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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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und dann war er in Gefahr auf den Abweg der Schwär-
merey zu gerathen, der ihn eben nicht nothwendig zum
Verderben geführt hätte, auf dem er aber doch vielleicht
träge geworden wäre, in seiner ruhigen Untersuchung des
Christenthums fortzufahren, und seine Gesinnungen nach
den Vorschriften desselben zu bessern. Ueber dieß mußte
bey seiner Bekehrung auch nicht der geringste Schein
von Enthusiasterey verhanden seyn, damit diejenigen,
die etwa ihre Ursachen haben möchten sie in Zweifel zu
ziehen, daraus nicht einen Grund ihres Zweifels machen
könnten. Jm andern Falle konnte er dieß Gefühl lange
ängstlich erwarten, und über das Aussenbleiben desselben
ohne Noth beunruhigt werden, ja wohl gar an der Würk-
samkeit der Religion zweifeln. Jch hielt es aus diesen
Gründen für meine Pflicht, ihn vor beyden besorglichen
Gefahren in Sicherheit zu setzen, und ich hoffe, daß
selbst diejenigen, die in dieser Sache nicht mit mir über-
einstimmend denken, mir die Gerechtigkeit werden wieder-
fahren lassen, zu gestehen, daß ich nach der Ueberzeu-
gung meines Gewissens handeln mußte. Jch sagte ihm
daher, daß es mit den Gefühlen im Christenthum eine
mißliche Sache sey, daß ich zwar ihr Daseyn und ihren
Wehrt nicht gänzlich läugnen wollte, aber doch im Worte
Gottes von ihrer Nothwendigkeit, und von ihrer unfehl-
baren Folge auf Buße und Glauben nichts fände. Jch
schlug ihm hier die vornehmsten Sprüche in der Bibel
auf, aus denen sie beweisen will, z. Ex. Röm. 8,
16. Röm. 15, 13. Phil. 4, 7. und zeigte ihm, daß sie
einer andern und natürlichern Erklärung, die also die
beste sey, fähig wären. Mir ist zwar, setzte ich hinzu,
die Erfahrung frommer Christen, die solche Empfindun-
gen zu haben glauben, immer sehr ehrwürdig, aber es
kann doch möglich seyn, daß sie irren, und in der Wärme
ihrer Andacht Spiele der Einbildungskraft nicht genug-
sam von übernatürlichen Empfindungen unterscheiden.

Das



und dann war er in Gefahr auf den Abweg der Schwaͤr-
merey zu gerathen, der ihn eben nicht nothwendig zum
Verderben gefuͤhrt haͤtte, auf dem er aber doch vielleicht
traͤge geworden waͤre, in ſeiner ruhigen Unterſuchung des
Chriſtenthums fortzufahren, und ſeine Geſinnungen nach
den Vorſchriften deſſelben zu beſſern. Ueber dieß mußte
bey ſeiner Bekehrung auch nicht der geringſte Schein
von Enthuſiaſterey verhanden ſeyn, damit diejenigen,
die etwa ihre Urſachen haben moͤchten ſie in Zweifel zu
ziehen, daraus nicht einen Grund ihres Zweifels machen
koͤnnten. Jm andern Falle konnte er dieß Gefuͤhl lange
aͤngſtlich erwarten, und uͤber das Auſſenbleiben deſſelben
ohne Noth beunruhigt werden, ja wohl gar an der Wuͤrk-
ſamkeit der Religion zweifeln. Jch hielt es aus dieſen
Gruͤnden fuͤr meine Pflicht, ihn vor beyden beſorglichen
Gefahren in Sicherheit zu ſetzen, und ich hoffe, daß
ſelbſt diejenigen, die in dieſer Sache nicht mit mir uͤber-
einſtimmend denken, mir die Gerechtigkeit werden wieder-
fahren laſſen, zu geſtehen, daß ich nach der Ueberzeu-
gung meines Gewiſſens handeln mußte. Jch ſagte ihm
daher, daß es mit den Gefuͤhlen im Chriſtenthum eine
mißliche Sache ſey, daß ich zwar ihr Daſeyn und ihren
Wehrt nicht gaͤnzlich laͤugnen wollte, aber doch im Worte
Gottes von ihrer Nothwendigkeit, und von ihrer unfehl-
baren Folge auf Buße und Glauben nichts faͤnde. Jch
ſchlug ihm hier die vornehmſten Spruͤche in der Bibel
auf, aus denen ſie beweiſen will, z. Ex. Roͤm. 8,
16. Roͤm. 15, 13. Phil. 4, 7. und zeigte ihm, daß ſie
einer andern und natuͤrlichern Erklaͤrung, die alſo die
beſte ſey, faͤhig waͤren. Mir iſt zwar, ſetzte ich hinzu,
die Erfahrung frommer Chriſten, die ſolche Empfindun-
gen zu haben glauben, immer ſehr ehrwuͤrdig, aber es
kann doch moͤglich ſeyn, daß ſie irren, und in der Waͤrme
ihrer Andacht Spiele der Einbildungskraft nicht genug-
ſam von uͤbernatuͤrlichen Empfindungen unterſcheiden.

