Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



Welt meine Seelichkeit nicht recht empfinden können,
wenn ich jemand von meinen Verführten unglücklich wüßte.
Kein Wunsch ist mir daher wichtiger als dieser, und die
Erfüllung desselben hängt mit meinem eignen Heile fest
zusammen, daß Gott allen denen, die ich auf irgend eine
Art von ihm entfernt habe, die Gnade erweisen wolle,
die mir wiederfahren ist, daß sie nemlich zur Religion
und Tugend zurückgeführt werden mögen. Jch rufe Gott
von Herzen darum an. --

Sie sagen mir itzt, Herr Graf, und haben es
mir mehrmals gesagt, daß Sie oft zu Gott beten. Jch
habe mich auf Jhr Wort verlassen und deswegen nur sel-
ten mit Jhnen gebetet. Sie müssen selbst Jhre Bedürf-
nisse am besten empfinden, und ich kann Jhnen auch zu-
trauen, daß Sie im Stande sind, sie mit Richtung Jhrer
Gedanken auf Gott, und mit der Zuversicht zu ihm, wozu
Sie der Glaube an Christum berechtigt, durchzudenken
oder in Worten auszudrücken. Meine Gebete mit Jhnen
würden für Sie nur Formeln seyn können, und es könnte
leicht geschehen, daß diese Formeln, wenn ich mich nicht
vollkommen in Jhren Fall setzen könnte, nicht recht an-
passend auf ihren Zustand und Jhre jedesmaligen Empfin-
dungen wären. Jch halte es also für besser, daß Sie
allein Jhr Gebet vor Gott darbringen, da Sie es können,
und nicht nöthig haben, meine Empfindungen und Worte
gleichsam zu borgen. Sollte ich aber wahrnehmen, daß
Sie etwa ganz nahe am Tode, Jhre Gedanken nicht selbst
zusammenfassen könnten, so will ich Sie im Gebet zu un-
terstützen suchen. Er antwortete, daß er sehr oft bete,
in dem er nemlich mit Erhebung seines Herzens zu Gott
Selbstgespräche in seinem Herzen hielte, sich zur Beybe-
haltung und mehrerer Berichtigung seiner Gesinnungen
ermunterte und Gott auch selbst anredete und ihn um
Beystand und Gnade für sich und seine Freunde anriefe.

Er



Welt meine Seelichkeit nicht recht empfinden koͤnnen,
wenn ich jemand von meinen Verfuͤhrten ungluͤcklich wuͤßte.
Kein Wunſch iſt mir daher wichtiger als dieſer, und die
Erfuͤllung deſſelben haͤngt mit meinem eignen Heile feſt
zuſammen, daß Gott allen denen, die ich auf irgend eine
Art von ihm entfernt habe, die Gnade erweiſen wolle,
die mir wiederfahren iſt, daß ſie nemlich zur Religion
und Tugend zuruͤckgefuͤhrt werden moͤgen. Jch rufe Gott
von Herzen darum an. —

Sie ſagen mir itzt, Herr Graf, und haben es
mir mehrmals geſagt, daß Sie oft zu Gott beten. Jch
habe mich auf Jhr Wort verlaſſen und deswegen nur ſel-
ten mit Jhnen gebetet. Sie muͤſſen ſelbſt Jhre Beduͤrf-
niſſe am beſten empfinden, und ich kann Jhnen auch zu-
trauen, daß Sie im Stande ſind, ſie mit Richtung Jhrer
Gedanken auf Gott, und mit der Zuverſicht zu ihm, wozu
Sie der Glaube an Chriſtum berechtigt, durchzudenken
oder in Worten auszudruͤcken. Meine Gebete mit Jhnen
wuͤrden fuͤr Sie nur Formeln ſeyn koͤnnen, und es koͤnnte
leicht geſchehen, daß dieſe Formeln, wenn ich mich nicht
vollkommen in Jhren Fall ſetzen koͤnnte, nicht recht an-
paſſend auf ihren Zuſtand und Jhre jedesmaligen Empfin-
dungen waͤren. Jch halte es alſo fuͤr beſſer, daß Sie
allein Jhr Gebet vor Gott darbringen, da Sie es koͤnnen,
und nicht noͤthig haben, meine Empfindungen und Worte
gleichſam zu borgen. Sollte ich aber wahrnehmen, daß
Sie etwa ganz nahe am Tode, Jhre Gedanken nicht ſelbſt
zuſammenfaſſen koͤnnten, ſo will ich Sie im Gebet zu un-
terſtuͤtzen ſuchen. Er antwortete, daß er ſehr oft bete,
in dem er nemlich mit Erhebung ſeines Herzens zu Gott
Selbſtgeſpraͤche in ſeinem Herzen hielte, ſich zur Beybe-
haltung und mehrerer Berichtigung ſeiner Geſinnungen
ermunterte und Gott auch ſelbſt anredete und ihn um
Beyſtand und Gnade fuͤr ſich und ſeine Freunde anriefe.

