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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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chen Grad der Spannung die Nerven haben müssen, wenn unsere Eindrücke die gehörige Stärke und unsere Vorstellungen die gehörige Lebhaftigkeit erlangen sollen, läßt sich auf keinen Fall bestimmen. Aber soviel ist gewiß, daß zwischen beiden Extremen, zwischen zu hoher Spannung und völliger Erschlaffung ein mittlerer Tonus Statt haben muß, wenn die Eindrücke und Vorstellungen die gehörigen Grade der Stärke und Lebhaftigkeit bekommen sollen. Ueberspannung erzeugt Schwärmerei Wahnsinn und Narrheit. Erschlaffung verursacht zu schwache Eindrücke, zu matte Vorstellungen, die wie Jrrlichter im Kopfe umhergaukeln, aber wie diese auch leicht verschwinden und bald wieder ausgelöscht werden können. Beide Zustände lassen keine dauerhafte Eindrücke zu, weil die Seele im ersten Fall überladen, und im zwoten gleichsam zu leise berührt wird. Die Empfindungswerkzeuge treiben da mehr ihr eigenes Spiel, als daß sie von äusserlichen Dingen in Bewegung gesetzt werden sollten. Die Seele kann also während solcher Zeit weder vollständige noch dauerhafte Vorstellungen bekommen.

Erschlaffung der Nerven war der Zustand, worin sich unser Patient befand, und dieser Zustand dauerte einige Wochen fort. Die Eindrücke und Vorstellungen konnten zu wenig auf seiner Seele haften, und wurden daher auch leicht wieder verwischt. Nach und nach hob sich die Kraft des


chen Grad der Spannung die Nerven haben muͤssen, wenn unsere Eindruͤcke die gehoͤrige Staͤrke und unsere Vorstellungen die gehoͤrige Lebhaftigkeit erlangen sollen, laͤßt sich auf keinen Fall bestimmen. Aber soviel ist gewiß, daß zwischen beiden Extremen, zwischen zu hoher Spannung und voͤlliger Erschlaffung ein mittlerer Tonus Statt haben muß, wenn die Eindruͤcke und Vorstellungen die gehoͤrigen Grade der Staͤrke und Lebhaftigkeit bekommen sollen. Ueberspannung erzeugt Schwaͤrmerei Wahnsinn und Narrheit. Erschlaffung verursacht zu schwache Eindruͤcke, zu matte Vorstellungen, die wie Jrrlichter im Kopfe umhergaukeln, aber wie diese auch leicht verschwinden und bald wieder ausgeloͤscht werden koͤnnen. Beide Zustaͤnde lassen keine dauerhafte Eindruͤcke zu, weil die Seele im ersten Fall uͤberladen, und im zwoten gleichsam zu leise beruͤhrt wird. Die Empfindungswerkzeuge treiben da mehr ihr eigenes Spiel, als daß sie von aͤusserlichen Dingen in Bewegung gesetzt werden sollten. Die Seele kann also waͤhrend solcher Zeit weder vollstaͤndige noch dauerhafte Vorstellungen bekommen.

Erschlaffung der Nerven war der Zustand, worin sich unser Patient befand, und dieser Zustand dauerte einige Wochen fort. Die Eindruͤcke und Vorstellungen konnten zu wenig auf seiner Seele haften, und wurden daher auch leicht wieder verwischt. Nach und nach hob sich die Kraft des

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[9/0009] chen Grad der Spannung die Nerven haben muͤssen, wenn unsere Eindruͤcke die gehoͤrige Staͤrke und unsere Vorstellungen die gehoͤrige Lebhaftigkeit erlangen sollen, laͤßt sich auf keinen Fall bestimmen. Aber soviel ist gewiß, daß zwischen beiden Extremen, zwischen zu hoher Spannung und voͤlliger Erschlaffung ein mittlerer Tonus Statt haben muß, wenn die Eindruͤcke und Vorstellungen die gehoͤrigen Grade der Staͤrke und Lebhaftigkeit bekommen sollen. Ueberspannung erzeugt Schwaͤrmerei Wahnsinn und Narrheit. Erschlaffung verursacht zu schwache Eindruͤcke, zu matte Vorstellungen, die wie Jrrlichter im Kopfe umhergaukeln, aber wie diese auch leicht verschwinden und bald wieder ausgeloͤscht werden koͤnnen. Beide Zustaͤnde lassen keine dauerhafte Eindruͤcke zu, weil die Seele im ersten Fall uͤberladen, und im zwoten gleichsam zu leise beruͤhrt wird. Die Empfindungswerkzeuge treiben da mehr ihr eigenes Spiel, als daß sie von aͤusserlichen Dingen in Bewegung gesetzt werden sollten. Die Seele kann also waͤhrend solcher Zeit weder vollstaͤndige noch dauerhafte Vorstellungen bekommen. Erschlaffung der Nerven war der Zustand, worin sich unser Patient befand, und dieser Zustand dauerte einige Wochen fort. Die Eindruͤcke und Vorstellungen konnten zu wenig auf seiner Seele haften, und wurden daher auch leicht wieder verwischt. Nach und nach hob sich die Kraft des

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/9>, abgerufen am 28.03.2024.