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[126/0138] und dann war er in Gefahr auf den Abweg der Schwaͤr- merey zu gerathen, der ihn eben nicht nothwendig zum Verderben gefuͤhrt haͤtte, auf dem er aber doch vielleicht traͤge geworden waͤre, in ſeiner ruhigen Unterſuchung des Chriſtenthums fortzufahren, und ſeine Geſinnungen nach den Vorſchriften deſſelben zu beſſern. Ueber dieß mußte bey ſeiner Bekehrung auch nicht der geringſte Schein von Enthuſiaſterey verhanden ſeyn, damit diejenigen, die etwa ihre Urſachen haben moͤchten ſie in Zweifel zu ziehen, daraus nicht einen Grund ihres Zweifels machen koͤnnten. Jm andern Falle konnte er dieß Gefuͤhl lange aͤngſtlich erwarten, und uͤber das Auſſenbleiben deſſelben ohne Noth beunruhigt werden, ja wohl gar an der Wuͤrk- ſamkeit der Religion zweifeln. Jch hielt es aus dieſen Gruͤnden fuͤr meine Pflicht, ihn vor beyden beſorglichen Gefahren in Sicherheit zu ſetzen, und ich hoffe, daß ſelbſt diejenigen, die in dieſer Sache nicht mit mir uͤber- einſtimmend denken, mir die Gerechtigkeit werden wieder- fahren laſſen, zu geſtehen, daß ich nach der Ueberzeu- gung meines Gewiſſens handeln mußte. Jch ſagte ihm daher, daß es mit den Gefuͤhlen im Chriſtenthum eine mißliche Sache ſey, daß ich zwar ihr Daſeyn und ihren Wehrt nicht gaͤnzlich laͤugnen wollte, aber doch im Worte Gottes von ihrer Nothwendigkeit, und von ihrer unfehl- baren Folge auf Buße und Glauben nichts faͤnde. Jch ſchlug ihm hier die vornehmſten Spruͤche in der Bibel auf, aus denen ſie beweiſen will, z. Ex. Roͤm. 8, 16. Roͤm. 15, 13. Phil. 4, 7. und zeigte ihm, daß ſie einer andern und natuͤrlichern Erklaͤrung, die alſo die beſte ſey, faͤhig waͤren. Mir iſt zwar, ſetzte ich hinzu, die Erfahrung frommer Chriſten, die ſolche Empfindun- gen zu haben glauben, immer ſehr ehrwuͤrdig, aber es kann doch moͤglich ſeyn, daß ſie irren, und in der Waͤrme ihrer Andacht Spiele der Einbildungskraft nicht genug- ſam von uͤbernatuͤrlichen Empfindungen unterſcheiden. Das

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/138>, abgerufen am 29.03.2024.