Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Da wir nichts Uebermenschliches kennen, so
konnte mit den erhabenen aus der Natur genom-
menen Bildern auch nur das Menschliche sich ver-
knüpfen. -- Es ist daher als ob die Menschheit
selber in diesen Dichtungen sich näher mit der gros-
sen Natur verwebte, und sich in süßen Träumen
an sie anschmiegt.

Juno bezeichnet nun in einer höhern Sprache
die hohe Gebietende, über den sanften Liebreitz
selbst erhabene Schönheit. -- Als Juno den Ju-
piter mit Liebreitz fesseln wollte, so mußte sie erst
den Gürtel der Venus leihen, deren sanftere
Schönheit schon vorher den Preis davon trug, als
der Hirt auf Idas Gipfel den kühnen entscheiden-
den Ausspruch that.

Da nun Juno sich schmückt, dem Jupiter zu
gefallen, so ordnet sie, in ihrem Schlafgemach,
ihr glänzendes Haar in Locken; sie salbet sich mit
dem Oehle der Götter, wovon der Wohlgeruch,
sobald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur
Erde sich verbreitet.

Sie zieht ihr göttliches Kleid an, das von
der Minerva selbst gewebt ist, und hakt es auf
der Brust mit goldenen Haken zu. -- Sie um-
gürtet sich mit ihrem Gürtel, und bindet an ihre
Füße die glänzenden Schuhe; den Gürtel der Ve-
nus aber verbirgt sie in ihrem Busen. --

Da wir nichts Uebermenſchliches kennen, ſo
konnte mit den erhabenen aus der Natur genom-
menen Bildern auch nur das Menſchliche ſich ver-
knuͤpfen. — Es iſt daher als ob die Menſchheit
ſelber in dieſen Dichtungen ſich naͤher mit der gros-
ſen Natur verwebte, und ſich in ſuͤßen Traͤumen
an ſie anſchmiegt.

Juno bezeichnet nun in einer hoͤhern Sprache
die hohe Gebietende, uͤber den ſanften Liebreitz
ſelbſt erhabene Schoͤnheit. — Als Juno den Ju-
piter mit Liebreitz feſſeln wollte, ſo mußte ſie erſt
den Guͤrtel der Venus leihen, deren ſanftere
Schoͤnheit ſchon vorher den Preis davon trug, als
der Hirt auf Idas Gipfel den kuͤhnen entſcheiden-
den Ausſpruch that.

Da nun Juno ſich ſchmuͤckt, dem Jupiter zu
gefallen, ſo ordnet ſie, in ihrem Schlafgemach,
ihr glaͤnzendes Haar in Locken; ſie ſalbet ſich mit
dem Oehle der Goͤtter, wovon der Wohlgeruch,
ſobald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur
Erde ſich verbreitet.

