Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

stellt werden als die Entwickelung der Miß-
griffe, deren sich die Menschen in Entwerfung
der Gesetze haben zu Schulden kommen lassen:
wir gewinnen auf diesem Wege gewisse Grund-
sätze über den Bau der Staaten. Das ist
schön und gut. Aber wo lernen wir denn
die viel wichtigere Kunst, die Grundsätze an-
zuwenden? -- Gegen alle Regeln, die Ihr
mir aus der Weltgeschichte über Regierungs-
formen ableiten könnt, will ich Euch die
Regierungsform meines Landes, welche aus
den Umständen dieser bestimmten [L]talität
entstanden und gewachsen ist, vertheidigen;
will beweisen, daß mir keine Grundsätze etwas
helfen, sondern bloß ein in langer Erfahrung
gesammeltes Gefühl von dem Rathsamen und
Guten. Was fehlt also Montesquieu? Man
wird mich nicht mißverstehen, oder es für
Hochmuth achten, wenn ich sage: es fehlt
ihm, was in diesen Vorlesungen dargelegt wor-
den ist, die Geschichte des lebendigen
Gesetzes
. Er nimmt die Gesetze als gegeben

ſtellt werden als die Entwickelung der Miß-
griffe, deren ſich die Menſchen in Entwerfung
der Geſetze haben zu Schulden kommen laſſen:
wir gewinnen auf dieſem Wege gewiſſe Grund-
ſaͤtze uͤber den Bau der Staaten. Das iſt
ſchoͤn und gut. Aber wo lernen wir denn
die viel wichtigere Kunſt, die Grundſaͤtze an-
zuwenden? — Gegen alle Regeln, die Ihr
mir aus der Weltgeſchichte uͤber Regierungs-
formen ableiten koͤnnt, will ich Euch die
Regierungsform meines Landes, welche aus
den Umſtaͤnden dieſer beſtimmten [L]talitaͤt
entſtanden und gewachſen iſt, vertheidigen;
will beweiſen, daß mir keine Grundſaͤtze etwas
helfen, ſondern bloß ein in langer Erfahrung
geſammeltes Gefuͤhl von dem Rathſamen und
Guten. Was fehlt alſo Montesquieu? Man
wird mich nicht mißverſtehen, oder es fuͤr
Hochmuth achten, wenn ich ſage: es fehlt
ihm, was in dieſen Vorleſungen dargelegt wor-
den iſt, die Geſchichte des lebendigen
Geſetzes
. Er nimmt die Geſetze als gegeben

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0016" n="X"/>
&#x017F;tellt werden als die Entwickelung der Miß-<lb/>
griffe, deren &#x017F;ich die Men&#x017F;chen in Entwerfung<lb/>
der Ge&#x017F;etze haben zu Schulden kommen la&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
wir gewinnen auf die&#x017F;em Wege gewi&#x017F;&#x017F;e Grund-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;tze u&#x0364;ber den Bau der Staaten. Das i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n und gut. Aber wo lernen wir denn<lb/>
die viel wichtigere Kun&#x017F;t, die Grund&#x017F;a&#x0364;tze an-<lb/>
zuwenden? &#x2014; Gegen alle Regeln, die Ihr<lb/>
mir aus der Weltge&#x017F;chichte u&#x0364;ber Regierungs-<lb/>
formen ableiten ko&#x0364;nnt, will ich Euch die<lb/>
Regierungsform meines Landes, welche aus<lb/>
den Um&#x017F;ta&#x0364;nden die&#x017F;er be&#x017F;timmten <supplied>L</supplied>talita&#x0364;t<lb/>
ent&#x017F;tanden und gewach&#x017F;en i&#x017F;t, vertheidigen;<lb/>
will bewei&#x017F;en, daß mir keine Grund&#x017F;a&#x0364;tze etwas<lb/>
helfen, &#x017F;ondern bloß ein in langer Erfahrung<lb/>
ge&#x017F;ammeltes Gefu&#x0364;hl von dem Rath&#x017F;amen und<lb/>
Guten. Was fehlt al&#x017F;o Montesquieu? Man<lb/>
wird mich nicht mißver&#x017F;tehen, oder es fu&#x0364;r<lb/>
Hochmuth achten, wenn ich &#x017F;age: es fehlt<lb/>
ihm, was in die&#x017F;en Vorle&#x017F;ungen dargelegt wor-<lb/>
den i&#x017F;t, <hi rendition="#g">die Ge&#x017F;chichte des lebendigen<lb/>
Ge&#x017F;etzes</hi>. Er nimmt die Ge&#x017F;etze als gegeben<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[X/0016] ſtellt werden als die Entwickelung der Miß- griffe, deren ſich die Menſchen in Entwerfung der Geſetze haben zu Schulden kommen laſſen: wir gewinnen auf dieſem Wege gewiſſe Grund- ſaͤtze uͤber den Bau der Staaten. Das iſt ſchoͤn und gut. Aber wo lernen wir denn die viel wichtigere Kunſt, die Grundſaͤtze an- zuwenden? — Gegen alle Regeln, die Ihr mir aus der Weltgeſchichte uͤber Regierungs- formen ableiten koͤnnt, will ich Euch die Regierungsform meines Landes, welche aus den Umſtaͤnden dieſer beſtimmten Ltalitaͤt entſtanden und gewachſen iſt, vertheidigen; will beweiſen, daß mir keine Grundſaͤtze etwas helfen, ſondern bloß ein in langer Erfahrung geſammeltes Gefuͤhl von dem Rathſamen und Guten. Was fehlt alſo Montesquieu? Man wird mich nicht mißverſtehen, oder es fuͤr Hochmuth achten, wenn ich ſage: es fehlt ihm, was in dieſen Vorleſungen dargelegt wor- den iſt, die Geſchichte des lebendigen Geſetzes. Er nimmt die Geſetze als gegeben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/16
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/16>, abgerufen am 20.04.2024.