Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



ihm die Briefe desselben, in so weit sie ihn betrafen, mit-
zutheilen, und er machte sich Cramers Anmerkungen und
Zweifel über ihn mit Freuden zu Nutze. Er war sehr
begierig nach diesen Briefen, und fragte mich heute und
noch am letzten Morgen seines Lebens ob keiner gekommen
wäre, der ihn angienge.

Ein und dreißigste Unterredung, den
22sten April.

Jch weiß nicht aus welchem Grunde der Graf befürch-
tete, daß mir über die Methode, nach welcher ich
ihn zum Christenthum angeführt hatte, Vorwürfe ge-
macht werden möchten. Er hatte mich schon mehr als
einmahl gebeten mit derselben wegen der Würkung, die
sie bey ihm gehabt hätte, zufrieden zu seyn und zu blei-
ben, wenn man auch hin und wieder glauben sollte, daß
ich diesen Weg nicht mit ihm hätte gehen sollen. Heute
wiederhohlte er diese seine Bitte, und zwar sehr umständ-
lich. Jch will das vornehmste, was er über diese Sache
sagte, mittheilen, weil es nachdenkenden Lesern Gelegen-
heit giebt, den Character des Mannes noch besser kennen
zu lernen.

Jch bitte Sie sehr, sagte er, lassen Sie sich nicht
dadurch beunruhigen, wenn etwa jemand sagen wollte,
Sie hätten weniger philosophisch und mehr evangelisch
bey mir verfahren sollen. Jch versichere Sie, Sie hätten
auf keinem andern Wege einen Eingang in meine Seele
finden können, als auf dem, welchen Sie gewählt haben.
Drey Wege waren überhaupt nur möglich: Declamation,
Erregung der Einbildungskraft, und kaltblütige Unter-
suchung. Hätten Sie declamirt, so würde ich gleich ge-
dacht haben: wenn der Mann eine gute Sache hat,
warum legt er mir nicht seine Gründe ungekünstelt vor
Augen? Hat Gott eine Religion offenbahrt, so muß sie

eine



ihm die Briefe deſſelben, in ſo weit ſie ihn betrafen, mit-
zutheilen, und er machte ſich Cramers Anmerkungen und
Zweifel uͤber ihn mit Freuden zu Nutze. Er war ſehr
begierig nach dieſen Briefen, und fragte mich heute und
noch am letzten Morgen ſeines Lebens ob keiner gekommen
waͤre, der ihn angienge.

Ein und dreißigſte Unterredung, den
22ſten April.

Jch weiß nicht aus welchem Grunde der Graf befuͤrch-
tete, daß mir uͤber die Methode, nach welcher ich
ihn zum Chriſtenthum angefuͤhrt hatte, Vorwuͤrfe ge-
macht werden moͤchten. Er hatte mich ſchon mehr als
einmahl gebeten mit derſelben wegen der Wuͤrkung, die
ſie bey ihm gehabt haͤtte, zufrieden zu ſeyn und zu blei-
ben, wenn man auch hin und wieder glauben ſollte, daß
ich dieſen Weg nicht mit ihm haͤtte gehen ſollen. Heute
wiederhohlte er dieſe ſeine Bitte, und zwar ſehr umſtaͤnd-
lich. Jch will das vornehmſte, was er uͤber dieſe Sache
ſagte, mittheilen, weil es nachdenkenden Leſern Gelegen-
heit giebt, den Character des Mannes noch beſſer kennen
zu lernen.

Jch bitte Sie ſehr, ſagte er, laſſen Sie ſich nicht
dadurch beunruhigen, wenn etwa jemand ſagen wollte,
Sie haͤtten weniger philoſophiſch und mehr evangeliſch
bey mir verfahren ſollen. Jch verſichere Sie, Sie haͤtten
auf keinem andern Wege einen Eingang in meine Seele
finden koͤnnen, als auf dem, welchen Sie gewaͤhlt haben.
Drey Wege waren uͤberhaupt nur moͤglich: Declamation,
Erregung der Einbildungskraft, und kaltbluͤtige Unter-
ſuchung. Haͤtten Sie declamirt, ſo wuͤrde ich gleich ge-
dacht haben: wenn der Mann eine gute Sache hat,
warum legt er mir nicht ſeine Gruͤnde ungekuͤnſtelt vor
Augen? Hat Gott eine Religion offenbahrt, ſo muß ſie

eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0254" n="242"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ihm die Briefe de&#x017F;&#x017F;elben, in &#x017F;o weit &#x017F;ie ihn betrafen, mit-<lb/>
zutheilen, und er machte &#x017F;ich Cramers Anmerkungen und<lb/>
Zweifel u&#x0364;ber ihn mit Freuden zu Nutze. Er war &#x017F;ehr<lb/>
begierig nach die&#x017F;en Briefen, und fragte mich heute und<lb/>
noch am letzten Morgen &#x017F;eines Lebens ob keiner gekommen<lb/>
wa&#x0364;re, der ihn angienge.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Ein und dreißig&#x017F;te Unterredung, den<lb/>
22&#x017F;ten April.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">J</hi>ch weiß nicht aus welchem Grunde der Graf befu&#x0364;rch-<lb/>
tete, daß mir u&#x0364;ber die Methode, nach welcher ich<lb/>
ihn zum Chri&#x017F;tenthum angefu&#x0364;hrt hatte, Vorwu&#x0364;rfe ge-<lb/>
macht werden mo&#x0364;chten. Er hatte mich &#x017F;chon mehr als<lb/>
einmahl gebeten mit der&#x017F;elben wegen der Wu&#x0364;rkung, die<lb/>
&#x017F;ie bey ihm gehabt ha&#x0364;tte, zufrieden zu &#x017F;eyn und zu blei-<lb/>
ben, wenn man auch hin und wieder glauben &#x017F;ollte, daß<lb/>
ich die&#x017F;en Weg nicht mit ihm ha&#x0364;tte gehen &#x017F;ollen. Heute<lb/>
wiederhohlte er die&#x017F;e &#x017F;eine Bitte, und zwar &#x017F;ehr um&#x017F;ta&#x0364;nd-<lb/>
lich. Jch will das vornehm&#x017F;te, was er u&#x0364;ber die&#x017F;e Sache<lb/>
&#x017F;agte, mittheilen, weil es nachdenkenden Le&#x017F;ern Gelegen-<lb/>
heit giebt, den Character des Mannes noch be&#x017F;&#x017F;er kennen<lb/>
zu lernen.</p><lb/>
        <p>Jch bitte Sie &#x017F;ehr, &#x017F;agte er, la&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich nicht<lb/>
dadurch beunruhigen, wenn etwa jemand &#x017F;agen wollte,<lb/>
Sie ha&#x0364;tten weniger philo&#x017F;ophi&#x017F;ch und mehr evangeli&#x017F;ch<lb/>
bey mir verfahren &#x017F;ollen. Jch ver&#x017F;ichere Sie, Sie ha&#x0364;tten<lb/>
auf keinem andern Wege einen Eingang in meine Seele<lb/>
finden ko&#x0364;nnen, als auf dem, welchen Sie gewa&#x0364;hlt haben.<lb/>
Drey Wege waren u&#x0364;berhaupt nur mo&#x0364;glich: Declamation,<lb/>
Erregung der Einbildungskraft, und kaltblu&#x0364;tige Unter-<lb/>
&#x017F;uchung. Ha&#x0364;tten Sie declamirt, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich gleich ge-<lb/>
dacht haben: wenn der Mann eine gute Sache hat,<lb/>
warum legt er mir nicht &#x017F;eine Gru&#x0364;nde ungeku&#x0364;n&#x017F;telt vor<lb/>
Augen? Hat Gott eine Religion offenbahrt, &#x017F;o muß &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[242/0254] ihm die Briefe deſſelben, in ſo weit ſie ihn betrafen, mit- zutheilen, und er machte ſich Cramers Anmerkungen und Zweifel uͤber ihn mit Freuden zu Nutze. Er war ſehr begierig nach dieſen Briefen, und fragte mich heute und noch am letzten Morgen ſeines Lebens ob keiner gekommen waͤre, der ihn angienge. Ein und dreißigſte Unterredung, den 22ſten April. Jch weiß nicht aus welchem Grunde der Graf befuͤrch- tete, daß mir uͤber die Methode, nach welcher ich ihn zum Chriſtenthum angefuͤhrt hatte, Vorwuͤrfe ge- macht werden moͤchten. Er hatte mich ſchon mehr als einmahl gebeten mit derſelben wegen der Wuͤrkung, die ſie bey ihm gehabt haͤtte, zufrieden zu ſeyn und zu blei- ben, wenn man auch hin und wieder glauben ſollte, daß ich dieſen Weg nicht mit ihm haͤtte gehen ſollen. Heute wiederhohlte er dieſe ſeine Bitte, und zwar ſehr umſtaͤnd- lich. Jch will das vornehmſte, was er uͤber dieſe Sache ſagte, mittheilen, weil es nachdenkenden Leſern Gelegen- heit giebt, den Character des Mannes noch beſſer kennen zu lernen. Jch bitte Sie ſehr, ſagte er, laſſen Sie ſich nicht dadurch beunruhigen, wenn etwa jemand ſagen wollte, Sie haͤtten weniger philoſophiſch und mehr evangeliſch bey mir verfahren ſollen. Jch verſichere Sie, Sie haͤtten auf keinem andern Wege einen Eingang in meine Seele finden koͤnnen, als auf dem, welchen Sie gewaͤhlt haben. Drey Wege waren uͤberhaupt nur moͤglich: Declamation, Erregung der Einbildungskraft, und kaltbluͤtige Unter- ſuchung. Haͤtten Sie declamirt, ſo wuͤrde ich gleich ge- dacht haben: wenn der Mann eine gute Sache hat, warum legt er mir nicht ſeine Gruͤnde ungekuͤnſtelt vor Augen? Hat Gott eine Religion offenbahrt, ſo muß ſie eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/254
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/254>, abgerufen am 09.10.2024.