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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

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stehen können, und wir dürfen nur auf uns selbst Acht geben, um hundert andere eben so sonderbare Uebergänge unserer Empfindungen in entgegengesetzte wahrzunehmen. Wie leicht können wir nicht aus einer fröhlichen Laune in einen finstern Mißmuth, aus Haß in Liebe, oder auch aus Liebe in Haß, aus den Empfindungen einer innern herzlichen Andacht zu unerlaubten Gefühlen der Sinnlichkeit, aus der Ruhe, welche die Wahrheit in uns hervorbringt, zu einem dunkeln uns quälenden Zweifelsgefühl übergehen! die Ursachen davon liegen gemeiniglich so tief in dem Gewebe unserer Empfindungen verborgen, daß sie oft durchaus nicht mit Gewißheit angegeben werden können. Ein solches unerklärbares Phänomen scheint mir folgendes zu seyn, welches in seiner Art eben so ungewöhnlich als wahr ist.

Vor mehrern Jahren hielt sich ein junges unverheirathetes Frauenzimmer bei einem ihrer Anverwandten in H.. zum Besuche auf, in dessen Hause ein junger Theologe aus- und einging. Der junge Mann besaß viel Lebhaftigkeit, artigen unterhaltenden Witz, und nicht gemeine Kenntnisse; dabei war er wohl gewachsen, wußte sich auf eine unverstellte und unzudringliche Art einzuschmeicheln, kurz, er hatte alle jene angenehmen Eigenschaften, wodurch es jungen Männern so leichte wird, weibliche Herzen zu erobern. Unsere Fremde, die den


stehen koͤnnen, und wir duͤrfen nur auf uns selbst Acht geben, um hundert andere eben so sonderbare Uebergaͤnge unserer Empfindungen in entgegengesetzte wahrzunehmen. Wie leicht koͤnnen wir nicht aus einer froͤhlichen Laune in einen finstern Mißmuth, aus Haß in Liebe, oder auch aus Liebe in Haß, aus den Empfindungen einer innern herzlichen Andacht zu unerlaubten Gefuͤhlen der Sinnlichkeit, aus der Ruhe, welche die Wahrheit in uns hervorbringt, zu einem dunkeln uns quaͤlenden Zweifelsgefuͤhl uͤbergehen! die Ursachen davon liegen gemeiniglich so tief in dem Gewebe unserer Empfindungen verborgen, daß sie oft durchaus nicht mit Gewißheit angegeben werden koͤnnen. Ein solches unerklaͤrbares Phaͤnomen scheint mir folgendes zu seyn, welches in seiner Art eben so ungewoͤhnlich als wahr ist.

Vor mehrern Jahren hielt sich ein junges unverheirathetes Frauenzimmer bei einem ihrer Anverwandten in H.. zum Besuche auf, in dessen Hause ein junger Theologe aus- und einging. Der junge Mann besaß viel Lebhaftigkeit, artigen unterhaltenden Witz, und nicht gemeine Kenntnisse; dabei war er wohl gewachsen, wußte sich auf eine unverstellte und unzudringliche Art einzuschmeicheln, kurz, er hatte alle jene angenehmen Eigenschaften, wodurch es jungen Maͤnnern so leichte wird, weibliche Herzen zu erobern. Unsere Fremde, die den

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[58/0058] stehen koͤnnen, und wir duͤrfen nur auf uns selbst Acht geben, um hundert andere eben so sonderbare Uebergaͤnge unserer Empfindungen in entgegengesetzte wahrzunehmen. Wie leicht koͤnnen wir nicht aus einer froͤhlichen Laune in einen finstern Mißmuth, aus Haß in Liebe, oder auch aus Liebe in Haß, aus den Empfindungen einer innern herzlichen Andacht zu unerlaubten Gefuͤhlen der Sinnlichkeit, aus der Ruhe, welche die Wahrheit in uns hervorbringt, zu einem dunkeln uns quaͤlenden Zweifelsgefuͤhl uͤbergehen! die Ursachen davon liegen gemeiniglich so tief in dem Gewebe unserer Empfindungen verborgen, daß sie oft durchaus nicht mit Gewißheit angegeben werden koͤnnen. Ein solches unerklaͤrbares Phaͤnomen scheint mir folgendes zu seyn, welches in seiner Art eben so ungewoͤhnlich als wahr ist. Vor mehrern Jahren hielt sich ein junges unverheirathetes Frauenzimmer bei einem ihrer Anverwandten in H.. zum Besuche auf, in dessen Hause ein junger Theologe aus- und einging. Der junge Mann besaß viel Lebhaftigkeit, artigen unterhaltenden Witz, und nicht gemeine Kenntnisse; dabei war er wohl gewachsen, wußte sich auf eine unverstellte und unzudringliche Art einzuschmeicheln, kurz, er hatte alle jene angenehmen Eigenschaften, wodurch es jungen Maͤnnern so leichte wird, weibliche Herzen zu erobern. Unsere Fremde, die den

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/58>, abgerufen am 27.04.2024.