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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Jch schlug ihm nun die Stellen Jes. 53, 4-12.
und Daniel 9, 24. auf, erklärte sie ihm, wandte sie auf
Christum an, rechnete ihm vor, wie lange etwa Jesaias
und Daniel vor Christo gelebt hätten, bewies ihm end-
lich, daß ihre Schriften lange vor Christo bekannt gewe-
sen, und daß eine Verfälschung derselben nach Christo,
allein schon durch die Bemühungen der Massorethen
unmöglich geworden sey. Nun sehen Sie, setzte ich
hinzu, daß das alte und neue Testament über den Punct
einig sind, Christus habe die Menschen erlöset. Diese
Uebereinstimmung muß Jhnen schon wieder eine nicht
unbeträchtliche Vermuthung von der Wahrheit der
Sache geben.

Wenn man argwöhnisch seyn wollte, sagte er
hierauf, so könnte man sagen: Christus habe sich über-
haupt nach den Weißagungen der Propheten von dem
Messias zu bilden gesucht, um diese große Person zu
spielen. Hätte er das gewollt, setzte ich hinzu, so würde
er sie wohl nach den Vorurtheilen der Juden gespielt,
und einen irdischen Held haben vorstellen wollen. Aller-
dings, antwortete er, er würde dann ganz andre Mittel
gebraucht haben. Ein Betrüger kann nicht so ganz den
ehrlichen Mann nachmachen. Ueber dieß kommen in den
Propheten Umstände des Messias vor, die Christus gar
nicht in seiner Gewalt hatte. Z. Ex. daß das Loos über
seinen Rock geworfen, und daß er gekreuzigt ward. Je-
nes hieng sowohl als dieses von zufälligen Umständen ab.
Wären damals nicht die Römer Herren in Jerusalem
gewesen, so würde nicht gekreuzigt sondern etwa
gesteinigt worden seyn.

Wir giengen nun folgende Stellen des neuen
Testamentes mit einander durch. Jch erklärte jeden vor
sich, und zeigte ihm, daß in allen der Satz liege von

dem


Jch ſchlug ihm nun die Stellen Jeſ. 53, 4-12.
und Daniel 9, 24. auf, erklaͤrte ſie ihm, wandte ſie auf
Chriſtum an, rechnete ihm vor, wie lange etwa Jeſaias
und Daniel vor Chriſto gelebt haͤtten, bewies ihm end-
lich, daß ihre Schriften lange vor Chriſto bekannt gewe-
ſen, und daß eine Verfaͤlſchung derſelben nach Chriſto,
allein ſchon durch die Bemuͤhungen der Maſſorethen
unmoͤglich geworden ſey. Nun ſehen Sie, ſetzte ich
hinzu, daß das alte und neue Teſtament uͤber den Punct
einig ſind, Chriſtus habe die Menſchen erloͤſet. Dieſe
Uebereinſtimmung muß Jhnen ſchon wieder eine nicht
unbetraͤchtliche Vermuthung von der Wahrheit der
Sache geben.

Wenn man argwoͤhniſch ſeyn wollte, ſagte er
hierauf, ſo koͤnnte man ſagen: Chriſtus habe ſich uͤber-
haupt nach den Weißagungen der Propheten von dem
Meſſias zu bilden geſucht, um dieſe große Perſon zu
ſpielen. Haͤtte er das gewollt, ſetzte ich hinzu, ſo wuͤrde
er ſie wohl nach den Vorurtheilen der Juden geſpielt,
und einen irdiſchen Held haben vorſtellen wollen. Aller-
dings, antwortete er, er wuͤrde dann ganz andre Mittel
gebraucht haben. Ein Betruͤger kann nicht ſo ganz den
ehrlichen Mann nachmachen. Ueber dieß kommen in den
Propheten Umſtaͤnde des Meſſias vor, die Chriſtus gar
nicht in ſeiner Gewalt hatte. Z. Ex. daß das Loos uͤber
ſeinen Rock geworfen, und daß er gekreuzigt ward. Je-
nes hieng ſowohl als dieſes von zufaͤlligen Umſtaͤnden ab.
Waͤren damals nicht die Roͤmer Herren in Jeruſalem
geweſen, ſo wuͤrde nicht gekreuzigt ſondern etwa
geſteinigt worden ſeyn.

Wir giengen nun folgende Stellen des neuen
Teſtamentes mit einander durch. Jch erklaͤrte jeden vor
ſich, und zeigte ihm, daß in allen der Satz liege von

dem
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[102/0114] Jch ſchlug ihm nun die Stellen Jeſ. 53, 4-12. und Daniel 9, 24. auf, erklaͤrte ſie ihm, wandte ſie auf Chriſtum an, rechnete ihm vor, wie lange etwa Jeſaias und Daniel vor Chriſto gelebt haͤtten, bewies ihm end- lich, daß ihre Schriften lange vor Chriſto bekannt gewe- ſen, und daß eine Verfaͤlſchung derſelben nach Chriſto, allein ſchon durch die Bemuͤhungen der Maſſorethen unmoͤglich geworden ſey. Nun ſehen Sie, ſetzte ich hinzu, daß das alte und neue Teſtament uͤber den Punct einig ſind, Chriſtus habe die Menſchen erloͤſet. Dieſe Uebereinſtimmung muß Jhnen ſchon wieder eine nicht unbetraͤchtliche Vermuthung von der Wahrheit der Sache geben. Wenn man argwoͤhniſch ſeyn wollte, ſagte er hierauf, ſo koͤnnte man ſagen: Chriſtus habe ſich uͤber- haupt nach den Weißagungen der Propheten von dem Meſſias zu bilden geſucht, um dieſe große Perſon zu ſpielen. Haͤtte er das gewollt, ſetzte ich hinzu, ſo wuͤrde er ſie wohl nach den Vorurtheilen der Juden geſpielt, und einen irdiſchen Held haben vorſtellen wollen. Aller- dings, antwortete er, er wuͤrde dann ganz andre Mittel gebraucht haben. Ein Betruͤger kann nicht ſo ganz den ehrlichen Mann nachmachen. Ueber dieß kommen in den Propheten Umſtaͤnde des Meſſias vor, die Chriſtus gar nicht in ſeiner Gewalt hatte. Z. Ex. daß das Loos uͤber ſeinen Rock geworfen, und daß er gekreuzigt ward. Je- nes hieng ſowohl als dieſes von zufaͤlligen Umſtaͤnden ab. Waͤren damals nicht die Roͤmer Herren in Jeruſalem geweſen, ſo wuͤrde nicht gekreuzigt ſondern etwa geſteinigt worden ſeyn. Wir giengen nun folgende Stellen des neuen Teſtamentes mit einander durch. Jch erklaͤrte jeden vor ſich, und zeigte ihm, daß in allen der Satz liege von dem

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/114>, abgerufen am 28.03.2024.