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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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und daß man zum Exempel in Pauli Briefen eine ganz
andre Schreibart, Folge der Gedanken und Methode
wahrnehme, als in denen, die wir von Petro oder Jo-
hanne hätten. Sie hätten also selbst gedacht, und wären
von Gott bey der Abfassung ihrer Schriften nicht als
bloße Maschinen gebraucht worden. Weil aber die
Sachen, die sie aufgezeichnet hätten, von der äußersten
Wichtigkeit für das ganze menschliche Geschlecht gewesen
wären, so hätte Gott durch seinen Einfluß auf sie, ihnen
die richtigsten Vorstellungen davon mitgetheilt, und ver-
hindert, daß sie nichts falsch gedacht oder vorgetragen,
nichts ausgelassen hätten, was seinen Willen von dem
Wege zur Seeligkeit beträfe und damit in Verbindung
stünde. Ob sie selbst es gewußt hätten, daß ihre
Schriften einmahl die Richtschnur des Glaubens für
die ganze christliche Welt bis ans Ende der Zeiten wer-
den sollten, das sey zweifelhaft und kaum glaublich,
da sie ihre Briefe an einzelne Gemeinen und Personen
geschrieben, und sie nach den Bedürfnissen derselben ein-
gerichtet hätten. Auch sey man nicht genöthigt zu be-
haupten, daß Gott ihnen alles ohne Unterschied inspirirt
habe, welches in Ansehung der Grüße, die sie an gute
Freunde zu bestellen bitten, der persönlichen Nachrichten,
dee sie geben, der Commission, die Paulus dem Timo-
theus giebt, ihm seinen Mantel mitzubringen, nicht
gesagt werden könne. u. s. w.

Mir fällt zuweilen wohl ein, sagte er unter
andern, an meine vorige Situation zu denken. Wäre
es nicht besser für dich, dachte ich heute bey dieser Gele-
genheit, wenn du dich in deiner Hoheit und Wollust hät-
test erhalten können? Aber als ich es nur ein paar Minu-
ten überlegt hatte, so fand ich gleich, daß ich itzt sehr
viel glücklicher bin, als ich in meinem größten Glücke
war. Jch habe selbst damals meinem Freunde, dem

Grafen



und daß man zum Exempel in Pauli Briefen eine ganz
andre Schreibart, Folge der Gedanken und Methode
wahrnehme, als in denen, die wir von Petro oder Jo-
hanne haͤtten. Sie haͤtten alſo ſelbſt gedacht, und waͤren
von Gott bey der Abfaſſung ihrer Schriften nicht als
bloße Maſchinen gebraucht worden. Weil aber die
Sachen, die ſie aufgezeichnet haͤtten, von der aͤußerſten
Wichtigkeit fuͤr das ganze menſchliche Geſchlecht geweſen
waͤren, ſo haͤtte Gott durch ſeinen Einfluß auf ſie, ihnen
die richtigſten Vorſtellungen davon mitgetheilt, und ver-
hindert, daß ſie nichts falſch gedacht oder vorgetragen,
nichts ausgelaſſen haͤtten, was ſeinen Willen von dem
Wege zur Seeligkeit betraͤfe und damit in Verbindung
ſtuͤnde. Ob ſie ſelbſt es gewußt haͤtten, daß ihre
Schriften einmahl die Richtſchnur des Glaubens fuͤr
die ganze chriſtliche Welt bis ans Ende der Zeiten wer-
den ſollten, das ſey zweifelhaft und kaum glaublich,
da ſie ihre Briefe an einzelne Gemeinen und Perſonen
geſchrieben, und ſie nach den Beduͤrfniſſen derſelben ein-
gerichtet haͤtten. Auch ſey man nicht genoͤthigt zu be-
haupten, daß Gott ihnen alles ohne Unterſchied inſpirirt
habe, welches in Anſehung der Gruͤße, die ſie an gute
Freunde zu beſtellen bitten, der perſoͤnlichen Nachrichten,
dee ſie geben, der Commiſſion, die Paulus dem Timo-
theus giebt, ihm ſeinen Mantel mitzubringen, nicht
geſagt werden koͤnne. u. ſ. w.

Mir faͤllt zuweilen wohl ein, ſagte er unter
andern, an meine vorige Situation zu denken. Waͤre
es nicht beſſer fuͤr dich, dachte ich heute bey dieſer Gele-
genheit, wenn du dich in deiner Hoheit und Wolluſt haͤt-
teſt erhalten koͤnnen? Aber als ich es nur ein paar Minu-
ten uͤberlegt hatte, ſo fand ich gleich, daß ich itzt ſehr
viel gluͤcklicher bin, als ich in meinem groͤßten Gluͤcke
war. Jch habe ſelbſt damals meinem Freunde, dem

Grafen
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[142/0154] und daß man zum Exempel in Pauli Briefen eine ganz andre Schreibart, Folge der Gedanken und Methode wahrnehme, als in denen, die wir von Petro oder Jo- hanne haͤtten. Sie haͤtten alſo ſelbſt gedacht, und waͤren von Gott bey der Abfaſſung ihrer Schriften nicht als bloße Maſchinen gebraucht worden. Weil aber die Sachen, die ſie aufgezeichnet haͤtten, von der aͤußerſten Wichtigkeit fuͤr das ganze menſchliche Geſchlecht geweſen waͤren, ſo haͤtte Gott durch ſeinen Einfluß auf ſie, ihnen die richtigſten Vorſtellungen davon mitgetheilt, und ver- hindert, daß ſie nichts falſch gedacht oder vorgetragen, nichts ausgelaſſen haͤtten, was ſeinen Willen von dem Wege zur Seeligkeit betraͤfe und damit in Verbindung ſtuͤnde. Ob ſie ſelbſt es gewußt haͤtten, daß ihre Schriften einmahl die Richtſchnur des Glaubens fuͤr die ganze chriſtliche Welt bis ans Ende der Zeiten wer- den ſollten, das ſey zweifelhaft und kaum glaublich, da ſie ihre Briefe an einzelne Gemeinen und Perſonen geſchrieben, und ſie nach den Beduͤrfniſſen derſelben ein- gerichtet haͤtten. Auch ſey man nicht genoͤthigt zu be- haupten, daß Gott ihnen alles ohne Unterſchied inſpirirt habe, welches in Anſehung der Gruͤße, die ſie an gute Freunde zu beſtellen bitten, der perſoͤnlichen Nachrichten, dee ſie geben, der Commiſſion, die Paulus dem Timo- theus giebt, ihm ſeinen Mantel mitzubringen, nicht geſagt werden koͤnne. u. ſ. w. Mir faͤllt zuweilen wohl ein, ſagte er unter andern, an meine vorige Situation zu denken. Waͤre es nicht beſſer fuͤr dich, dachte ich heute bey dieſer Gele- genheit, wenn du dich in deiner Hoheit und Wolluſt haͤt- teſt erhalten koͤnnen? Aber als ich es nur ein paar Minu- ten uͤberlegt hatte, ſo fand ich gleich, daß ich itzt ſehr viel gluͤcklicher bin, als ich in meinem groͤßten Gluͤcke war. Jch habe ſelbſt damals meinem Freunde, dem Grafen

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/154>, abgerufen am 19.04.2024.