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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Höhe und schob sich durch den zurückgedrängten Flügel hinaus. Dieser, schnell hinter ihm zufallend und einschnappend, klemmte einen seiner Rockschöße fest, und er war gefangen. Er wollte nach der Klingel greifen, aber diese hing an der Pfoste des breiten Thores zu weit seitwärts, als daß er sie hätte erlangen können. Aengstlich blickte er in der Finsterniß um sich her, ob er nicht eines Menschen ansichtig würde, welcher ihm in dieser seltsamen Verlegenheit Hilfe leisten könnte. Aber die Straße über den Wilhelmsplatz führte nicht in den finstern Winkel hinein, welchen das Haus der Geheimeräthin einnahm, und alle Vorübergehenden waren daher zu weit von ihm entfernt, um seine Bitte zu hören, wenn er nicht ein lautes Geschrei anstimmen wollte. Je länger er aber auf Erlösung wartete, desto quälender empfand er das Lächerliche seiner Stellung, und wenn er daran dachte, daß jetzt die Geheimeräthin und Fanny heraustreten und ihn entfesseln könnten, so wollte er sich den Kopf gegen das Schloß einstoßen. Seine mit jedem Augenblicke bis zur Verzweiflung steigende Angst machte ihn so besinnungslos, daß er sich wie ein Rasender zu geberden anfing und schon im Begriffe stand, seinen Rock mit Gewalt herauszureißen und einen Schooß desselben im Stiche zu lassen, als es ihn plötzlich wie eine Eingebung durchleuchtete, daß er ja den Rock nur auszuziehen brauche, um die Klingel zu erreichen Augenblicklich schlüpfte er aus den Aermeln heraus,

Höhe und schob sich durch den zurückgedrängten Flügel hinaus. Dieser, schnell hinter ihm zufallend und einschnappend, klemmte einen seiner Rockschöße fest, und er war gefangen. Er wollte nach der Klingel greifen, aber diese hing an der Pfoste des breiten Thores zu weit seitwärts, als daß er sie hätte erlangen können. Aengstlich blickte er in der Finsterniß um sich her, ob er nicht eines Menschen ansichtig würde, welcher ihm in dieser seltsamen Verlegenheit Hilfe leisten könnte. Aber die Straße über den Wilhelmsplatz führte nicht in den finstern Winkel hinein, welchen das Haus der Geheimeräthin einnahm, und alle Vorübergehenden waren daher zu weit von ihm entfernt, um seine Bitte zu hören, wenn er nicht ein lautes Geschrei anstimmen wollte. Je länger er aber auf Erlösung wartete, desto quälender empfand er das Lächerliche seiner Stellung, und wenn er daran dachte, daß jetzt die Geheimeräthin und Fanny heraustreten und ihn entfesseln könnten, so wollte er sich den Kopf gegen das Schloß einstoßen. Seine mit jedem Augenblicke bis zur Verzweiflung steigende Angst machte ihn so besinnungslos, daß er sich wie ein Rasender zu geberden anfing und schon im Begriffe stand, seinen Rock mit Gewalt herauszureißen und einen Schooß desselben im Stiche zu lassen, als es ihn plötzlich wie eine Eingebung durchleuchtete, daß er ja den Rock nur auszuziehen brauche, um die Klingel zu erreichen Augenblicklich schlüpfte er aus den Aermeln heraus,

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[0024] Höhe und schob sich durch den zurückgedrängten Flügel hinaus. Dieser, schnell hinter ihm zufallend und einschnappend, klemmte einen seiner Rockschöße fest, und er war gefangen. Er wollte nach der Klingel greifen, aber diese hing an der Pfoste des breiten Thores zu weit seitwärts, als daß er sie hätte erlangen können. Aengstlich blickte er in der Finsterniß um sich her, ob er nicht eines Menschen ansichtig würde, welcher ihm in dieser seltsamen Verlegenheit Hilfe leisten könnte. Aber die Straße über den Wilhelmsplatz führte nicht in den finstern Winkel hinein, welchen das Haus der Geheimeräthin einnahm, und alle Vorübergehenden waren daher zu weit von ihm entfernt, um seine Bitte zu hören, wenn er nicht ein lautes Geschrei anstimmen wollte. Je länger er aber auf Erlösung wartete, desto quälender empfand er das Lächerliche seiner Stellung, und wenn er daran dachte, daß jetzt die Geheimeräthin und Fanny heraustreten und ihn entfesseln könnten, so wollte er sich den Kopf gegen das Schloß einstoßen. Seine mit jedem Augenblicke bis zur Verzweiflung steigende Angst machte ihn so besinnungslos, daß er sich wie ein Rasender zu geberden anfing und schon im Begriffe stand, seinen Rock mit Gewalt herauszureißen und einen Schooß desselben im Stiche zu lassen, als es ihn plötzlich wie eine Eingebung durchleuchtete, daß er ja den Rock nur auszuziehen brauche, um die Klingel zu erreichen Augenblicklich schlüpfte er aus den Aermeln heraus,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/24>, abgerufen am 20.04.2024.