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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Die Häuser und Palläste der Reichen wur-
den ein Raub der Ueberschwemmung, indeß die
arme gastfreundliche Hütte noch immer aus den
Fluthen hervorragte, und zum Erstaunen ihrer
alten Bewohner sich in einen prächtigen Tempel
verwandelte.

Als nun Jupiter den gastfreundlichen Alten
befahl, sich eine Gabe von ihm zu erbitten, so
war Philemons und Baucis höchster Wunsch: in
jenem neuentstandenen Tempel, dem Jupiter, dem
Beschützer des Gastrechts,
und dem Belohner
der Gastfreundschaftlichkeit, zu opfern, und sein
Priesterthum zu verwalten.

Diese Bitte ward ihnen gewährt, und noch
ein Wunsch verstattet; -- allein dem glücklichen
Paar blieb nichts mehr zu wünschen übrig, als:
beide zu gleicher Zeit zu sterben. -- Auch dieß
geschah. Zwei Bäume, eine Eiche und eine
Linde, die den Tempel beschatteten, wurden noch
lange nachher zum Andenken des frommen Paars
Philemon und Baucis genannt.

In diesen und ähnlichen Sagen der Vorwelt
erkannte und verehrte man die furchtbare und
wohlthätige Macht der Gottheit. -- Dem gast-
freundschaftlichen Jupiter
wurden allenthalben
Altäre errichtet. -- Die ankommenden Fremden
standen unter seinem Schutze; -- einen Gast-

Die Haͤuſer und Pallaͤſte der Reichen wur-
den ein Raub der Ueberſchwemmung, indeß die
arme gaſtfreundliche Huͤtte noch immer aus den
Fluthen hervorragte, und zum Erſtaunen ihrer
alten Bewohner ſich in einen praͤchtigen Tempel
verwandelte.

Als nun Jupiter den gaſtfreundlichen Alten
befahl, ſich eine Gabe von ihm zu erbitten, ſo
war Philemons und Baucis hoͤchſter Wunſch: in
jenem neuentſtandenen Tempel, dem Jupiter, dem
Beſchuͤtzer des Gaſtrechts,
und dem Belohner
der Gaſtfreundſchaftlichkeit, zu opfern, und ſein
Prieſterthum zu verwalten.

Dieſe Bitte ward ihnen gewaͤhrt, und noch
ein Wunſch verſtattet; — allein dem gluͤcklichen
Paar blieb nichts mehr zu wuͤnſchen uͤbrig, als:
beide zu gleicher Zeit zu ſterben. — Auch dieß
geſchah. Zwei Baͤume, eine Eiche und eine
Linde, die den Tempel beſchatteten, wurden noch
lange nachher zum Andenken des frommen Paars
Philemon und Baucis genannt.

In dieſen und aͤhnlichen Sagen der Vorwelt
erkannte und verehrte man die furchtbare und
wohlthaͤtige Macht der Gottheit. — Dem gaſt-
freundſchaftlichen Jupiter
wurden allenthalben
Altaͤre errichtet. — Die ankommenden Fremden
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[198/0246] Die Haͤuſer und Pallaͤſte der Reichen wur- den ein Raub der Ueberſchwemmung, indeß die arme gaſtfreundliche Huͤtte noch immer aus den Fluthen hervorragte, und zum Erſtaunen ihrer alten Bewohner ſich in einen praͤchtigen Tempel verwandelte. Als nun Jupiter den gaſtfreundlichen Alten befahl, ſich eine Gabe von ihm zu erbitten, ſo war Philemons und Baucis hoͤchſter Wunſch: in jenem neuentſtandenen Tempel, dem Jupiter, dem Beſchuͤtzer des Gaſtrechts, und dem Belohner der Gaſtfreundſchaftlichkeit, zu opfern, und ſein Prieſterthum zu verwalten. Dieſe Bitte ward ihnen gewaͤhrt, und noch ein Wunſch verſtattet; — allein dem gluͤcklichen Paar blieb nichts mehr zu wuͤnſchen uͤbrig, als: beide zu gleicher Zeit zu ſterben. — Auch dieß geſchah. Zwei Baͤume, eine Eiche und eine Linde, die den Tempel beſchatteten, wurden noch lange nachher zum Andenken des frommen Paars Philemon und Baucis genannt. In dieſen und aͤhnlichen Sagen der Vorwelt erkannte und verehrte man die furchtbare und wohlthaͤtige Macht der Gottheit. — Dem gaſt- freundſchaftlichen Jupiter wurden allenthalben Altaͤre errichtet. — Die ankommenden Fremden ſtanden unter ſeinem Schutze; — einen Gaſt-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/246>, abgerufen am 26.04.2024.