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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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endlich von einigen seiner ehemaligen Bekannten gehört
hatte, daß er offenherzig und in einem gewissen Ver-
stande aufrichtig sey: so hielt ich die Errichtung einer
solchen Freundschaft unter uns, als zur Beförderung
meines Endzwecks nothwendig war, nicht für unmög-
lich. Mit dieser Hoffnung machte ich den Anfang mei-
ner Besuche bey ihm, und ich danke Gott für den Se-
gen, mit welchem er meine Bemühungen um das Heil
des unglücklichen Mannes begnadigt hat.

Erste Unterredung den Isten März.

Jch konnte jetzt noch keine andere Absicht haben als
einigen Grund zur Vertraulichkeit unter uns zu le-
gen, ihm den Zweck meines Zuspruchs wichtig zu ma-
chen, und, wenn dazu sich Gelegenheit zeigen sollte,
über sein Religionssystem Nachricht von ihm zu erhalten.

Als es ihm gemeldet ward, daß ich mit ihm
zu reden wünschte, erkundigte er sich, ob ich Befehl
hätte zu ihm zu kommen. Man bejahte ihm dieses,
und er ließ sichs gefallen. Er empfieng mich mit einem
finstern Gesicht, und in der Stellung eines Menschen,
der sich darauf gefaßt macht, eine Menge bittrer Vor-
würfe mit verachtendem Stillschweigen anzuhören. Wir
waren allein, und ich fühlte mich durch den Anblick des
Elendes sehr gerührt, in welchem ich den Mann sah,
der noch vor wenigen Wochen unter allen Unterthanen
des Königes der erste und mächtigste gewesen war. Jch
konnte diese meine Empfindung nicht verbergen, wollte
es auch nicht. Herr Graf, sagte ich. Sie sehen, ich kom-
me mit einem gerührten Herzen zu Jhnen. Jch weiß
und fühle, was ich einem unglücklichen Mann schuldig
bin, den Gott gewiß nicht zu einem solchen Unglück hat
geboren werden lassen. Jch wünschte sehr, daß ich

Jhnen
A 2



endlich von einigen ſeiner ehemaligen Bekannten gehoͤrt
hatte, daß er offenherzig und in einem gewiſſen Ver-
ſtande aufrichtig ſey: ſo hielt ich die Errichtung einer
ſolchen Freundſchaft unter uns, als zur Befoͤrderung
meines Endzwecks nothwendig war, nicht fuͤr unmoͤg-
lich. Mit dieſer Hoffnung machte ich den Anfang mei-
ner Beſuche bey ihm, und ich danke Gott fuͤr den Se-
gen, mit welchem er meine Bemuͤhungen um das Heil
des ungluͤcklichen Mannes begnadigt hat.

Erſte Unterredung den Iſten Maͤrz.

Jch konnte jetzt noch keine andere Abſicht haben als
einigen Grund zur Vertraulichkeit unter uns zu le-
gen, ihm den Zweck meines Zuſpruchs wichtig zu ma-
chen, und, wenn dazu ſich Gelegenheit zeigen ſollte,
uͤber ſein Religionsſyſtem Nachricht von ihm zu erhalten.

Als es ihm gemeldet ward, daß ich mit ihm
zu reden wuͤnſchte, erkundigte er ſich, ob ich Befehl
haͤtte zu ihm zu kommen. Man bejahte ihm dieſes,
und er ließ ſichs gefallen. Er empfieng mich mit einem
finſtern Geſicht, und in der Stellung eines Menſchen,
der ſich darauf gefaßt macht, eine Menge bittrer Vor-
wuͤrfe mit verachtendem Stillſchweigen anzuhoͤren. Wir
waren allein, und ich fuͤhlte mich durch den Anblick des
Elendes ſehr geruͤhrt, in welchem ich den Mann ſah,
der noch vor wenigen Wochen unter allen Unterthanen
des Koͤniges der erſte und maͤchtigſte geweſen war. Jch
konnte dieſe meine Empfindung nicht verbergen, wollte
es auch nicht. Herr Graf, ſagte ich. Sie ſehen, ich kom-
me mit einem geruͤhrten Herzen zu Jhnen. Jch weiß
und fuͤhle, was ich einem ungluͤcklichen Mann ſchuldig
bin, den Gott gewiß nicht zu einem ſolchen Ungluͤck hat
geboren werden laſſen. Jch wuͤnſchte ſehr, daß ich

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[3/0015] endlich von einigen ſeiner ehemaligen Bekannten gehoͤrt hatte, daß er offenherzig und in einem gewiſſen Ver- ſtande aufrichtig ſey: ſo hielt ich die Errichtung einer ſolchen Freundſchaft unter uns, als zur Befoͤrderung meines Endzwecks nothwendig war, nicht fuͤr unmoͤg- lich. Mit dieſer Hoffnung machte ich den Anfang mei- ner Beſuche bey ihm, und ich danke Gott fuͤr den Se- gen, mit welchem er meine Bemuͤhungen um das Heil des ungluͤcklichen Mannes begnadigt hat. Erſte Unterredung den Iſten Maͤrz. Jch konnte jetzt noch keine andere Abſicht haben als einigen Grund zur Vertraulichkeit unter uns zu le- gen, ihm den Zweck meines Zuſpruchs wichtig zu ma- chen, und, wenn dazu ſich Gelegenheit zeigen ſollte, uͤber ſein Religionsſyſtem Nachricht von ihm zu erhalten. Als es ihm gemeldet ward, daß ich mit ihm zu reden wuͤnſchte, erkundigte er ſich, ob ich Befehl haͤtte zu ihm zu kommen. Man bejahte ihm dieſes, und er ließ ſichs gefallen. Er empfieng mich mit einem finſtern Geſicht, und in der Stellung eines Menſchen, der ſich darauf gefaßt macht, eine Menge bittrer Vor- wuͤrfe mit verachtendem Stillſchweigen anzuhoͤren. Wir waren allein, und ich fuͤhlte mich durch den Anblick des Elendes ſehr geruͤhrt, in welchem ich den Mann ſah, der noch vor wenigen Wochen unter allen Unterthanen des Koͤniges der erſte und maͤchtigſte geweſen war. Jch konnte dieſe meine Empfindung nicht verbergen, wollte es auch nicht. Herr Graf, ſagte ich. Sie ſehen, ich kom- me mit einem geruͤhrten Herzen zu Jhnen. Jch weiß und fuͤhle, was ich einem ungluͤcklichen Mann ſchuldig bin, den Gott gewiß nicht zu einem ſolchen Ungluͤck hat geboren werden laſſen. Jch wuͤnſchte ſehr, daß ich Jhnen A 2

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/15>, abgerufen am 28.03.2024.