Sie zieht ihr goͤttliches Kleid an, das von
der Minerva ſelbſt gewebt iſt, und hakt es auf
der Bruſt mit goldenen Haken zu. — Sie um-
guͤrtet ſich mit ihrem Guͤrtel, und bindet an ihre
Fuͤße die glaͤnzenden Schuhe; den Guͤrtel der Ve-
nus aber verbirgt ſie in ihrem Buſen. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0136" n="108"/>
          <p>Da wir nichts Uebermen&#x017F;chliches <hi rendition="#fr">kennen,</hi> &#x017F;o<lb/>
konnte mit den erhabenen aus der Natur genom-<lb/>
menen Bildern auch nur das Men&#x017F;chliche &#x017F;ich ver-<lb/>
knu&#x0364;pfen. &#x2014; Es i&#x017F;t daher als ob die Men&#x017F;chheit<lb/>
&#x017F;elber in die&#x017F;en Dichtungen &#x017F;ich na&#x0364;her mit der gros-<lb/>
&#x017F;en Natur verwebte, und &#x017F;ich in &#x017F;u&#x0364;ßen Tra&#x0364;umen<lb/>
an &#x017F;ie an&#x017F;chmiegt.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Juno</hi> bezeichnet nun in einer ho&#x0364;hern Sprache<lb/>
die hohe Gebietende, u&#x0364;ber den &#x017F;anften Liebreitz<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t erhabene Scho&#x0364;nheit. &#x2014; Als Juno den Ju-<lb/>
piter mit Liebreitz fe&#x017F;&#x017F;eln wollte, &#x017F;o mußte &#x017F;ie er&#x017F;t<lb/>
den Gu&#x0364;rtel der Venus leihen, deren &#x017F;anftere<lb/>
Scho&#x0364;nheit &#x017F;chon vorher den Preis davon trug, als<lb/>
der Hirt auf Idas Gipfel den ku&#x0364;hnen ent&#x017F;cheiden-<lb/>
den Aus&#x017F;pruch that.</p><lb/>
          <p>Da nun Juno &#x017F;ich &#x017F;chmu&#x0364;ckt, dem Jupiter zu<lb/>
gefallen, &#x017F;o ordnet &#x017F;ie, in ihrem Schlafgemach,<lb/>
ihr gla&#x0364;nzendes Haar in Locken; &#x017F;ie &#x017F;albet &#x017F;ich mit<lb/>
dem Oehle der Go&#x0364;tter, wovon der Wohlgeruch,<lb/>
&#x017F;obald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur<lb/>
Erde &#x017F;ich verbreitet.</p><lb/>
          <p>Sie zieht ihr go&#x0364;ttliches Kleid an, das von<lb/>
der Minerva &#x017F;elb&#x017F;t gewebt i&#x017F;t, und hakt es auf<lb/>
der Bru&#x017F;t mit goldenen Haken zu. &#x2014; Sie um-<lb/>
gu&#x0364;rtet &#x017F;ich mit ihrem Gu&#x0364;rtel, und bindet an ihre<lb/>
Fu&#x0364;ße die gla&#x0364;nzenden Schuhe; den Gu&#x0364;rtel der Ve-<lb/>
nus aber verbirgt &#x017F;ie in ihrem Bu&#x017F;en. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0136] Da wir nichts Uebermenſchliches kennen, ſo konnte mit den erhabenen aus der Natur genom- menen Bildern auch nur das Menſchliche ſich ver- knuͤpfen. — Es iſt daher als ob die Menſchheit ſelber in dieſen Dichtungen ſich naͤher mit der gros- ſen Natur verwebte, und ſich in ſuͤßen Traͤumen an ſie anſchmiegt. Juno bezeichnet nun in einer hoͤhern Sprache die hohe Gebietende, uͤber den ſanften Liebreitz ſelbſt erhabene Schoͤnheit. — Als Juno den Ju- piter mit Liebreitz feſſeln wollte, ſo mußte ſie erſt den Guͤrtel der Venus leihen, deren ſanftere Schoͤnheit ſchon vorher den Preis davon trug, als der Hirt auf Idas Gipfel den kuͤhnen entſcheiden- den Ausſpruch that. Da nun Juno ſich ſchmuͤckt, dem Jupiter zu gefallen, ſo ordnet ſie, in ihrem Schlafgemach, ihr glaͤnzendes Haar in Locken; ſie ſalbet ſich mit dem Oehle der Goͤtter, wovon der Wohlgeruch, ſobald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur Erde ſich verbreitet. Sie zieht ihr goͤttliches Kleid an, das von der Minerva ſelbſt gewebt iſt, und hakt es auf der Bruſt mit goldenen Haken zu. — Sie um- guͤrtet ſich mit ihrem Guͤrtel, und bindet an ihre Fuͤße die glaͤnzenden Schuhe; den Guͤrtel der Ve- nus aber verbirgt ſie in ihrem Buſen. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/136
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/136>, abgerufen am 01.05.2024.