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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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ten, die er vorfinde, nichts anzuerkennen; kurz,
es sey wirklich eine Stelle außerhalb des Staa-
tes da, auf die sich jeder hin begeben, und wo er
dem großen Staatskörper neue Bahnen vorzeich-
nen, aus dem alten Körper einen ganz neuen
machen, und dem Staate, anstatt der alten un-
vollkommenen, aber erprüften Constitution, eine
neue, wenigstens für die nächsten vierzehn Tage
vollkommene, vorzeichnen könne? --

Stellen sich nicht 2) die meisten politischen
Schriftsteller so, als ständen sie entweder im
Anfange aller Zeiten, und als sollten die
Staaten erst jetzt errichtet werden; als wären
die großen Werke der Staatskunst, welchen wir
in der Geschichte begegnen, nichts weiter als
armselige Versuche, und die Geschichte selbst
nichts anders, als ein Cursus der Experimental-
Politik; als würden erst jetzt Staaten in die
Welt kommen, erst jetzt das Regieren angehen?
oder, als ständen sie am Ende aller Zeiten,
und als müßten die Vorfahren sich gefallen lassen,
was sie -- die letzten, weisesten Enkel, großge-
füttert mit der gemeinschaftlichen Vernunft und
Erfahrung aller früheren Geschlechter -- über
die Werke, über die tausendfältigen Satzungen
und Aussprüche, ja über die Gräber der Ahnher-
ren beschließen würden; kurz, als wären sie

ten, die er vorfinde, nichts anzuerkennen; kurz,
es ſey wirklich eine Stelle außerhalb des Staa-
tes da, auf die ſich jeder hin begeben, und wo er
dem großen Staatskoͤrper neue Bahnen vorzeich-
nen, aus dem alten Koͤrper einen ganz neuen
machen, und dem Staate, anſtatt der alten un-
vollkommenen, aber erpruͤften Conſtitution, eine
neue, wenigſtens fuͤr die naͤchſten vierzehn Tage
vollkommene, vorzeichnen koͤnne? —

Stellen ſich nicht 2) die meiſten politiſchen
Schriftſteller ſo, als ſtaͤnden ſie entweder im
Anfange aller Zeiten, und als ſollten die
Staaten erſt jetzt errichtet werden; als waͤren
die großen Werke der Staatskunſt, welchen wir
in der Geſchichte begegnen, nichts weiter als
armſelige Verſuche, und die Geſchichte ſelbſt
nichts anders, als ein Curſus der Experimental-
Politik; als wuͤrden erſt jetzt Staaten in die
Welt kommen, erſt jetzt das Regieren angehen?
oder, als ſtaͤnden ſie am Ende aller Zeiten,
und als muͤßten die Vorfahren ſich gefallen laſſen,
was ſie — die letzten, weiſeſten Enkel, großge-
fuͤttert mit der gemeinſchaftlichen Vernunft und
Erfahrung aller fruͤheren Geſchlechter — uͤber
die Werke, uͤber die tauſendfaͤltigen Satzungen
und Ausſpruͤche, ja uͤber die Graͤber der Ahnher-
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[36/0070] ten, die er vorfinde, nichts anzuerkennen; kurz, es ſey wirklich eine Stelle außerhalb des Staa- tes da, auf die ſich jeder hin begeben, und wo er dem großen Staatskoͤrper neue Bahnen vorzeich- nen, aus dem alten Koͤrper einen ganz neuen machen, und dem Staate, anſtatt der alten un- vollkommenen, aber erpruͤften Conſtitution, eine neue, wenigſtens fuͤr die naͤchſten vierzehn Tage vollkommene, vorzeichnen koͤnne? — Stellen ſich nicht 2) die meiſten politiſchen Schriftſteller ſo, als ſtaͤnden ſie entweder im Anfange aller Zeiten, und als ſollten die Staaten erſt jetzt errichtet werden; als waͤren die großen Werke der Staatskunſt, welchen wir in der Geſchichte begegnen, nichts weiter als armſelige Verſuche, und die Geſchichte ſelbſt nichts anders, als ein Curſus der Experimental- Politik; als wuͤrden erſt jetzt Staaten in die Welt kommen, erſt jetzt das Regieren angehen? oder, als ſtaͤnden ſie am Ende aller Zeiten, und als muͤßten die Vorfahren ſich gefallen laſſen, was ſie — die letzten, weiſeſten Enkel, großge- fuͤttert mit der gemeinſchaftlichen Vernunft und Erfahrung aller fruͤheren Geſchlechter — uͤber die Werke, uͤber die tauſendfaͤltigen Satzungen und Ausſpruͤche, ja uͤber die Graͤber der Ahnher- ren beſchließen wuͤrden; kurz, als waͤren ſie

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/70>, abgerufen am 23.04.2024.