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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Wilhelm Müller, der bekanntlich unter den deutschen Lyrikern eine der ersten Stellen einnimmt, wurde den 7. October 1794 in Dessau geboren, studirte in Berlin Philologie, Philosophie, Geschichte und schöne Wissenschaften, trat 1813 als Freiwilliger unter die Gardejäger und machte die Treffen von Lützen, Bautzen, Kulm und Hanau mit, kehrte dann nach Berlin zu seinen Studien zurück, reiste später mit dem Freiherrn von Sack nach Rom, von welcher Stadt er eine vorzügliche Schilderung gab, und wurde nach seiner Zurückkunft von seinem Herzog Leopold Friedrich, der seinen Werth zu schätzen wußte, als Bibliothekar und Gymnasiallehrer nach Dessau berufen. Mit dem geschmackvollen Philologen, Sprachforscher und Kritiker vereinigte er den Liederdichter, dessen Liebes-, Wander-, Trink-, Postillons-, Jäger-, Müller- und Hirtenlieder fortleben werden, so lange die deutsche Zunge klingt. Seine berühmten Griechenlieder dagegen, die so zündend auf die Zeitgenossen wirkten, sind vor veränderten politischen Stimmungen in den Hintergrund getreten. Auf der Neige seines kurzen Lebens versuchte sich Müller auch in der Novelle, aber die Frist war ihm nicht gegönnt, sich zu der vollen Selbständigkeit zu entwickeln, die er auch auf diesem Gebiete zu erringen der Mann gewesen wäre. Nach einer glücklichen Erholungsreise zu den schwäbischen Dichtern, zu welchen ihn eine innere Verwandtschaft zog, starb er zu Dessau plötzlich in der Nacht auf den 1. Oktober 1827 an einem Herzschlage, wenige Wochen vor Wilhelm Hauff, mit dem er bei jenem Besuch in Stuttgart innige Freundschaft geschlossen hatte. -- Die jüngere der beiden Novellen, die er hinterlassen hat (die erste erschien in der Urania für 1827), weist trotz eines ungemeinen Fortschritts Elemente auf, die ihrem Dichter nicht eigen sind: zu Anfang begegnen Züge, die man kaum anders als trivial nennen kann, gewisser crasser Geschmacklosigkeiten, wie des Kirschkerns, den der alte Herr als Liebesandenken im Munde trägt, ganz zu geschweigen, -- und weiterhin zeigt sie sich von dem

Wilhelm Müller, der bekanntlich unter den deutschen Lyrikern eine der ersten Stellen einnimmt, wurde den 7. October 1794 in Dessau geboren, studirte in Berlin Philologie, Philosophie, Geschichte und schöne Wissenschaften, trat 1813 als Freiwilliger unter die Gardejäger und machte die Treffen von Lützen, Bautzen, Kulm und Hanau mit, kehrte dann nach Berlin zu seinen Studien zurück, reiste später mit dem Freiherrn von Sack nach Rom, von welcher Stadt er eine vorzügliche Schilderung gab, und wurde nach seiner Zurückkunft von seinem Herzog Leopold Friedrich, der seinen Werth zu schätzen wußte, als Bibliothekar und Gymnasiallehrer nach Dessau berufen. Mit dem geschmackvollen Philologen, Sprachforscher und Kritiker vereinigte er den Liederdichter, dessen Liebes-, Wander-, Trink-, Postillons-, Jäger-, Müller- und Hirtenlieder fortleben werden, so lange die deutsche Zunge klingt. Seine berühmten Griechenlieder dagegen, die so zündend auf die Zeitgenossen wirkten, sind vor veränderten politischen Stimmungen in den Hintergrund getreten. Auf der Neige seines kurzen Lebens versuchte sich Müller auch in der Novelle, aber die Frist war ihm nicht gegönnt, sich zu der vollen Selbständigkeit zu entwickeln, die er auch auf diesem Gebiete zu erringen der Mann gewesen wäre. Nach einer glücklichen Erholungsreise zu den schwäbischen Dichtern, zu welchen ihn eine innere Verwandtschaft zog, starb er zu Dessau plötzlich in der Nacht auf den 1. Oktober 1827 an einem Herzschlage, wenige Wochen vor Wilhelm Hauff, mit dem er bei jenem Besuch in Stuttgart innige Freundschaft geschlossen hatte. — Die jüngere der beiden Novellen, die er hinterlassen hat (die erste erschien in der Urania für 1827), weist trotz eines ungemeinen Fortschritts Elemente auf, die ihrem Dichter nicht eigen sind: zu Anfang begegnen Züge, die man kaum anders als trivial nennen kann, gewisser crasser Geschmacklosigkeiten, wie des Kirschkerns, den der alte Herr als Liebesandenken im Munde trägt, ganz zu geschweigen, — und weiterhin zeigt sie sich von dem

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/5>, abgerufen am 18.04.2024.