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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.

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Nachdenken über sich selbst zu liefern, -- der Pädagogik, die ohne ein genaues Studium der empirischen und rationalen Seelenkunde, die mißlichste aller Wissenschaften ist, lehrreiche Winke zu geben, -- dem Aberglauben und der Schwärmerei entgegen zu würken,-- die Heilmittel gegen Krankheiten des Verstandes und der Einbildungskraft aufzufinden und zu untersuchen, -- und die Speculation über die Natur unsres Geistes und seiner transcendentalen Vorstellungen zu zeigen, wie unsicher man bei jedem Raisonnement über eine immaterielle Substanz, dergleichen unsre Seele seyn soll, verfährt, wenn man dabei die Theorie der Erfahrung aus dem Auge verliert, und einer bloß abstracten Vorstellungsart, in den Untersuchungen über Form und Entwicklung der Denkkraft, folgen will. So leicht es sich auch aus einer richtigen Vergleichung der uns bekannten Eigenschaften der Materie mit der Natur des Gedankens und Selbstbewußtseyns folgern läßt, daß der menschlichen Seele eine unveränderliche, von Organisation und körperlichem Einfluß unabhängige Denkform, als letzte Bedingung der Begriffe, eigenthümlich sey, ohne welche sich nichts a priori erklären liesse: so werden wir doch bei den Handlungen unsres Geistes alle Augenblicke an den Einfluß unsrer Sinne, auf die Entstehung und Fortpflanzung unsrer Jdeen und Empfindungen erinnert, und gegen jene ganz reinen Operationen der Seele, wenn sie auch als letzte Bedingungen


Nachdenken uͤber sich selbst zu liefern, — der Paͤdagogik, die ohne ein genaues Studium der empirischen und rationalen Seelenkunde, die mißlichste aller Wissenschaften ist, lehrreiche Winke zu geben, — dem Aberglauben und der Schwaͤrmerei entgegen zu wuͤrken,— die Heilmittel gegen Krankheiten des Verstandes und der Einbildungskraft aufzufinden und zu untersuchen, — und die Speculation uͤber die Natur unsres Geistes und seiner transcendentalen Vorstellungen zu zeigen, wie unsicher man bei jedem Raisonnement uͤber eine immaterielle Substanz, dergleichen unsre Seele seyn soll, verfaͤhrt, wenn man dabei die Theorie der Erfahrung aus dem Auge verliert, und einer bloß abstracten Vorstellungsart, in den Untersuchungen uͤber Form und Entwicklung der Denkkraft, folgen will. So leicht es sich auch aus einer richtigen Vergleichung der uns bekannten Eigenschaften der Materie mit der Natur des Gedankens und Selbstbewußtseyns folgern laͤßt, daß der menschlichen Seele eine unveraͤnderliche, von Organisation und koͤrperlichem Einfluß unabhaͤngige Denkform, als letzte Bedingung der Begriffe, eigenthuͤmlich sey, ohne welche sich nichts a priori erklaͤren liesse: so werden wir doch bei den Handlungen unsres Geistes alle Augenblicke an den Einfluß unsrer Sinne, auf die Entstehung und Fortpflanzung unsrer Jdeen und Empfindungen erinnert, und gegen jene ganz reinen Operationen der Seele, wenn sie auch als letzte Bedingungen

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[3/0003] Nachdenken uͤber sich selbst zu liefern, — der Paͤdagogik, die ohne ein genaues Studium der empirischen und rationalen Seelenkunde, die mißlichste aller Wissenschaften ist, lehrreiche Winke zu geben, — dem Aberglauben und der Schwaͤrmerei entgegen zu wuͤrken,— die Heilmittel gegen Krankheiten des Verstandes und der Einbildungskraft aufzufinden und zu untersuchen, — und die Speculation uͤber die Natur unsres Geistes und seiner transcendentalen Vorstellungen zu zeigen, wie unsicher man bei jedem Raisonnement uͤber eine immaterielle Substanz, dergleichen unsre Seele seyn soll, verfaͤhrt, wenn man dabei die Theorie der Erfahrung aus dem Auge verliert, und einer bloß abstracten Vorstellungsart, in den Untersuchungen uͤber Form und Entwicklung der Denkkraft, folgen will. So leicht es sich auch aus einer richtigen Vergleichung der uns bekannten Eigenschaften der Materie mit der Natur des Gedankens und Selbstbewußtseyns folgern laͤßt, daß der menschlichen Seele eine unveraͤnderliche, von Organisation und koͤrperlichem Einfluß unabhaͤngige Denkform, als letzte Bedingung der Begriffe, eigenthuͤmlich sey, ohne welche sich nichts a priori erklaͤren liesse: so werden wir doch bei den Handlungen unsres Geistes alle Augenblicke an den Einfluß unsrer Sinne, auf die Entstehung und Fortpflanzung unsrer Jdeen und Empfindungen erinnert, und gegen jene ganz reinen Operationen der Seele, wenn sie auch als letzte Bedingungen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0602_1788/3>, abgerufen am 28.03.2024.