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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

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Menschen ihre Entdeckungen nicht in kalte Schlußformen und systemfähige Periodenreihen, durch welche sie sie auch nicht gefunden und erkannt haben -- freilich gränzen sie mit ihrer glühenden Einbildungskraft und schwebenden Empfindungen mehr an Dichter als an Philosophen an: -- ist aber auch etwas natürlicher, als dieses, mehr mit dem Geiste jeder gefundenen Wahrheit übereinstimmend, als daß sie eher empfunden, als gedacht, eher gedichtet, in Gefühlen geahndet, als trocken dargestellt werden kann? --

Auf der ewigen Ausdehnung der Körperwelt schweben die ewigen Denkformen der Seele -- der Geist Gottes -- um durch sinnliche Analogie von außen die angebornen Wahrheiten und Gesetze des geistigen Wesens zu entwickeln, und so Welt, Körper und Geist zu einer gegenseitigen harmonischen Mitwürkung zu stimmen. Seele und Form der körperlichen Ausdehnung sind gleich ewig -- gleich angeborne Gesetze und Wahrheiten: mit einmal sinkt also das Gebäude, das jede der philosophischen Partheien -- eine für ihre angebornen Denkgesetze -- die andere für ihre sinnliche Erfahrung -- einseitig aufführt: Seele und Welt, Denkgesetz und Ausdehnungsform ist eins, nur dieses versinnlicht das Band einer harmonischen Entwickelung und einer gegenseitigen Erziehung. --



Menschen ihre Entdeckungen nicht in kalte Schlußformen und systemfaͤhige Periodenreihen, durch welche sie sie auch nicht gefunden und erkannt haben — freilich graͤnzen sie mit ihrer gluͤhenden Einbildungskraft und schwebenden Empfindungen mehr an Dichter als an Philosophen an: — ist aber auch etwas natuͤrlicher, als dieses, mehr mit dem Geiste jeder gefundenen Wahrheit uͤbereinstimmend, als daß sie eher empfunden, als gedacht, eher gedichtet, in Gefuͤhlen geahndet, als trocken dargestellt werden kann? —

Auf der ewigen Ausdehnung der Koͤrperwelt schweben die ewigen Denkformen der Seele — der Geist Gottes — um durch sinnliche Analogie von außen die angebornen Wahrheiten und Gesetze des geistigen Wesens zu entwickeln, und so Welt, Koͤrper und Geist zu einer gegenseitigen harmonischen Mitwuͤrkung zu stimmen. Seele und Form der koͤrperlichen Ausdehnung sind gleich ewig — gleich angeborne Gesetze und Wahrheiten: mit einmal sinkt also das Gebaͤude, das jede der philosophischen Partheien — eine fuͤr ihre angebornen Denkgesetze — die andere fuͤr ihre sinnliche Erfahrung — einseitig auffuͤhrt: Seele und Welt, Denkgesetz und Ausdehnungsform ist eins, nur dieses versinnlicht das Band einer harmonischen Entwickelung und einer gegenseitigen Erziehung. —


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[35/0035] Menschen ihre Entdeckungen nicht in kalte Schlußformen und systemfaͤhige Periodenreihen, durch welche sie sie auch nicht gefunden und erkannt haben — freilich graͤnzen sie mit ihrer gluͤhenden Einbildungskraft und schwebenden Empfindungen mehr an Dichter als an Philosophen an: — ist aber auch etwas natuͤrlicher, als dieses, mehr mit dem Geiste jeder gefundenen Wahrheit uͤbereinstimmend, als daß sie eher empfunden, als gedacht, eher gedichtet, in Gefuͤhlen geahndet, als trocken dargestellt werden kann? — Auf der ewigen Ausdehnung der Koͤrperwelt schweben die ewigen Denkformen der Seele — der Geist Gottes — um durch sinnliche Analogie von außen die angebornen Wahrheiten und Gesetze des geistigen Wesens zu entwickeln, und so Welt, Koͤrper und Geist zu einer gegenseitigen harmonischen Mitwuͤrkung zu stimmen. Seele und Form der koͤrperlichen Ausdehnung sind gleich ewig — gleich angeborne Gesetze und Wahrheiten: mit einmal sinkt also das Gebaͤude, das jede der philosophischen Partheien — eine fuͤr ihre angebornen Denkgesetze — die andere fuͤr ihre sinnliche Erfahrung — einseitig auffuͤhrt: Seele und Welt, Denkgesetz und Ausdehnungsform ist eins, nur dieses versinnlicht das Band einer harmonischen Entwickelung und einer gegenseitigen Erziehung. —

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/35>, abgerufen am 29.03.2024.