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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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zückt. Ach Gott, die Mrnna hab' ich ja auch so erschrecklich lieb, und nun weiß ich auch, woher es kommt, daß ich dir so gut bin. Ach, Fritz, wir wollen sie beide immerfort so herzenslieb behalten! -- Einige Tage darauf spielten die Kinder Versteck in einem Weingarten. Minna und Arthur drückten sich in denselben Weinstock hinein, und nur ein Paar Blätter trennten ihre Lippen von den seinigen. Da küßte er das Blatt vor seinem Munde, welches ihre Wange berührt hatte, aber sie merkte es und sprach zu ihm: Arthur, brich doch das Blatt ab und küsse mich. Von der Zeit an nannten sich die beiden Kinder Braut und Bräutigam und grüßten und küßten sich alle Tage. Das grüne Blatt aber legte Arthur in seine Bibel und bewahrte es getrocknet viele Jahre als eine heilige Reliquie, bis es ihm in der Folge sammt dem Buche abhanden kam.

Von solchen sanften Erinnerungen eingewiegt, die sich in seinem Herzen hin und her schaukelten, wie ein Boot auf einem stillen Flusse, entschlummerte der Jüngling noch einmal und hatte folgenden Traum, den erst der Strahl der Morgensonne von seinem Haupte leicht hinwegnahm.

Er fuhr in einem kleinen Boote, ohne Steuer und Ruder von dem leise bewegten Strome fortgetragen, auf dem Spiegel des Rheins, dessen Wasser so klar und hell war, daß er jeden Kiesel zählen konnte, welcher in dem liefen Grunde lag, und die

zückt. Ach Gott, die Mrnna hab' ich ja auch so erschrecklich lieb, und nun weiß ich auch, woher es kommt, daß ich dir so gut bin. Ach, Fritz, wir wollen sie beide immerfort so herzenslieb behalten! — Einige Tage darauf spielten die Kinder Versteck in einem Weingarten. Minna und Arthur drückten sich in denselben Weinstock hinein, und nur ein Paar Blätter trennten ihre Lippen von den seinigen. Da küßte er das Blatt vor seinem Munde, welches ihre Wange berührt hatte, aber sie merkte es und sprach zu ihm: Arthur, brich doch das Blatt ab und küsse mich. Von der Zeit an nannten sich die beiden Kinder Braut und Bräutigam und grüßten und küßten sich alle Tage. Das grüne Blatt aber legte Arthur in seine Bibel und bewahrte es getrocknet viele Jahre als eine heilige Reliquie, bis es ihm in der Folge sammt dem Buche abhanden kam.

Von solchen sanften Erinnerungen eingewiegt, die sich in seinem Herzen hin und her schaukelten, wie ein Boot auf einem stillen Flusse, entschlummerte der Jüngling noch einmal und hatte folgenden Traum, den erst der Strahl der Morgensonne von seinem Haupte leicht hinwegnahm.

Er fuhr in einem kleinen Boote, ohne Steuer und Ruder von dem leise bewegten Strome fortgetragen, auf dem Spiegel des Rheins, dessen Wasser so klar und hell war, daß er jeden Kiesel zählen konnte, welcher in dem liefen Grunde lag, und die

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[0035] zückt. Ach Gott, die Mrnna hab' ich ja auch so erschrecklich lieb, und nun weiß ich auch, woher es kommt, daß ich dir so gut bin. Ach, Fritz, wir wollen sie beide immerfort so herzenslieb behalten! — Einige Tage darauf spielten die Kinder Versteck in einem Weingarten. Minna und Arthur drückten sich in denselben Weinstock hinein, und nur ein Paar Blätter trennten ihre Lippen von den seinigen. Da küßte er das Blatt vor seinem Munde, welches ihre Wange berührt hatte, aber sie merkte es und sprach zu ihm: Arthur, brich doch das Blatt ab und küsse mich. Von der Zeit an nannten sich die beiden Kinder Braut und Bräutigam und grüßten und küßten sich alle Tage. Das grüne Blatt aber legte Arthur in seine Bibel und bewahrte es getrocknet viele Jahre als eine heilige Reliquie, bis es ihm in der Folge sammt dem Buche abhanden kam. Von solchen sanften Erinnerungen eingewiegt, die sich in seinem Herzen hin und her schaukelten, wie ein Boot auf einem stillen Flusse, entschlummerte der Jüngling noch einmal und hatte folgenden Traum, den erst der Strahl der Morgensonne von seinem Haupte leicht hinwegnahm. Er fuhr in einem kleinen Boote, ohne Steuer und Ruder von dem leise bewegten Strome fortgetragen, auf dem Spiegel des Rheins, dessen Wasser so klar und hell war, daß er jeden Kiesel zählen konnte, welcher in dem liefen Grunde lag, und die

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/35>, abgerufen am 19.04.2024.