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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

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per und Geist
gedacht hatte, so war ihm nichts wichtiger, als zugleich irgend einen wesentlichen Unterschied zwischen sich und dem Thiere aufzufinden, weil er sich sonst nicht überreden konnte, daß das Thier, welches ihm in seinem Körperbau so ähnlich war, nicht eben so wie er einen Geist haben sollte. --

Und wo blieb nun der Geist nach der Zerstörung und Zerstückelung des Körpers? -- Alle die Gedanken von so viel tausend Menschen, die vorher durch die Scheidewand des Körpers bei einem jeden voneinander abgesondert waren, und nur durch die Bewegung einiger Theile dieser Scheidewand einander wieder mitgetheilt wurden, schienen ihm nach dem Tode der Menschen in eins zusammen zu fließen -- da war nichts mehr, das sie absonderte und von einander trennte -- er dachte sich den übriggebliebenen in der Luft herumfliegenden Verstand eines Menschen, der bald in seiner Vorstellungskraft zerflatterte. --

Und dann schien ihm aus der ungeheuren Menschenmasse wieder eine eben so ungeheure unförmliche Seelenmasse zu entstehen -- wo er immer nicht einsahe, warum gerade so viel und nicht mehr und nicht weniger da wären, und weil die Zahl ins unendliche fortzugehen schien, das einzelne endlich fast so unbedeutend wie nichts wurde.



per und Geist
gedacht hatte, so war ihm nichts wichtiger, als zugleich irgend einen wesentlichen Unterschied zwischen sich und dem Thiere aufzufinden, weil er sich sonst nicht uͤberreden konnte, daß das Thier, welches ihm in seinem Koͤrperbau so aͤhnlich war, nicht eben so wie er einen Geist haben sollte. —

Und wo blieb nun der Geist nach der Zerstoͤrung und Zerstuͤckelung des Koͤrpers? — Alle die Gedanken von so viel tausend Menschen, die vorher durch die Scheidewand des Koͤrpers bei einem jeden voneinander abgesondert waren, und nur durch die Bewegung einiger Theile dieser Scheidewand einander wieder mitgetheilt wurden, schienen ihm nach dem Tode der Menschen in eins zusammen zu fließen — da war nichts mehr, das sie absonderte und von einander trennte — er dachte sich den uͤbriggebliebenen in der Luft herumfliegenden Verstand eines Menschen, der bald in seiner Vorstellungskraft zerflatterte.

Und dann schien ihm aus der ungeheuren Menschenmasse wieder eine eben so ungeheure unfoͤrmliche Seelenmasse zu entstehen — wo er immer nicht einsahe, warum gerade so viel und nicht mehr und nicht weniger da waͤren, und weil die Zahl ins unendliche fortzugehen schien, das einzelne endlich fast so unbedeutend wie nichts wurde.


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[79/0079] per und Geist gedacht hatte, so war ihm nichts wichtiger, als zugleich irgend einen wesentlichen Unterschied zwischen sich und dem Thiere aufzufinden, weil er sich sonst nicht uͤberreden konnte, daß das Thier, welches ihm in seinem Koͤrperbau so aͤhnlich war, nicht eben so wie er einen Geist haben sollte. — Und wo blieb nun der Geist nach der Zerstoͤrung und Zerstuͤckelung des Koͤrpers? — Alle die Gedanken von so viel tausend Menschen, die vorher durch die Scheidewand des Koͤrpers bei einem jeden voneinander abgesondert waren, und nur durch die Bewegung einiger Theile dieser Scheidewand einander wieder mitgetheilt wurden, schienen ihm nach dem Tode der Menschen in eins zusammen zu fließen — da war nichts mehr, das sie absonderte und von einander trennte — er dachte sich den uͤbriggebliebenen in der Luft herumfliegenden Verstand eines Menschen, der bald in seiner Vorstellungskraft zerflatterte. — Und dann schien ihm aus der ungeheuren Menschenmasse wieder eine eben so ungeheure unfoͤrmliche Seelenmasse zu entstehen — wo er immer nicht einsahe, warum gerade so viel und nicht mehr und nicht weniger da waͤren, und weil die Zahl ins unendliche fortzugehen schien, das einzelne endlich fast so unbedeutend wie nichts wurde.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/79>, abgerufen am 27.04.2024.