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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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gleichung mit der Geschichte der drey letzten Lebensjahre
Jesu zu lesen, so würde er sich solche Schwürigkeiten
selbst heben können. Um ihm das Lesen der Apostelge-
schichte und der apostolischen Briefe auf gleiche Art zu
erleichtern, versprach ich ihm Bensons Pflanzung der
christlichen Kirche und die Lynarische Umschreibung.

Die Ruhe und Heiterkeit des Grafen nahm itzt
so sehr zu, daß sie mir bedenklich ward. Jch hielt es
deswegen für nöthig ihn zu bitten, daß er sich ja nicht
einer gar zu schnellen Beruhigung überlassen, und bey
seiner gegründeten Hoffnung zur Begnadigung bey Gott,
es nicht vergessen möchte, wer er vor seiner Bekehrung
gewesen sey. Sein vormaliger Leichtsinn könnte sonst
leicht wieder einige Gewalt über ihn bekommen, er könnte
nachlässig in der Berichtigung seiner Gesinnungen nach
dem Willen Gottes werden, und sich dadurch viele Un-
ruhe und Angst auf die letzten Tage seines Lebens veran-
lassen. Jch versichere Sie, antwortete er, daß ich mich
noch keinen Augenblik nachgiebig beurtheilt, und nie
aufgehört habe, die schmerzlichste Reue über meinen
vorigen Wandel zu empfinden. Jch bin vielmehr über-
zeugt, daß ich selbst in der Ewigkeit, so glückseelig sie
auch für mich werden möchte, mit Betrübniß und Abscheu
an meine Sünden zurück denken werde.

Sagen Sie mir, fragte er bey einer andern Ge-
legenheit, wie es zugeht, daß die Medici so leicht wider
die Religion eingenommen werden? Jch weiß, antwor-
tete ich ihm, daß die Religion der Aerzte für verdächtig
gehalten wird, aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Es
giebt wohl in allen Ständen verhältnißmäßig gleich viele,
die dem Christenthum abgeneigt sind. Und es müssen,
Jhnen selbst mehr große Aerzte bekannt seyn, die unstrei-
tig zu den Christen gehören, als die von der entgegensetzten

Gesin-



gleichung mit der Geſchichte der drey letzten Lebensjahre
Jeſu zu leſen, ſo wuͤrde er ſich ſolche Schwuͤrigkeiten
ſelbſt heben koͤnnen. Um ihm das Leſen der Apoſtelge-
ſchichte und der apoſtoliſchen Briefe auf gleiche Art zu
erleichtern, verſprach ich ihm Benſons Pflanzung der
chriſtlichen Kirche und die Lynariſche Umſchreibung.

Die Ruhe und Heiterkeit des Grafen nahm itzt
ſo ſehr zu, daß ſie mir bedenklich ward. Jch hielt es
deswegen fuͤr noͤthig ihn zu bitten, daß er ſich ja nicht
einer gar zu ſchnellen Beruhigung uͤberlaſſen, und bey
ſeiner gegruͤndeten Hoffnung zur Begnadigung bey Gott,
es nicht vergeſſen moͤchte, wer er vor ſeiner Bekehrung
geweſen ſey. Sein vormaliger Leichtſinn koͤnnte ſonſt
leicht wieder einige Gewalt uͤber ihn bekommen, er koͤnnte
nachlaͤſſig in der Berichtigung ſeiner Geſinnungen nach
dem Willen Gottes werden, und ſich dadurch viele Un-
ruhe und Angſt auf die letzten Tage ſeines Lebens veran-
laſſen. Jch verſichere Sie, antwortete er, daß ich mich
noch keinen Augenblik nachgiebig beurtheilt, und nie
aufgehoͤrt habe, die ſchmerzlichſte Reue uͤber meinen
vorigen Wandel zu empfinden. Jch bin vielmehr uͤber-
zeugt, daß ich ſelbſt in der Ewigkeit, ſo gluͤckſeelig ſie
auch fuͤr mich werden moͤchte, mit Betruͤbniß und Abſcheu
an meine Suͤnden zuruͤck denken werde.

Sagen Sie mir, fragte er bey einer andern Ge-
legenheit, wie es zugeht, daß die Medici ſo leicht wider
die Religion eingenommen werden? Jch weiß, antwor-
tete ich ihm, daß die Religion der Aerzte fuͤr verdaͤchtig
gehalten wird, aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Es
giebt wohl in allen Staͤnden verhaͤltnißmaͤßig gleich viele,
die dem Chriſtenthum abgeneigt ſind. Und es muͤſſen,
Jhnen ſelbſt mehr große Aerzte bekannt ſeyn, die unſtrei-
tig zu den Chriſten gehoͤren, als die von der entgegenſetzten

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[136/0148] gleichung mit der Geſchichte der drey letzten Lebensjahre Jeſu zu leſen, ſo wuͤrde er ſich ſolche Schwuͤrigkeiten ſelbſt heben koͤnnen. Um ihm das Leſen der Apoſtelge- ſchichte und der apoſtoliſchen Briefe auf gleiche Art zu erleichtern, verſprach ich ihm Benſons Pflanzung der chriſtlichen Kirche und die Lynariſche Umſchreibung. Die Ruhe und Heiterkeit des Grafen nahm itzt ſo ſehr zu, daß ſie mir bedenklich ward. Jch hielt es deswegen fuͤr noͤthig ihn zu bitten, daß er ſich ja nicht einer gar zu ſchnellen Beruhigung uͤberlaſſen, und bey ſeiner gegruͤndeten Hoffnung zur Begnadigung bey Gott, es nicht vergeſſen moͤchte, wer er vor ſeiner Bekehrung geweſen ſey. Sein vormaliger Leichtſinn koͤnnte ſonſt leicht wieder einige Gewalt uͤber ihn bekommen, er koͤnnte nachlaͤſſig in der Berichtigung ſeiner Geſinnungen nach dem Willen Gottes werden, und ſich dadurch viele Un- ruhe und Angſt auf die letzten Tage ſeines Lebens veran- laſſen. Jch verſichere Sie, antwortete er, daß ich mich noch keinen Augenblik nachgiebig beurtheilt, und nie aufgehoͤrt habe, die ſchmerzlichſte Reue uͤber meinen vorigen Wandel zu empfinden. Jch bin vielmehr uͤber- zeugt, daß ich ſelbſt in der Ewigkeit, ſo gluͤckſeelig ſie auch fuͤr mich werden moͤchte, mit Betruͤbniß und Abſcheu an meine Suͤnden zuruͤck denken werde. Sagen Sie mir, fragte er bey einer andern Ge- legenheit, wie es zugeht, daß die Medici ſo leicht wider die Religion eingenommen werden? Jch weiß, antwor- tete ich ihm, daß die Religion der Aerzte fuͤr verdaͤchtig gehalten wird, aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Es giebt wohl in allen Staͤnden verhaͤltnißmaͤßig gleich viele, die dem Chriſtenthum abgeneigt ſind. Und es muͤſſen, Jhnen ſelbſt mehr große Aerzte bekannt ſeyn, die unſtrei- tig zu den Chriſten gehoͤren, als die von der entgegenſetzten Geſin-

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/148>, abgerufen am 29.03.2024.