Er
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0248" n="236"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Welt meine Seelichkeit nicht recht empfinden ko&#x0364;nnen,<lb/>
wenn ich jemand von meinen Verfu&#x0364;hrten unglu&#x0364;cklich wu&#x0364;ßte.<lb/>
Kein Wun&#x017F;ch i&#x017F;t mir daher wichtiger als die&#x017F;er, und die<lb/>
Erfu&#x0364;llung de&#x017F;&#x017F;elben ha&#x0364;ngt mit meinem eignen Heile fe&#x017F;t<lb/>
zu&#x017F;ammen, daß Gott allen denen, die ich auf irgend eine<lb/>
Art von ihm entfernt habe, die Gnade erwei&#x017F;en wolle,<lb/>
die mir wiederfahren i&#x017F;t, daß &#x017F;ie nemlich zur Religion<lb/>
und Tugend zuru&#x0364;ckgefu&#x0364;hrt werden mo&#x0364;gen. Jch rufe Gott<lb/>
von Herzen darum an. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;agen mir itzt, Herr Graf, und haben es<lb/>
mir mehrmals ge&#x017F;agt, daß Sie oft zu Gott beten. Jch<lb/>
habe mich auf Jhr Wort verla&#x017F;&#x017F;en und deswegen nur &#x017F;el-<lb/>
ten mit Jhnen gebetet. Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t Jhre Bedu&#x0364;rf-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e am be&#x017F;ten empfinden, und ich kann Jhnen auch zu-<lb/>
trauen, daß Sie im Stande &#x017F;ind, &#x017F;ie mit Richtung Jhrer<lb/>
Gedanken auf Gott, und mit der Zuver&#x017F;icht zu ihm, wozu<lb/>
Sie der Glaube an Chri&#x017F;tum berechtigt, durchzudenken<lb/>
oder in Worten auszudru&#x0364;cken. Meine Gebete mit Jhnen<lb/>
wu&#x0364;rden fu&#x0364;r Sie nur Formeln &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, und es ko&#x0364;nnte<lb/>
leicht ge&#x017F;chehen, daß die&#x017F;e Formeln, wenn ich mich nicht<lb/>
vollkommen in Jhren Fall &#x017F;etzen ko&#x0364;nnte, nicht recht an-<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;end auf ihren Zu&#x017F;tand und Jhre jedesmaligen Empfin-<lb/>
dungen wa&#x0364;ren. Jch halte es al&#x017F;o fu&#x0364;r be&#x017F;&#x017F;er, daß Sie<lb/>
allein Jhr Gebet vor Gott darbringen, da Sie es ko&#x0364;nnen,<lb/>
und nicht no&#x0364;thig haben, meine Empfindungen und Worte<lb/>
gleich&#x017F;am zu borgen. Sollte ich aber wahrnehmen, daß<lb/>
Sie etwa ganz nahe am Tode, Jhre Gedanken nicht &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnten, &#x017F;o will ich Sie im Gebet zu un-<lb/>
ter&#x017F;tu&#x0364;tzen &#x017F;uchen. Er antwortete, daß er &#x017F;ehr oft bete,<lb/>
in dem er nemlich mit Erhebung &#x017F;eines Herzens zu Gott<lb/>
Selb&#x017F;tge&#x017F;pra&#x0364;che in &#x017F;einem Herzen hielte, &#x017F;ich zur Beybe-<lb/>
haltung und mehrerer Berichtigung &#x017F;einer Ge&#x017F;innungen<lb/>
ermunterte und Gott auch &#x017F;elb&#x017F;t anredete und ihn um<lb/>
Bey&#x017F;tand und Gnade fu&#x0364;r &#x017F;ich und &#x017F;eine Freunde anriefe.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Er</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0248] Welt meine Seelichkeit nicht recht empfinden koͤnnen, wenn ich jemand von meinen Verfuͤhrten ungluͤcklich wuͤßte. Kein Wunſch iſt mir daher wichtiger als dieſer, und die Erfuͤllung deſſelben haͤngt mit meinem eignen Heile feſt zuſammen, daß Gott allen denen, die ich auf irgend eine Art von ihm entfernt habe, die Gnade erweiſen wolle, die mir wiederfahren iſt, daß ſie nemlich zur Religion und Tugend zuruͤckgefuͤhrt werden moͤgen. Jch rufe Gott von Herzen darum an. — Sie ſagen mir itzt, Herr Graf, und haben es mir mehrmals geſagt, daß Sie oft zu Gott beten. Jch habe mich auf Jhr Wort verlaſſen und deswegen nur ſel- ten mit Jhnen gebetet. Sie muͤſſen ſelbſt Jhre Beduͤrf- niſſe am beſten empfinden, und ich kann Jhnen auch zu- trauen, daß Sie im Stande ſind, ſie mit Richtung Jhrer Gedanken auf Gott, und mit der Zuverſicht zu ihm, wozu Sie der Glaube an Chriſtum berechtigt, durchzudenken oder in Worten auszudruͤcken. Meine Gebete mit Jhnen wuͤrden fuͤr Sie nur Formeln ſeyn koͤnnen, und es koͤnnte leicht geſchehen, daß dieſe Formeln, wenn ich mich nicht vollkommen in Jhren Fall ſetzen koͤnnte, nicht recht an- paſſend auf ihren Zuſtand und Jhre jedesmaligen Empfin- dungen waͤren. Jch halte es alſo fuͤr beſſer, daß Sie allein Jhr Gebet vor Gott darbringen, da Sie es koͤnnen, und nicht noͤthig haben, meine Empfindungen und Worte gleichſam zu borgen. Sollte ich aber wahrnehmen, daß Sie etwa ganz nahe am Tode, Jhre Gedanken nicht ſelbſt zuſammenfaſſen koͤnnten, ſo will ich Sie im Gebet zu un- terſtuͤtzen ſuchen. Er antwortete, daß er ſehr oft bete, in dem er nemlich mit Erhebung ſeines Herzens zu Gott Selbſtgeſpraͤche in ſeinem Herzen hielte, ſich zur Beybe- haltung und mehrerer Berichtigung ſeiner Geſinnungen ermunterte und Gott auch ſelbſt anredete und ihn um Beyſtand und Gnade fuͤr ſich und ſeine Freunde anriefe. Er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/248
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/248>, abgerufen am 28.03.2024.