Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


Freund ihres Anverwandten täglich sahe, schien nicht gleichgültig gegen ihn zu seyn, und seine liebenswürdigen Eigenschaften, die noch durch seine gute Lebensart erhöht wurden, mußten einen desto größern Eindruck auf das edle Mädchen machen, da sie selbst einen sehr lebhaften Verstand, und ein ganz zur Liebe und Zärtlichkeit geschaffenes Herz hatte. Der junge Mann entdeckte bald, daß seine Gesellschaft ihr nicht unangenehm war, und er zweifelte nicht, ihr Herz erobern zu können, wenn er etwas thäte, wodurch Mädchenherzen so leicht gefangen werden, und ihr, bei seinen ohnedem guten Aussichten zu einer Pfarrstelle, geradezu seine Hand antrüge. Zu dieser Absicht kaufte er einen Ring, und eilte, da die Heftigkeit seiner Leidenschaft ihm keine Zeit zu einer längeren Ueberlegung ließ, bei erster Gelegenheit dem jungen Frauenzimmer die heißen Wünsche seines Herzens auf eine feierliche Art zu entdecken. Er hatte auch bald das Glück sie eines Tages allein anzutreffen, ihr freundlicher Blick machte ihn zu seinem Vorhaben muthig; er leitete das Gespräch auf Liebe, und das Glück eines auf wahre Zärtlichkeit und Tugend gegründeten ehelichen Lebens, und gestand ihr endlich unter den heiligsten Versicherungen: daß er sie innig und über alles liebe, und daß sie allein ihn zu den glücklichsten aller Menschen machen würde. Er ergriff darauf mit Bescheidenheit ihre Hand, drückte ganz leise den mitgebrachten Ring in die-


Freund ihres Anverwandten taͤglich sahe, schien nicht gleichguͤltig gegen ihn zu seyn, und seine liebenswuͤrdigen Eigenschaften, die noch durch seine gute Lebensart erhoͤht wurden, mußten einen desto groͤßern Eindruck auf das edle Maͤdchen machen, da sie selbst einen sehr lebhaften Verstand, und ein ganz zur Liebe und Zaͤrtlichkeit geschaffenes Herz hatte. Der junge Mann entdeckte bald, daß seine Gesellschaft ihr nicht unangenehm war, und er zweifelte nicht, ihr Herz erobern zu koͤnnen, wenn er etwas thaͤte, wodurch Maͤdchenherzen so leicht gefangen werden, und ihr, bei seinen ohnedem guten Aussichten zu einer Pfarrstelle, geradezu seine Hand antruͤge. Zu dieser Absicht kaufte er einen Ring, und eilte, da die Heftigkeit seiner Leidenschaft ihm keine Zeit zu einer laͤngeren Ueberlegung ließ, bei erster Gelegenheit dem jungen Frauenzimmer die heißen Wuͤnsche seines Herzens auf eine feierliche Art zu entdecken. Er hatte auch bald das Gluͤck sie eines Tages allein anzutreffen, ihr freundlicher Blick machte ihn zu seinem Vorhaben muthig; er leitete das Gespraͤch auf Liebe, und das Gluͤck eines auf wahre Zaͤrtlichkeit und Tugend gegruͤndeten ehelichen Lebens, und gestand ihr endlich unter den heiligsten Versicherungen: daß er sie innig und uͤber alles liebe, und daß sie allein ihn zu den gluͤcklichsten aller Menschen machen wuͤrde. Er ergriff darauf mit Bescheidenheit ihre Hand, druͤckte ganz leise den mitgebrachten Ring in die-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0059" n="59"/><lb/>
Freund                   ihres Anverwandten ta&#x0364;glich sahe, schien nicht gleichgu&#x0364;ltig gegen ihn zu seyn, und                   seine liebenswu&#x0364;rdigen Eigenschaften, die noch durch seine gute Lebensart erho&#x0364;ht                   wurden, mußten einen desto gro&#x0364;ßern Eindruck auf das edle Ma&#x0364;dchen machen, da sie                   selbst einen sehr lebhaften Verstand, und ein ganz zur Liebe und Za&#x0364;rtlichkeit                   geschaffenes Herz hatte. Der junge Mann entdeckte bald, daß seine Gesellschaft ihr                   nicht unangenehm war, und er zweifelte nicht, ihr Herz erobern zu ko&#x0364;nnen, wenn er                   etwas tha&#x0364;te, wodurch Ma&#x0364;dchenherzen so leicht gefangen werden, und ihr, bei seinen                   ohnedem guten Aussichten zu einer Pfarrstelle, geradezu seine Hand antru&#x0364;ge. Zu                   dieser Absicht kaufte er einen Ring, und eilte, da die Heftigkeit seiner                   Leidenschaft ihm keine Zeit zu einer la&#x0364;ngeren Ueberlegung ließ, bei erster                   Gelegenheit dem jungen Frauenzimmer die heißen Wu&#x0364;nsche seines Herzens auf eine                   feierliche Art zu entdecken. Er hatte auch bald das Glu&#x0364;ck sie eines Tages allein                   anzutreffen, ihr freundlicher Blick machte ihn zu seinem Vorhaben muthig; er                   leitete das Gespra&#x0364;ch auf Liebe, und das Glu&#x0364;ck eines auf wahre Za&#x0364;rtlichkeit und                   Tugend gegru&#x0364;ndeten ehelichen Lebens, und gestand ihr endlich unter den heiligsten                   Versicherungen: daß er sie innig und u&#x0364;ber alles liebe, und daß sie allein ihn zu                   den glu&#x0364;cklichsten aller Menschen machen wu&#x0364;rde. Er ergriff darauf mit                   Bescheidenheit ihre Hand, dru&#x0364;ckte ganz leise den mitgebrachten Ring in die-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0059] Freund ihres Anverwandten taͤglich sahe, schien nicht gleichguͤltig gegen ihn zu seyn, und seine liebenswuͤrdigen Eigenschaften, die noch durch seine gute Lebensart erhoͤht wurden, mußten einen desto groͤßern Eindruck auf das edle Maͤdchen machen, da sie selbst einen sehr lebhaften Verstand, und ein ganz zur Liebe und Zaͤrtlichkeit geschaffenes Herz hatte. Der junge Mann entdeckte bald, daß seine Gesellschaft ihr nicht unangenehm war, und er zweifelte nicht, ihr Herz erobern zu koͤnnen, wenn er etwas thaͤte, wodurch Maͤdchenherzen so leicht gefangen werden, und ihr, bei seinen ohnedem guten Aussichten zu einer Pfarrstelle, geradezu seine Hand antruͤge. Zu dieser Absicht kaufte er einen Ring, und eilte, da die Heftigkeit seiner Leidenschaft ihm keine Zeit zu einer laͤngeren Ueberlegung ließ, bei erster Gelegenheit dem jungen Frauenzimmer die heißen Wuͤnsche seines Herzens auf eine feierliche Art zu entdecken. Er hatte auch bald das Gluͤck sie eines Tages allein anzutreffen, ihr freundlicher Blick machte ihn zu seinem Vorhaben muthig; er leitete das Gespraͤch auf Liebe, und das Gluͤck eines auf wahre Zaͤrtlichkeit und Tugend gegruͤndeten ehelichen Lebens, und gestand ihr endlich unter den heiligsten Versicherungen: daß er sie innig und uͤber alles liebe, und daß sie allein ihn zu den gluͤcklichsten aller Menschen machen wuͤrde. Er ergriff darauf mit Bescheidenheit ihre Hand, druͤckte ganz leise den mitgebrachten Ring in die-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/59
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/59>, abgerufen am 28.04.2024.