Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Dergleichen Träume sind aber weit gewöhnlicher, als man glaubt, weil man seine Aufmerksamkeit nicht darauf richtet. --

Mehr als hundertmal habe ich im Traume Briefe gelesen, und empfangen, worin, wie ich mich beim Erwachen erinnerte, Neuigkeiten enthalten waren, in denen nichts Unzusammenhängendes war, und welche, ob sie schon falsch waren, doch auch eben so gut hätten wahr seyn können, ohne daß ich wachend daran gedacht, oder sie erdacht hätte.


Unempfindlichkeit gegen ihren Zustand bei Wahnwitzigen.

Jn Werthers Leiden heißt es von einem verrückten Menschen, daß er sich der Zeit, in welcher er an Ketten gelegen hatte, immer noch mit Vergnügen erinnert habe, es sei ihm da so wohl gewesen, wie dem Fisch im Wasser.

Jch habe einige Jahre lang das Oberaufseheramt über alle Zuchthäuser in der Stadt, und dem Territorium Utrecht gehabt.

Bei dieser Gelegenheit hatte ich verschiedne Jahre lang ein Mädchen von vierunddreißig bis sechsunddreißig Jahren beobachtet, die so rasend war, daß man sie nackend lassen mußte, weil sie alle Kleider sogleich zerriß.



Dergleichen Traͤume sind aber weit gewoͤhnlicher, als man glaubt, weil man seine Aufmerksamkeit nicht darauf richtet. —

Mehr als hundertmal habe ich im Traume Briefe gelesen, und empfangen, worin, wie ich mich beim Erwachen erinnerte, Neuigkeiten enthalten waren, in denen nichts Unzusammenhaͤngendes war, und welche, ob sie schon falsch waren, doch auch eben so gut haͤtten wahr seyn koͤnnen, ohne daß ich wachend daran gedacht, oder sie erdacht haͤtte.


Unempfindlichkeit gegen ihren Zustand bei Wahnwitzigen.

Jn Werthers Leiden heißt es von einem verruͤckten Menschen, daß er sich der Zeit, in welcher er an Ketten gelegen hatte, immer noch mit Vergnuͤgen erinnert habe, es sei ihm da so wohl gewesen, wie dem Fisch im Wasser.

Jch habe einige Jahre lang das Oberaufseheramt uͤber alle Zuchthaͤuser in der Stadt, und dem Territorium Utrecht gehabt.

Bei dieser Gelegenheit hatte ich verschiedne Jahre lang ein Maͤdchen von vierunddreißig bis sechsunddreißig Jahren beobachtet, die so rasend war, daß man sie nackend lassen mußte, weil sie alle Kleider sogleich zerriß.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0091" n="91"/><lb/>
              <p>Dergleichen Tra&#x0364;ume sind aber weit gewo&#x0364;hnlicher, als man glaubt, weil man seine                   Aufmerksamkeit nicht darauf richtet. &#x2014; </p>
              <p>Mehr als hundertmal habe ich im Traume Briefe gelesen, und empfangen, worin, wie                   ich mich beim Erwachen erinnerte, Neuigkeiten enthalten waren, in denen nichts                   Unzusammenha&#x0364;ngendes war, und welche, ob sie schon falsch waren, doch auch eben so                   gut ha&#x0364;tten wahr seyn ko&#x0364;nnen, ohne daß ich wachend daran gedacht, oder sie <hi rendition="#b">erdacht</hi> ha&#x0364;tte. </p>
            </div>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head>Unempfindlichkeit gegen ihren Zustand bei Wahnwitzigen.</head><lb/>
              <note type="editorial">
                <bibl>
                  <persName ref="#ref7"><note type="editorial"/>Goens, Rijklof Michael van</persName>
                </bibl>
              </note>
              <p>Jn <hi rendition="#b">Werthers Leiden</hi> heißt es von einem                   verru&#x0364;ckten Menschen, daß er sich der Zeit, in welcher er an Ketten gelegen hatte,                   immer noch mit Vergnu&#x0364;gen erinnert habe, es sei ihm da <hi rendition="#b">so wohl                      gewesen, wie dem Fisch im Wasser.</hi></p>
              <p>Jch habe einige Jahre lang das Oberaufseheramt u&#x0364;ber alle Zuchtha&#x0364;user in der Stadt,                   und dem Territorium Utrecht gehabt. </p>
              <p>Bei dieser Gelegenheit hatte ich verschiedne Jahre lang ein Ma&#x0364;dchen von                   vierunddreißig bis sechsunddreißig Jahren beobachtet, die so rasend war, daß man                   sie nackend lassen mußte, weil sie alle Kleider sogleich zerriß. </p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0091] Dergleichen Traͤume sind aber weit gewoͤhnlicher, als man glaubt, weil man seine Aufmerksamkeit nicht darauf richtet. — Mehr als hundertmal habe ich im Traume Briefe gelesen, und empfangen, worin, wie ich mich beim Erwachen erinnerte, Neuigkeiten enthalten waren, in denen nichts Unzusammenhaͤngendes war, und welche, ob sie schon falsch waren, doch auch eben so gut haͤtten wahr seyn koͤnnen, ohne daß ich wachend daran gedacht, oder sie erdacht haͤtte. Unempfindlichkeit gegen ihren Zustand bei Wahnwitzigen. Jn Werthers Leiden heißt es von einem verruͤckten Menschen, daß er sich der Zeit, in welcher er an Ketten gelegen hatte, immer noch mit Vergnuͤgen erinnert habe, es sei ihm da so wohl gewesen, wie dem Fisch im Wasser. Jch habe einige Jahre lang das Oberaufseheramt uͤber alle Zuchthaͤuser in der Stadt, und dem Territorium Utrecht gehabt. Bei dieser Gelegenheit hatte ich verschiedne Jahre lang ein Maͤdchen von vierunddreißig bis sechsunddreißig Jahren beobachtet, die so rasend war, daß man sie nackend lassen mußte, weil sie alle Kleider sogleich zerriß.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/91
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/91>, abgerufen am 28.04.2024.