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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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erfreute sich über die christliche Liebe, die dieser Mann gegen
ihn geäußert hatte, und machte die Anmerkung, daß man
daraus sähe, wie das Christenthum auch einfältige und
durch keine Erziehung bearbeitete Seelen mit Empfindun-
gen der Menschenliebe erfüllte.

Das Lesen, sagte er, will mich nicht recht unter-
halten, deswegen habe ich mich heute mit Schreiben be-
schäfftigt. Unter andern hatte er folgenden Brief an die
Frau von Perkentin in Pinneberg aufgesetzt, den er mir zu
bestellen gab.

"Jch bediene mich, gnädige Frau, des ersten Augen-
"blicks, da es mir erlaubt ist, an Sie zu schreiben. Die
"Geschäffte, die Pflichten, die Beziehungen der vergan-
"genen Zeit haben vielleicht das Andenken an meine Freun-
"de geschwächt, aber nie auslöschen können. Die Muße
"meines gegenwärtigen Zustandes hat dasselbe desto leb-
"hafter wieder hergestellt. Hat mein Stillschweigen Ver-
"dacht gegen meine Gesinnungen erweckt, so bitte ich alle
"diejenigen deswegen um Vergebung, die ein Recht an
"meine Erkenntlichkeit haben, und Sie, gnädige Frau,
"vornehmlich. Dieß ist gleichwohl nicht der einzige Vor-
"theil, den mir die Veränderung meines Schicksals ge-
"bracht hat. Jch bin ihr die Erkenntniß der Wahrheit
"schuldig, sie hat mir ein Glück verschafft, wovon ich gar
"keine Erwartung mehr hatte, so sehr hatte ich mich da-
"von entfernt. Sehen Sie gnädige Frau, mein Unglück
"nie anders, als mit Gesinnungen der Religion an. Es
"giebt mir unendlich viel mehr, als ich durch dasselbe ver-
"liere. Mit Ueberzeugung, mit Ruhe und Freude in
"meinem Herzen, versichere ich Sie davon. Jch bitte Sie
"sehr, wiederhohlen Sie dieses in dem Hause des Herrn
"von Ahlefeld und zu Ranzau. Jch bin diesen beyden
"Häusern unendlich viel Dank schuldig, und es ist mir
"um so viel empfindlicher gewesen Personen mit mir hin-

einzuziehen,
R 3



erfreute ſich uͤber die chriſtliche Liebe, die dieſer Mann gegen
ihn geaͤußert hatte, und machte die Anmerkung, daß man
daraus ſaͤhe, wie das Chriſtenthum auch einfaͤltige und
durch keine Erziehung bearbeitete Seelen mit Empfindun-
gen der Menſchenliebe erfuͤllte.

Das Leſen, ſagte er, will mich nicht recht unter-
halten, deswegen habe ich mich heute mit Schreiben be-
ſchaͤfftigt. Unter andern hatte er folgenden Brief an die
Frau von Perkentin in Pinneberg aufgeſetzt, den er mir zu
beſtellen gab.

Jch bediene mich, gnaͤdige Frau, des erſten Augen-
“blicks, da es mir erlaubt iſt, an Sie zu ſchreiben. Die
“Geſchaͤffte, die Pflichten, die Beziehungen der vergan-
“genen Zeit haben vielleicht das Andenken an meine Freun-
“de geſchwaͤcht, aber nie ausloͤſchen koͤnnen. Die Muße
“meines gegenwaͤrtigen Zuſtandes hat daſſelbe deſto leb-
“hafter wieder hergeſtellt. Hat mein Stillſchweigen Ver-
“dacht gegen meine Geſinnungen erweckt, ſo bitte ich alle
“diejenigen deswegen um Vergebung, die ein Recht an
“meine Erkenntlichkeit haben, und Sie, gnaͤdige Frau,
“vornehmlich. Dieß iſt gleichwohl nicht der einzige Vor-
“theil, den mir die Veraͤnderung meines Schickſals ge-
“bracht hat. Jch bin ihr die Erkenntniß der Wahrheit
“ſchuldig, ſie hat mir ein Gluͤck verſchafft, wovon ich gar
“keine Erwartung mehr hatte, ſo ſehr hatte ich mich da-
“von entfernt. Sehen Sie gnaͤdige Frau, mein Ungluͤck
“nie anders, als mit Geſinnungen der Religion an. Es
“giebt mir unendlich viel mehr, als ich durch daſſelbe ver-
“liere. Mit Ueberzeugung, mit Ruhe und Freude in
“meinem Herzen, verſichere ich Sie davon. Jch bitte Sie
“ſehr, wiederhohlen Sie dieſes in dem Hauſe des Herrn
“von Ahlefeld und zu Ranzau. Jch bin dieſen beyden
“Haͤuſern unendlich viel Dank ſchuldig, und es iſt mir
“um ſo viel empfindlicher geweſen Perſonen mit mir hin-

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[261/0273] erfreute ſich uͤber die chriſtliche Liebe, die dieſer Mann gegen ihn geaͤußert hatte, und machte die Anmerkung, daß man daraus ſaͤhe, wie das Chriſtenthum auch einfaͤltige und durch keine Erziehung bearbeitete Seelen mit Empfindun- gen der Menſchenliebe erfuͤllte. Das Leſen, ſagte er, will mich nicht recht unter- halten, deswegen habe ich mich heute mit Schreiben be- ſchaͤfftigt. Unter andern hatte er folgenden Brief an die Frau von Perkentin in Pinneberg aufgeſetzt, den er mir zu beſtellen gab. “Jch bediene mich, gnaͤdige Frau, des erſten Augen- “blicks, da es mir erlaubt iſt, an Sie zu ſchreiben. Die “Geſchaͤffte, die Pflichten, die Beziehungen der vergan- “genen Zeit haben vielleicht das Andenken an meine Freun- “de geſchwaͤcht, aber nie ausloͤſchen koͤnnen. Die Muße “meines gegenwaͤrtigen Zuſtandes hat daſſelbe deſto leb- “hafter wieder hergeſtellt. Hat mein Stillſchweigen Ver- “dacht gegen meine Geſinnungen erweckt, ſo bitte ich alle “diejenigen deswegen um Vergebung, die ein Recht an “meine Erkenntlichkeit haben, und Sie, gnaͤdige Frau, “vornehmlich. Dieß iſt gleichwohl nicht der einzige Vor- “theil, den mir die Veraͤnderung meines Schickſals ge- “bracht hat. Jch bin ihr die Erkenntniß der Wahrheit “ſchuldig, ſie hat mir ein Gluͤck verſchafft, wovon ich gar “keine Erwartung mehr hatte, ſo ſehr hatte ich mich da- “von entfernt. Sehen Sie gnaͤdige Frau, mein Ungluͤck “nie anders, als mit Geſinnungen der Religion an. Es “giebt mir unendlich viel mehr, als ich durch daſſelbe ver- “liere. Mit Ueberzeugung, mit Ruhe und Freude in “meinem Herzen, verſichere ich Sie davon. Jch bitte Sie “ſehr, wiederhohlen Sie dieſes in dem Hauſe des Herrn “von Ahlefeld und zu Ranzau. Jch bin dieſen beyden “Haͤuſern unendlich viel Dank ſchuldig, und es iſt mir “um ſo viel empfindlicher geweſen Perſonen mit mir hin- einzuziehen, R 3

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/273>, abgerufen am 24.04.2024.