformatorstelle beworben hätte; dazu war er aber zu schüchtern und hatte zu wenige Weltkenntniß. Ueber ihre öftern Vorwürfe, daß er zu Hause müßig läge, klagte er sehr; und ihnen giebt man seine nachherige Krankheit schuld. Doch könnte man auch glauben, daß der Gesundheitszustand seiner Eltern, zu der Zeit, als er sein Daseyn erhielt, viel dazu beigetragen haben könnte.

Sein Vater, der stets ein Mann von schwachen Geistesfähigkeiten gewesen war, näherte sich der Kindheit mit den Jahren immer mehr; so daß er in den funfzigen schon ganz Kind war, ob er gleich über 70 Jahre alt ward; und die Mutter ward, in mittlern Jahren, von der Gicht, an Händen und Füßen gelähmt; in welchem Zustande sie wohl noch 30 Jahre leben mußte. Seine noch lebenden Geschwister waren zwar gesund, allein sie waren viel älter als er, und also gebohren da die Aeltern noch um vieles gesunder waren.

Er predigte zuweilen für den dortigen Superintendent; zu dem er überhaupt viel Vertrauen zu haben schien. Man hörte ihn, seiner guten Aussprache wegen, gerne, obgleich die Predigten ziemlich leer an Gedanken waren; und weil er sie sehr kurz machte, so konnte man doch nicht über lange Weile klagen.



nach Hause kommen mußte. Diese Schwester, die reich und geizig war, haͤtte es drauf gerne gesehen, wenn er sich um eine Jnformatorstelle beworben haͤtte; dazu war er aber zu schuͤchtern und hatte zu wenige Weltkenntniß. Ueber ihre oͤftern Vorwuͤrfe, daß er zu Hause muͤßig laͤge, klagte er sehr; und ihnen giebt man seine nachherige Krankheit schuld. Doch koͤnnte man auch glauben, daß der Gesundheitszustand seiner Eltern, zu der Zeit, als er sein Daseyn erhielt, viel dazu beigetragen haben koͤnnte.

Sein Vater, der stets ein Mann von schwachen Geistesfaͤhigkeiten gewesen war, naͤherte sich der Kindheit mit den Jahren immer mehr; so daß er in den funfzigen schon ganz Kind war, ob er gleich uͤber 70 Jahre alt ward; und die Mutter ward, in mittlern Jahren, von der Gicht, an Haͤnden und Fuͤßen gelaͤhmt; in welchem Zustande sie wohl noch 30 Jahre leben mußte. Seine noch lebenden Geschwister waren zwar gesund, allein sie waren viel aͤlter als er, und also gebohren da die Aeltern noch um vieles gesunder waren.

Er predigte zuweilen fuͤr den dortigen Superintendent; zu dem er uͤberhaupt viel Vertrauen zu haben schien. Man hoͤrte ihn, seiner guten Aussprache wegen, gerne, obgleich die Predigten ziemlich leer an Gedanken waren; und weil er sie sehr kurz machte, so konnte man doch nicht uͤber lange Weile klagen.


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[34/0034] nach Hause kommen mußte. Diese Schwester, die reich und geizig war, haͤtte es drauf gerne gesehen, wenn er sich um eine Jnformatorstelle beworben haͤtte; dazu war er aber zu schuͤchtern und hatte zu wenige Weltkenntniß. Ueber ihre oͤftern Vorwuͤrfe, daß er zu Hause muͤßig laͤge, klagte er sehr; und ihnen giebt man seine nachherige Krankheit schuld. Doch koͤnnte man auch glauben, daß der Gesundheitszustand seiner Eltern, zu der Zeit, als er sein Daseyn erhielt, viel dazu beigetragen haben koͤnnte. Sein Vater, der stets ein Mann von schwachen Geistesfaͤhigkeiten gewesen war, naͤherte sich der Kindheit mit den Jahren immer mehr; so daß er in den funfzigen schon ganz Kind war, ob er gleich uͤber 70 Jahre alt ward; und die Mutter ward, in mittlern Jahren, von der Gicht, an Haͤnden und Fuͤßen gelaͤhmt; in welchem Zustande sie wohl noch 30 Jahre leben mußte. Seine noch lebenden Geschwister waren zwar gesund, allein sie waren viel aͤlter als er, und also gebohren da die Aeltern noch um vieles gesunder waren. Er predigte zuweilen fuͤr den dortigen Superintendent; zu dem er uͤberhaupt viel Vertrauen zu haben schien. Man hoͤrte ihn, seiner guten Aussprache wegen, gerne, obgleich die Predigten ziemlich leer an Gedanken waren; und weil er sie sehr kurz machte, so konnte man doch nicht uͤber lange Weile klagen.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/34>, abgerufen am 29.03.2024.